Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Die Abgründe der Upper Class

Wie in seinem Debütroman "Im Sinkflug" führt Autor Alexander Schimmelbusch den Leser auch in seinem neuen Werk wieder in die Welt der Upper Class. Mit einer geschmeidig-eleganten Sprache beschreibt er in "Blut im Wasser" die nahezu gegenläufigen Lebensmodelle zweier ehemaliger Jugendfreunde.

Von Lerke von Saalfeld | 08.01.2010
    "Blut im Wasser" wurde auf der Frankfurter Buchmesse 2009 mit dem Publikumspreis der unabhängigen Verlage ausgezeichnet

    "Ich habe lange in Amerika gelebt und kenne die Schauplätze der Bücher schon recht gut. Es ist ein literarisches Stilmittel, wenn Figuren keiner Erwerbstätigkeit nachgehen müssen, dann sind es ganz andere Figuren, die über ganz andere Dinge nachdenken und auch ganz andere Zerfalls- und Verzweiflungsprozesse durchlaufen können. Meine Bücher sind auch extrem trist, aber es kommt immer auf die Nuance der Tristesse an. Ich glaub, ich wäre nicht qualifiziert dazu, die Gropius-Stadt darzustellen, weil ich auch keine Erfahrungen mit dieser Art von Tristesse habe, die ja ein bisschen ernster ist als die, die ich darstelle."

    Wie in seinen Debütroman "Im Sinkflug" führt der 34-jährige Alexander Schimmelbusch den Leser wiederum in die Welt der Upper Class, der happy few an der US-amerikanischen Ostküste, die aber so glücklich nicht sind. Schnell stellt sich da die Assoziation ein - und so war es auch beim ersten Roman - er schreibe fort die Geschichte des großen Gatsby von F. Scott Fitzgerald und seiner Frau Zelda; aber dagegen verwahrt sich der Autor:

    "Natürlich hat Fitzgerald generell diesen Upper-Class-Roman und dieses leicht selbstzerstörerische Jet-Set-Leben im Roman sehr geprägt und deswegen, sobald ein Roman dort spielt, kann er leicht diesen Anklang haben. Heute wird dann immer noch auf Bret Easton Ellis verwiesen, wenn es irgendwie um dekadentes Leben junger Menschen in Amerika geht, aber das sind sehr oberflächliche Parallelen. Das ist einfach dieses Milieu und in diesem Milieu können sich auch völlig unterschiedliche Sachen abspielen. Big Gatsby ist ein sehr klassischer Roman, aber die Figuren sind doch sehr anders gepolt als meine."

    Alexander Schimmelbusch hat einen Zwei-Personen-Roman komponiert. Jeweils aus der Ich-Perspektive wird das Leben von Pia und Alex entwickelt - einem Alex-Kapitel folgt jeweils ein Pia-Kapitel:

    "Ich finde, es ist eine sehr saubere schöne Form. Man kann bei der ersten Person bleiben. Es ist die beste Art, die Perspektiven aufeinanderprallen zu lassen. Es ist auch schön, dass die beiden nichts voneinander wissen, aber der Leser weiß, was beide tun, und die Figuren wissen nichts vom anderen, das ist eine gute Konstellation."

    Pia, so erfährt der Leser in ihrem ersten Kapitel, geht in New York zum Arzt und erhält eine furchtbare Diagnose, sie ist krebskrank und wird nicht mehr lange leben. Nun erinnert sie sich an ihr erste Liebe Alex, der schon mit zehn Jahren ihr Vertrauter war, der der Mensch für sie ist, bei dem sie nun in der Not Geborgenheit und Trost suchen möchte, obwohl sich beide schon lange aus den Augen verloren haben. Beide sind aufgewachsen in Frankfurt, eine Schülerliebe voller Poesie, eingebettet in das behütete Leben reicher Eltern, die für eine unbeschwerte Kindheit sorgen können.

    Schon früh stellt Pia fest, "es stand für mich außer Frage, dass ich mein Leben mit ihm verbringen würde, denn was sollte uns schon trennen". Beide gehen später in die USA, leben in den vornehmen Häusern oder auf dem Grundstück ihrer gestorbenen Eltern. Pia hat in einem renommierten Architekturbüro gearbeitet, aber mit einem Schlag ist ihr luxuriöses Leben verändert. Dem Tod nahe, sucht sie in den Erinnerungen Halt, reflektiert ihr Leben und macht sich mit dem Auto auf den Weg zum Haus von Alex auf Long Island.

    Dieser lebt im Gegensatz zu Pia ganz in der Gegenwart. Er ist nur reich und genusssüchtig; er liebt Riesling, Chardonnay und Hummer; er vergnügt sich mit verschiedenen Frauen in seinen Nobel-Herbergen. Pia ist längst aus seinem Horizont verschwunden. Er lebt als Müßiggänger in den Tag hinein, nur dem Augenblick ergeben. Räumlich bewegen sich beide aufeinander zu, aber zwischen ihnen klafft emotional ein tiefer Abgrund. Einst lebten sie in einer gemeinsamen scheinbar heilen Welt, nun ist für Pia jäh ein Perspektivwechsel eingetreten; Alex lebt unbekümmert in seiner Sinnleere weiter.

    Alexander Schimmelbuch versteht es, mit einer geschmeidigen, eleganten Sprache sehr suggestiv eine herannahende Katastrophe aus der jeweiligen Sicht der beiden Personen zu beschreiben. Wobei das Raffinement darin besteht, dass Alex gar nicht ahnt, in welcher Verzweiflung sich Pia befindet. "Blut im Wasser", so der Titel des Romans, ist ein Bild, das in verschiedenen Assoziationen im Roman auftaucht und zu dem der Autor bemerkt:

    "Ein Gedanke dazu ist, ich bin in Amerika aufgewachsen und oft benutze ich amerikanische Redewendungen auf Deutsch und bin mir dann nicht dessen bewusst, dass die in Deutschland nicht geläufig sind. 'Blut im Wasser' auf Englisch bedeutet dieses Haibild, wenn der Mensch schwimmt und blutet, dann fangen die Haie an zu kreisen und greifen ihn an. Auf das Buch bezogen bedeutet dies, dass eine gewisse Art zu leben oder gewisse gesellschaftliche Entwicklungen die Menschen angreifbar gemacht haben; dass jetzt Blut im Wasser ist und dass diese Lebensweisen auf ein Ende zulaufen."

    Alexander Schimmelbusch kennt die Welt, die er beschreibt, von innen, sie ist ihm vertraut. Für einen jungen Autor hat er einen ungewöhnlichen Lebenslauf: Er ist Österreicher, aufgewachsen in Frankfurt, Studium der Volkswirtschaft und der Germanistik in Washington und dann fünf Jahre lang erfolgreicher Investmentbanker in London; heute lebt er als freier Schriftsteller in Berlin:

    "Mit dem Investmentbanking, das war eher ein Unfall bei mir. Ich habe in Amerika studiert und war mit 22 fertig und war auf einer Uni, wo diese Banken sehr stark rekrutiert haben; das war eine Uni in Amerika, wo man sich nicht groß kümmern musste um einen Job als Absolvent, weil man eben rekrutiert wurde. Dann wurde ich von mehreren Banken eingeladen und hatte schnell einen Job, der wurde recht gut bezahlt, in London, und ich habe mir gesagt, das mache ich mal für zwei Jahre, mit 22. Es war eher so eine Art Scherz oder Experiment, bis ich so weit bin, etwas Sinnvolles zu machen oder etwas, von dem ich weiß, dass es mir besser entspricht. Und dann blieb ich da eben hängen, es ist sehr schwer, da wieder rauszukommen."

    Dennoch hat Alexander Schimmelbusch spontan von einem Tag auf den anderen gekündigt:

    "Irgendwann war es dann genug, war ich ziemlich fertig und ausgebrannt und hatte keine Kapazität mehr für dieses ganze Umfeld. Ich hatte erst den unrealistischen Plan, erst zu kündigen, wenn mein erstes Buch fertig ist, aber das war zeitlich nicht zu verwirklichen. Ich hatte dann gerade noch einen schönen Bonus bekommen und hab mich ein Jahr lang um dieses Buch gekümmert. Es war sehr angenehm im Kontrast zu den fünf Jahren davor. Im Grunde lief es andersrum wie für die meisten Leute in meinem Alter in Deutschland, die bis 27,28,29 studiert haben und dann wirklich auch motiviert sind zu arbeiten, dann sagen, jetzt genug Freizeit und genug entspannte Zeit. Bei mir war es andersrum, dass ich von 22 bis 27 den totalen Stress hatte und danach erstmal diese paar Jahre Entspannung nachgeholt habe."

    "Blut im Wasser" schildert die andere Seite des erfolgreichen Lebens, die Nutznießer-Generation, die frei ist von jedem Zwang und doch an die Grenze der Sinnlosigkeit gelangt, jeder auf seine Weise. Im letzten Pia-Kapitel befindet sich die junge Frau auf der Fähre nach Long Island, es ist dunkel, der Schnee treibt übers dunkle Wasser, Tränen laufen über ihr Gesicht, sie ist von tiefer Trauer erfüllt. Sie nähert sich dem einstigen Geliebten, aber sie kommen nicht zueinander. Der ahnungslose Alex vergnügt sich derweil mit einer Gespielin und lässt sich mit Oral-Sex verwöhnen. Eine Provokation?

    "Das will ich jetzt wirklich nicht interpretieren, dieses Ende, Das finde ich irgendwie ein bisschen einschränkend."

    Der Autor hat eine für den Durchschnittsbürger ferne Welt beschrieben; am edlen Kitsch schrammt er vorbei, weil er mit kühler Präzision und in dichten Erzählbildern den verzweifelten Lebenskampf um eine raison d'être unter die Lupe nimmt und ausleuchtet.

    Alexander Schimmelbusch: Blut im Wasser. Blumenbar Verlag, Berlin 2009, 126 Seiten, 16,90 Euro.