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Die Abschaffung des Urheberrechts weitergedacht

Die Diskussion über das Urheberrecht findet kein Ende. In der langen Liste der Ideengeber reihen sich der niederländische Politikwissenschaftler Joost Smiers und die Medienwissenschaftlerin Marijke van Schijndel ein: Sie befürworten die Abschaffung des Urheberrechts.

Von Ralph Gerstenberg | 30.07.2012
    "Und so was nennt sich Piraten" - Joost Smiers und Marieke van Schijndel können da bloß mit den Köpfen schütteln. Für sie schlägt die Laptop-affine Twitterpartei in der Urheberrechtsdebatte keinen radikalen Enterkurs ein, sondern gondelt bestenfalls in liberalen Seichtgewässern herum. In ihrer Streitschrift "No Copyright" gehen die beiden niederländischen Urheberrechtsgegner hart mit den deutschen Politaufstrebern ins Gericht. Zu brav, zu inkonsequent wird da ein Reförmchen nur an- und nicht zu Ende gedacht.

    Die Bezeichnung "Pirat" scheint sich allmählich zu so etwas wie einem Markennamen zu entwickeln. Analysen der Funktionsweise von Märkten, auch von kulturellen Märkten, und der sie beherrschenden Kräfte sucht man jedoch vergeblich. Ob Rechte des geistigen Eigentums zu billigen und aufrecht zu erhalten sind oder ob es demokratisch ist, dass einzelne Großkonzerne, auch im Netz, die Spielregeln diktieren - solche Fragen scheint es für die Piratenpartei nicht zu geben.

    Joost Smiers:

    "Das Problem der Diskussion von der Piratenpartei ist, dass sie nur nach dem Urheberrecht sehen und sagen: Ja, das ist zu groß geworden, zu lang usw. Das ist doch zu viel. Und sie sagen: Lasst uns das ein bisschen mehr normal machen."

    Für Joost Smiers geht diese Diskussion jedoch am eigentlichen Problem vorbei. Das Urheberrecht, das im 18. Jahrhundert dazu gedacht war, Lizenzen von Verlegern abzusichern, dient heute vor allem Kulturkonzernen, Blockbuster-Produzenten und Großverwertern dazu, ihre marktbeherrschende Stellung auszubauen, kritisiert er. Kleinere Verlage, unabhängige Produktionsfirmen, unbekannte Autoren kämpften dagegen ums Überleben und hängen am Subventionstropf. Das, so ist der Politikwissenschaftler von der Kunsthochschule Utrecht überzeugt, kann sich nur ändern, wenn man das im Internetzeitalter nicht mehr zeitgemäße Recht am geistigen Eigentum einfach abschafft. Joost Smiers:

    "In zehn bis zwanzig Jahren besteht das überhaupt nicht mehr. Dann muss man denken: Andere Marktverhältnisse, sind die möglich?"

    In ihrem Buch beantworten Joost Smiers und Marieke van Schijndel diese Frage mit einem eindeutigen "Ja!". Die Abschaffung des Urheberrechts wird - so argumentieren sie - nicht nur zu mehr kultureller Vielfalt, sondern auch im Kulturbereich zu einem funktionierenden Markt führen. Denn eine konsequente Anwendung des Wettbewerbsrechts, das Kartellbildungen untersagt, kann die Dominanz allmächtiger Kulturkonzerne verhindern und weniger bekannten Künstlern und Kulturproduzenten mehr Chancen sowie ein Auskommen sichern. Die Angst und Wut von Schriftstellern und Verlegern, die das Urheberrecht hierzulande verteidigen, kann Joost Smiers nicht verstehen. Joost Smiers:

    "Was ist das Problem? Man muss doch sehen, dass die meisten davon überhaupt nicht leben. Und man muss doch sehen, dass die Entwicklungen weitergehen mit der Digitalisierung. Man muss doch sehen, dass die meisten Buchhandlungen, kleine Buchhandlungen, mittelgroße Buchhandlungen Probleme haben. Man kann doch nicht glauben, dass die Situation bleiben kann, wie sie ist. Die bleibt nicht so."

    Bei ihrem Entwurf von einer urheberrechtslosen Gesellschaft, in der sich kulturelle Vielfalt durchsetzt und Künstler von ihrer Arbeit leben können, gehen Joost Smiers und Marieke van Schijndel von einem Publikum aus, das sich von passiven Konsumenten zu echten Kunstliebhabern entwickelt und seine Leidenschaft - auch wenn es dafür nichts zahlen muss - etwas kosten lässt. Unvorstellbar? Vielleicht, meinen die Autoren, aber nicht undenkbar. Aber was entgegnen sie zum Beispiel jenen Autoren und Verlegern, die befürchten, dass ohne Urheberrecht jeder andere Verlag ein soeben publiziertes Werk einfach kopieren und billiger herausbringen könnte.

    Ist die Befürchtung realistisch? Eher nicht. Nicht nur jeder zweite Verleger, sondern zwanzig, dreißig oder vierzig andere könnten auf dieselbe Idee kommen. Unter diesen Umständen drängt es sich nicht gerade auf, ein Buch zum zweiten Mal auf den Markt zu werfen, ohne den Autor um Erlaubnis gebeten und bezahlt zu haben. Aber angenommen, ein anderer Verleger würde sich nach dem Motto "Frechheit siegt", doch darüber hinweg setzen. Dann sind verschiedene Reaktionen denkbar. Zunächst könnte der ursprüngliche Verleger sofort eine neue Ausgabe auf den Markt bringen, zu einem Kampfpreis. Zur Not sogar unter dem Selbstkostenpreis. Damit würde man den Trittbrettfahrer aus dem Markt vertreiben.

    Ein solches Szenario, in dem ein Verlag ein Buch unterhalb des Selbstkostenpreises verkaufen muss, um nicht bei der Vermarktung von Konkurrenten ausgebremst zu werden, wird kaum einen Autor, einen Verleger überzeugen. Auch andere Beispiele von möglichen Selbstvermarktungs- und Vertriebsprozessen, beispielsweise in der Musikbranche, wirken unausgegoren: Hier operieren die Autoren mit zu vielen Unbekannten, Annahmen und Behauptungen - wie etwa der, dass durch kostenfreie Downloads eine Publikumsbindung entsteht, die in der Folge für eine größere Popularität und mehr Einnahmen der Künstler sorgt. So wird letztendlich nicht nachvollziehbar, wie ein urheberrechtsfreier Markt wirklich funktionieren kann. Das ist auch Joost Smiers klar. Er sieht das Buch als Streitschrift, die eine Diskussion in Gang setzen soll. Auch weitere Forschungen sind für ihn notwendig. Joost Smiers:

    "Wenn es einen Vorschlag gibt, dann kann man darüber diskutieren, wenn es keinen Vorschlag gibt, kann man überhaupt nicht nachdenken. Ich hoffe wirklich, dass es Institute gibt, die sagen: Ja, das ist interessant."

    Interessant an Joost Smiers und Marieke van Schijndels Buch ist vor allem, dass darin ein radikaler Ansatz, die Abschaffung des Urheberrechts, weit gedacht wird. Auch das Engagement und die visionären Spekulationen der Autoren sind in ihrer mutigen Konsequenz achtenswert. Ihre Kritik an den bestehenden Verhältnissen ist durchaus begründet. Die Schwäche ihrer Betrachtung liegt in der pauschalen Verteufelung von so genannten "Kulturkonzernen", die an Adornos und Horkheimers Kritik der Kulturindustrie in der "Dialektik der Aufklärung" erinnert. So wird ein sehr einseitiges Bild von einem globalen Kulturmarkt beschrieben. Monopolisten gießen seichte Unterhaltung über die Massen. Die Mittel dafür sichert ihnen das Urheberrecht. Dem wird eine urheberrechtsfreie Utopie gegenübergestellt - mit kultureller Vielfalt, zufriedenen Künstlern, dankbarem und intelligentem Publikum. Ein solches Bild wirkt nicht nur grob gerastert und sehr unscharf, es entspricht dem sehr persönlichen Blick zweier Gesellschaftswissenschaftler, die bei ihrer Suche nach Lösungen und Visionen die Realität einer facettenreicheren Kulturlandschaft aus den Augen verloren haben.

    Marieke van Schijndel/Joost Smiers:
    No Copyright. Vom Machtkampf der Kulturkonzerne um das Urheberrecht. Eine Streitschrift, Alexander Verlag, 167 Seiten, 9,95 Euro
    ISBN: 978-3-895-81275-0