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Diaspora
Leipzig, das Labor

Die Gemeinden wachsen, allerdings auf sehr niedrigem Niveau. Wer überhaupt in den Gottesdienst geht und sich engagiert, entscheidet sich bewusst anders als die Mehrheit. So könnte die Kirche nach der Volkskirche aussehen. Ein Stimmungsbild an der Basis.

Von Bastian Brandau | 25.05.2016
    Besucher verfolgen am 09.05.2015 den Festgottesdienst zur Weihe vor der neuen Propsteikirche in Leipzig (Sachsen). Bischof Heiner Koch klopft mit seinem Stab am 09.05.2015 an die Tür der neuen Propsteikirche in Leipzig (Sachsen). Am gleichen Tag wurde das katholische Gotteshaus mit einem Festgottesdienst geweiht. Sie gilt als größter Kirchenneubau im Osten seit dem Mauerfall.
    Die Einweihung der Propsteikirche in Leipzig am 9.5.2015 (dpa-Zentralbild)
    Geschäftiges Treiben vor der Propsteikirche im Leipziger Zentrum. Rund um den markanten rötlich-gelben Bau sind an diesem Sonntag Arbeiter damit beschäftigt, Veranstaltungszelte aufzubauen für den Katholikentag. Um 9.30 Uhr startet der erste Gottesdienst, sommerlich bekleidet eilen die Gläubigen in die Kirche.
    Auch nach Gottesdienstbeginn huschen weitere Menschen in die gut gefüllte Kirche. Die Propsteikirche ist ein Neubau, wurde erst im vergangenen Jahr geweiht. Moderne, helle Architektur, lichtdurchflutet, gerade an diesem sonnigen Frühlingstag. Etwa 200 Menschen sind gekommen, von der Empore lässt sich eine leichte Aufteilung erkennen. Vom Altar rechts gesehen sind mehrere Reihen mit älteren Gemeindemitgliedern gefüllt, links und weiter vorne sitzen vor allem Familien, für deren Kinder die Kinderkatechese den Höhepunkt des Gottesdienstes darstellt.
    In einem kleinen Raum in der ersten Etage geht es heute um die Schöpfung. Mit Blumen, Erde und Steinchen werden die einzelnen Tage nachgespielt. Etwa 20 Kinder, teilweise begleitet von ihren Eltern, werfen voller Freude kleine Steine auf den Boden, die die Sterne symbolisieren.
    Junge Eltern, viele Kinder: Es ist dies das Gesicht, das die Leipziger katholische Gemeinde nach Außen trägt. Ein Effekt der Attraktivität der Stadt: Leipzig wächst, insbesondere junge Menschen zieht es hierher, aus der Region, aber auch darüber hinaus. Und damit auch viele Katholiken.
    Nach dem Gottesdienst versammelt man sich um den Brunnen im offenen Innenhof zwischen Kirche und Gemeindehaus. Hartmut Leister, dunkle Haare und Bart, hält seinen sieben Monate alten Sohn auf dem Arm:
    "Also die Gemeinde ist natürlich sehr schön, weil man direkt Anschluss findet. Wir sind hier nach Leipzig gezogen und wurden auch gleich angesprochen und sind mit unserem kleinen Sohn auch gleich hier, also das ist ein direkter Eisbrecher in die Gemeinde zu kommen. Man kennt gleich Leute."
    Gleichgesinnte, denen man nicht erklären muss, was es bedeutet, gläubig zu sein. Der Zusammenhalt in der Gemeinde sei in Leipzig besonders stark, hört man an diesem Morgen öfter. Vier Prozent der Menschen hier sind katholisch. Also statistisch gesehen ein bis zwei Schüler pro Klasse, vier bis acht in einer vollbesetzten Straßenbahn, in einer Fußballmannschaft vielleicht keiner. Muss man in Leipzig also oft erklären, was es bedeutet, katholisch zu sein? Wer spricht?
    "Ich kenn das noch aus der Schulzeit, da war das eher eine Unbekanntheit. Aber im Erwachsenenalter ist das eigentlich recht klar. Also ich glaube die meisten freuen sich, wenn man nicht versucht, sie zu missionieren. Es ist Interesse da, man spricht darüber, wie man irgendwie das Leben als Christ verbringt, was das für einen bedeutet, aber die sagen dann immer, okay, das ist schön für dich, das kannst du so machen, aber für mich wäre das nichts."
    Freundliches Desinteresse in der Stadt, in der Region. Vier Prozent Katholiken in Leipzig, ein ähnlicher Prozentsatz gilt auch für Sachsen. Der Katholikentag soll helfen, die Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen, das ist die Hoffnung auch von Esperanza Spiering. Sie ist im katholischen Spanien geboren, hat aber erst in Leipzig vor einigen Jahren zum Glauben gefunden. Wer hier in die katholische Kirche gehe, tue dies sehr bewusst.
    "Also hier gibt es eine hohe Zahl an Leuten, die nicht nur nicht christlich sind, sondern, die einfach areligiös sind. Also da ist es einfach gar kein Thema. Die Frage nach Gott stellt sich überhaupt nicht. Also es ist nicht so, dass man es kritisch sieht, sondern die Frage stellt sich überhaupt nicht. Es ist einfach aus den Köpfen ausradiert worden, durch den Sozialismus", sagt Spiering.
    Und leider, sagt sie, die mit ihren beiden Kindern zum Gottesdienst gekommen ist, gebe es natürlich auch viel in der katholischen Kirche zu kritisieren. Im Katholikentag in Leipzig sieht sie die Chance zur Annäherung: "Ich hoffe, dass wir das Bild geben, dass wir doch cool sind. Und ganz normal auch. Und dass das, was es da vielleicht so an Missständen gibt, an allen möglichen Skandalen, was weiß ich, dass das leider bedauerlich ist, klar und es ist blöd, gerade in der Kirche, weil wir ja mit gutem Beispiel voran gehen sollten, aber es sind trotzdem überall Menschen. Ich hoffe, dass der Katholikentag das Image so ein bisschen verbessert."
    Denn schon im Vorfeld gibt es Kritik, zum Beispiel an der öffentlichen Unterstützung des Katholikentags: 4,5 Millionen gibt es aus öffentlicher Hand, falsch findet die sächsische Linkspartei. Mitdiskutieren werden Vertreter der Linken auf dem Kirchentag trotzdem. Ausdrücklich nicht eingeladen sind Vertreter der rechtspopulistischen AfD, erst recht nicht von der islamfeindlichen Pegida-Bewegung, die in Sachsen ihre Hochburgen hat. Das missfällt älteren Gemeindemitgliedern wie Werner Holzgrebe: "Wenn man redet, passiert nichts. Aber wenn man sich ausgrenzt, wir reden nicht miteinander, das ist meiner Meinung nach das Schlimmste, was es gibt. Wenn Christen nicht auf die Anderen zugehen und reden, wer soll es dann tun. Und das gefällt mir nicht. Auch mit der AfD, das Gleiche. Auch wenn die am Anfang sagen, die wollen nicht. Wie sagt man, steter Tropfen höhlt den Stein und das fehlt bei uns auch."
    In der DDR sei er als Katholik nicht gut angesehen gewesen, sagt Holzgrebe. Das habe sich nach der Wende nur teilweise geändert. "Leider Gottes kommen wir langsam auf den Weg wie in den alten katholischen Bistümern. Die hatten damals sehr viel Zeit, sich mit Sachen zu beschäftigen, die nichts mit Kirche zu tun haben. Und wir haben früher für uns gekämpft. Und jetzt gehen wir langsam denselben liberalen Weg, der nicht unbedingt gut ist."
    Propst Gregor Giele genießt die Aufmerksamkeit, die seine junge Gemeinde im Moment erfährt. Für ihn ist das eine riesige Chance, seinen Glauben erklären zu können. Ihm ist es gerade in der Diaspora-Situation in Leipzig wichtig, -
    "... dass wir hier am Puls der Zeit sind, und unseren Glauben in Ritus und Sprache neu versuchen auszubuchstabieren, um die Menschen von heute zu erreichen in der pluralen, vielfältigen Art und Weise. Da haben wir gute Erfahrungen gemacht, wir haben auch gute Erfahrungen gemacht mit einer Stärkung der Gemeinden und auch einer gewissen Gemeindekonzentration. Und trotzdem ist es uns beim Katholikentag wichtig, die Diasporasituation nicht in den Himmel zu loben, dass hier alles perfekt ist. Die Grundstimmung ist trotzdem: Diaspora ist Mist."