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Die Abschaffung der Arbeit

Volker Braun gehört zu den Schriftstellern, die aus eigener Erfahrung wissen, was handfeste Arbeit im Industriezeitalter bedeutet. In seinem neuesten Werk hat er sich ein ganz großes Thema unserer Zeit vorgenommen: nämlich die Abschaffung, Reduzierung und Veränderung der Arbeit, zumindest jener, wie sie im industriellen Zeitalter maßgeblich war. "Machwerk oder Das Schichtbuch des Flick von Lauchhammer" heißt sein neues Buch, das man durchaus auch als Roman bezeichnen kann.

Von Eberhard Falcke | 08.12.2008
    Es gibt sie noch, die Helden der Arbeit, doch sie gelten nichts mehr, jedenfalls nicht jene, die analoges Werkzeug schwingen anstatt digital herumzuklicken. Meister Flick ist so ein Fachmann fürs Handgreifliche und das zugehörige Gerät. Er war zweifellos einer von denen, die den legendären, von den Staatsführern stets als ruhmreich gefeierten Aufbau des Sozialismus in der DDR geleistet haben, der dann planwidrig doch nur für eine kurze Zukunft ausreichte. Und Volker Braun ist zweifellos ein Schriftsteller, der stets kritisch und dialektisch über diesen Aufbau geschrieben und gedichtet hat und über die verschiedenen Formen der Arbeit, die dabei verrichtet wurden. Nun in seinem jüngsten Buch setzt er sich mit der Verknappung und dem Verschwinden jener Art von industriellen Arbeitsprozessen auseinander, die noch den größten Teil des Zwanzigsten Jahrhunderts hindurch die Schlote von Fortschritt und Wachstum vielversprechend qualmen ließen.

    Das neue Jahrtausend war noch ganz frisch, minderjährig und unerfahren, als es zu hören bekam, dass es, sosehr es sich strecken und recken würde, nimmer voll beschäftigt werde. Die Arbeit, hieß es, lange nicht mehr hin, die friedliche jedenfalls, und es müsse sich anders die Zeit vertreiben. Das war in die Wiege gesagt; der rosige Bastard lächelte schläfrig und Spaß war wohl das Wort, das er zuerst buchstabierte.

    Volker Brauns Buch handelt also vom Machen und den veränderten Bedingungen, denen es, respektive die Arbeit, seit jüngster Zeit unterliegt. Darum hat der Autor das, was man auch als Roman bezeichnen könnte, "Machwerk" genannt. Erstens, so lässt sich das deuten, weil das schriftstellerische Machen trotz allem noch immer ein Werk hervorbringen kann; zweitens, weil dieses Machwerk dennoch zu seinem prekären Thema keine völlig verlässlichen Erkenntnisse liefern kann. Sicher ist nur, dass Meister Flick gegen den Verlust der Arbeit nach Kräften aufbegehrt, und zwar so verblendet wie ein Don Quichotte, so gewitzt wie ein Schelm und so schwungvoll wie ein farbiger, vor Leben sprühender Romanheld. Auf abenteuerliche Weise gelingt es ihm doch immer wieder ein Stückchen Arbeit zu erobern und eine Schicht herunterzureißen. Darum steht auf dem Titel seines Schelmen- und ritterlichen Arbeiterromans "Das Schichtbuch des Flick von Lauchhammer".

    Wenn Meister Flick in ein Büro der Agentur für Arbeit geht - ach, was heißt schon geht!? - reindrängelt, einmarschiert, durchbricht, dann zuckt die arme Frau Windisch hinterm Amtsschreibtisch erschrocken zusammen, weil sie merkt, dass die lächerlichen Jobs, die sie in kleinen Häppchen zuzuteilen hat, solch einen arbeitswütigen Kerl kaum zufrieden stellen werden.

    Jetzt fiel ihr erst auf, dass er den Schutzhelm trug und Arbeitshosen anhatte, mit den Karabinerhaken daran, in die er die Daumen steckte. - Während also ihr Herz schlug bei dem Gedanken, ihn zu vermitteln, schob sie die Zettel, Zettelchen, Anträge durcheinander, die sie in petto hatte: die Vorbereitung des Abfalls zur Entsorgung, die Wiedervernässung von Mooren, das Auszählen von Vogelnistplätzen. Das war keine ... Sache für ihn, die Arbeit war, oder keine Arbeit, die Sache war, aber sie hörte ihn sagen: In Ordnung. Das schaffen wir schnell.

    Volker Braun verrichtet seine Schreibarbeit seit je im engsten Austausch mit den gesellschaftlichen Prozessen. Das hat er zu DDR-Zeiten getan und darum bemüht er sich nach wie vor. Zu seinen bevorzugten Schauplätzen gehören Bergbaugebiete. Daraus gewinnt er Metaphern und Begriffe und manche konkrete Anschauung darüber, welche Spuren der - marxistisch gesprochen - Stoffwechsel des Menschen mit der Natur hinterlässt. Braun ist ein Schreibarbeiter im Tagebau der Geschichte. In seinen Texten mischen sich Erzählung und Meta-Erzählung, also konkrete Welterkundung und allgemeine Betrachtung. Wem das nach schwerer Kost klingt, dem sei gesagt: Dieser Autor beherrscht sein Metier. Er kann das Schwierige anschaulich und das Komplizierte zum funkelnden erzählerischen Gedankenspiel machen.
    Zu Meister Flicks zahlreichen Abenteuern gehört auch der Job auf einer einschlägigen Tagung.

    ICH ARBEITE, ALSO BIN ICH: so kurz angebunden hing das Motto im Saal, und die Redner hielten sich daran fest. Unser Mann war eingesetzt, zwei Tage die Speikübel zu leeren - ein 1-Euro-Job, der das Thema nur wenig verfehlte. Er sann aber dem Motto nach und wußte nicht recht, ob er arbeitete oder nicht und ob er also war oder nicht, und auch die Teilnehmer, die herumsaßen, waren wohl in der Not, die sie diskutierten.

    "Machwerk" ist ein Roman in Episoden über die letzten Kämpfe eines Mannes, der noch gelernt hat, dass die Arbeit vom Menschlichen untrennbar sei. Obwohl diese Episoden fast immer auch einen exemplarischen Gehalt besitzen, sprühen sie geradezu vor erzählerischer, gedanklicher, zuweilen auch polemischer Lust und mobilisieren einen außerordentlichen Sprach- und Formenreichtum aus Dialekt, Umgangssprache, erlebter Rede, Schwank oder Räsonnement und sogar Gedichten.
    Für die flotten Mitläufer des Faktischen sind Figuren wie Meister Flick längst als Modernisierungsopfer abgeschrieben. Auch Volker Braun weiß, dass er diesen Typus des Helden der Arbeit nicht retten kann. Doch er setzt ihm immerhin ein Denkmal. Ganz abgesehen davon, dass er damit eine gesellschaftliche Umwälzung thematisiert hat, zu der noch nicht allzu vielen unserer Schreibtätigen etwas Genaueres eingefallen ist.

    Volker Braun: Machwerk oder Das Schichtbuch des Flick von Lauchhammer.
    Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 223 Seiten, 19,80 Euro.