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Die Absurdität des Alltags

Wenn überhaupt Menschen in Sasses Bildern auftauchen, dann bevölkern sie die Szenen eher wie Statisten. Die Ausstellung zeigt 29 großformatige "Tableaus" und - erstmals - 188 so genannte "Skizzen". Tableaus, Skizzen: Das klingt alles eher nach Malerei als nach Fotografie. Sasse nutzt den Zwitterstatus seines Mediums ganz offensiv.

Von Anne Quirin | 03.12.2005
    "Dann wird dem Kind gesagt, sag mal Cheese oder Spaghetti und dann wird ausgelöst. Die Fälschung ist ja schon in dem Moment ganz extrem, weil jemand ganz selbstverständlich dazu genötigt wird, einen Anblick von sich zu erzeugen, der überhaupt nichts mit Normalität zu tun hat."

    Derart gestellte Porträts sind in der Ausstellung nicht zu sehen. Wenn überhaupt Menschen in Sasses Bildern auftauchen, dann bevölkern sie die Szenen eher wie Statisten. Als Passanten auf der Straße oder Schlittenfahrer an einem verschneiten Berg. Die Ausstellung zeigt 29 großformatige Tableaus und - erstmals - 188 so genannte "Skizzen". Diesen etwa DIN A4 großen Fotografien sieht man es zwar nicht an, aber auch sie sind allesamt digital bearbeitet. Mal hat Sasse einen Farbton aufgehellt, mal eine bestimmte Struktur hervorgehoben - Veränderungen, die man ohne einen Vergleich mit dem Ausgangsbild nicht erkennt.

    "Wenn man eine Reihe davon hat, dann ist das vielleicht so ein bisschen ein Blick in die Werkstatt des Vorgehens. Dass das jetzt so anders aussieht als man sich Skizze vorstellt im Vergleich zu einer Zeichnung hat damit zu tun, dass wenn man fotografisch arbeitet natürlich mit dem gefüllten Bildraum anfangen muss und bei einer Zeichnung einfach erst mal gegen den leeren Bildraum gehen muss."

    Die Skizzen sind chronologisch nach ihrem Entstehungsdatum in dichten Reihen gehängt. In die drei Ausstellungsräume wurden zusätzliche Wände eingezogen. Der dazwischen liegende korridorartige Gang leitet den Besucher an den Bildern entlang und wirkt dabei etwas einengend. Nur die Tableaus hängen in offenen Räumen, in denen man sich frei bewegen kann. Kurator Stefan Gronert erläutert das ungewöhnliche Konzept.

    "Das ist ein Entwurf, den Jörg Sasse selbst gemacht hat unter der Voraussetzung, dass wir eine aus zwei Komponenten bestehende Ausstellung haben. Eben die Skizzen und die Tableaus. Es war schon wichtig, die auf der einen Seite voneinander zu separieren aber auch an den Übergängen einen sichtbaren Übergang zu schaffen. Sie sehen an den Enden der Gänge, die wir künstlich geschaffen haben, kleinformatigere Tableaus, die dann überleiten zu den großen."

    "Tableaus", "Skizzen" - das klingt alles eher nach Malerei als nach Fotografie. Sasse nutzt den Zwitterstatus seines Mediums ganz offensiv. Vor allem einige der Tableaus sind wegen ihrer malerischen Unschärfe keiner der beiden Gattungen eindeutig zuzuordnen. Diese führt bisweilen so weit, dass das Dargestellte kaum noch mit bezeichnenden Begriffen zu erklären ist. Eher sind es Flächenorganisationen aus Farben und Strukturen, deren Wahrnehmung je nach Distanz zum Bild changiert. Auf einem Bild sind beispielsweise diffuse gelb-grüne Flecken zu sehen - sie könnten einen Herbstwald von oben oder aber auch Algen in einem See abbilden. Die Titel liefern ebenfalls keine Hinweise auf den Inhalt und dienen eher der Inventarisierung. Es sind vierstellige Nummern, per Zufall vom Computer zusammengestellt. Eindeutig uneindeutig sieht Sasse auch die Art der Entstehung seiner Arbeiten, die er weder allein in der Fotografie noch in der Malerei ansiedeln will.

    "Wenn ich mir angucke, was wirklich im Arbeitsprozess vorkommt, passt das zumindest vom Prozess her überhaupt nicht in eine Kategorie, weil zu viele unterschiedliche Eingriffe statt finden. Ich zumindest habe eine grundsätzliche Skepsis Kategoriebegriffen gegenüber. Selbst wenn wir sagen "Malerei", dann haben fünf unterschiedliche Leute wahrscheinlich fünf unterschiedliche Vorstellungen davon. Ich kann gar nicht mal guten Gewissens behaupten, dass das, was wir hier sehen, Fotografien sind."

    Bei aller Diskussion um das Wie darf man aber das Was gezeigt und Warum es so gezeigt wird, nicht aus dem Blick verlieren. Denn vielleicht soll die Uneindeutigkeit der Arbeiten nicht nur dazu animieren, ihre Entstehung zu enträtseln, sondern auch Fragen über unsere Wahrnehmung zu stellen. Beide, die Skizzen und die Tableaus, regen zu der lohnenswerten Erfahrung an, die Tropfen auf der Fensterscheibe oder den mit Schnee überzogenen Hinterhof einmal von ihren Begrifflichkeiten zu abstrahieren - sie als ästhetisches Spiel aus Licht und Schatten, Farbe und Form wahrzunehmen.

    "Vielleicht geht es viel mehr darum, sich dem auszusetzen, auch zu spüren oder zu sehen, was mit einem selbst passiert. Das passiert aber auf einer Ebene, die nicht sprachlich ist. Das bringt natürlich eine gewisse Verlorenheit genau bei dieser Frage nach Inhalt, weil man Inhalt in so einem konzeptuellen Rahmen denkt. Was will der Künstler damit sagen? Auf dieser Ebene funktioniert es nicht und das soll auch auf der Ebene nicht funktionieren. Die Falle, in die man vielleicht geht, wenn man meine Arbeiten anguckt, ist, dass man selber eben diese Enttäuschung mitkriegt. Enttäuschung in dem Sinn, dass die Täuschung sich wendet in etwas anderes. Ob das näher an einem selbst ist oder nicht, kann ich auch selber nicht sagen, aber das ist für mich zumindest ein Energiequell und auch eine ziemliche Motivation weiter zu arbeiten."