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Dichter für Ai Weiwei

In New York demonstrieren derzeit über 100 Schriftsteller die "Kraft des Wortes" im Kampf gegen Einschüchterung in den Despotien der Welt. Im Mittelpunkt steht auch hier die Solidarität mit dem von den chinesischen Behörden offensichtlich verschleppten Künstler Ai Weiwei.

Von Heike Wipperfürth | 26.04.2011
    Die internationale Schriftstellervereinigung PEN tritt schon seit vielen Jahren für Menschenrechte und Meinungsfreiheit ein. Das gestern in New York eröffnete PEN World Voices Festival of International Literature hat ein anderes Ziel: Den kulturellen Austausch zwischen Amerika und dem Rest der Welt. Doch diesmal steht der Kampf um die Freiheit des Wortes und der Autoren ganz oben auf dem Programm.
    "Wir reden ständig darüber. Unser Vorsitzender Salman Rushdie hat gerade einen Artikel in der New York Times veröffentlicht, in dem er dieses Verhalten verurteilt. Während des Festivals werden wir tun, was wir können, um die Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen," sagt Laszlo Jakab Orsos, der neue Leiter des Festivals. Mit "diesem Verhalten" meint Orsos die Repressalien Chinas gegen den Schriftsteller Liao Yiwu, der Reiseverbot erhielt und nicht an den Festlichkeiten in New York teilnehmen durfte.

    Seine Bücher sind in China verboten – sollte ein neues Werk im Ausland erscheinen, droht ihm ein ähnliches Schicksal wie dem prominenten Künstler Ai Weiwei – er könnte verhaftet werden und spurlos verschwinden.
    Die Abwesenheit von Liao Yiwu wirft einen Schatten auf das Festival, an dem 150 Autoren aus 40 Ländern teilnehmen. Über 70 Veranstaltungen finden in Kulturstätten, Universitäten, Nachtclubs und einer neuen Parkanlage statt – eine ganze Woche lang. Die Themen sind ebenso vielfältig wie die Sprachen. Einige Sujets erfreuen sich besonders großer Beliebtheit. Story Slams und Debatten über russische Literatur und WikiLeaks beispielsweise.

    Auch für PEN-Mitarbeiter Larry Siems hat die Debatte über das Internetportal einen besondern Reiz: Sie werde zeigen, dass die Veröffentlichung von Geheimdokumenten keine Bedrohung der Freiheit sei, wie so viele US Politiker behaupten - sondern das Gegenteil:
    "Die Reaktion der Politiker in unserem Land war sehr aggressiv. Aber mit der Zeit hat sich ihre Wut etwas gelegt. Es gibt neue Information, die zeigen, dass die Veröffentlichung von Geheimdokumenten die Aufstände in Tunesien angespornt hat. Je mehr Information man hat, desto besser. Das ist die Botschaft."
    Feierlich mutet auch eine Vorlesung von Wole Soyinka am 1. Mai in der New York Public Library an. Der Literaturnobelpreisträger aus Nigeria spricht über die fatalen Auswirkungen staatlicher Zensur. Er kennt sie gut. Schon seit Jahren lebt Soyinka im Exil in den USA und kann nicht nach Hause zurück: Das Militärregime würde ihn sofort verhaften.

    Unbequemen Denkern, Mahnern und Warnern eine besondere Rolle in der Gesellschaft zu verschaffen, ist das Hauptanliegen von Orsos:
    "Es ist sehr wichtig, dass Schriftsteller in unserem Leben mitreden. Susan Sontag lebt nicht mehr. Norman Mailer auch nicht. Diese starken Persönlichkeiten gibt es nicht mehr. Und die Rolle des Schriftstellers hat sich verändert. Aber es gibt bedeutende Persönlichkeiten aus der Kultur unter uns. Wir müssen ihnen eine Stimme geben."
    In einem neuen Workshop soll das Versagen der politischen Ordnung der letzten 25 Jahre debattiert werden – unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Schade, dass dieser Plan wenig Originalität verrät. Selbst der Titel des Workshops "The Writer's Imagination and the Imagination of the State" wurde von einem PEN-Kongress übernommen, der vor 25 Jahren in New York stattfand. Dabei hat das Festival es nicht nötig, alten Glanz neu aufzupolieren.

    Erfrischend unkonventionell dagegen: The Moth, eine Radio Show für Geschichtenerzähler. Am kommenden Samstag lässt sie Salman Rushdie und seine Kollegen vor ausverkauften Rängen auf die Bühne treten, um zu erzählen. Auch hier kommt zur Sprache, zu zeigen, was falsch gelaufen ist – und das Publikum nur ja nicht zu langweilen.
    Das Festival endet mit einer Veranstaltung in der Japan Society. Ein Dialog zwischen Autoren, Filmemachern und Künstlern aus den USA und Japan soll dort entstehen – aufgrund der Atomkatastrophe in Fukushima ist das ganz besonders dringlich. Diese Veranstaltung bildet den Abschluss eines Festivals, das Besuchern einen Einblick in die Weltliteratur vermittelt und zu ungeahnten Einsichten verhilft. Und die Öffentlichkeit an gefährdete Schriftsteller wie Liao Yiwu erinnert – und daran, dass der Kampf um die Freiheit des Wortes immer weitergeht.