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Die alternative WM

In Berlin fand gerade eine alternative Fußball-WM statt. Sieben Teams aus Entwicklungs- und Krisenregionen konnten in Kreuzberg Klischees über ihre Heimat beseitigen. Der Titel des Turniers: Discover Football, Entdecke den Fußball.

Von Ronny Blaschke | 06.07.2011
    Wenn der europäische Blick auf Ruanda fällt, landet man schnell beim Völkermord von 1994. Damals hatten Angehörige der Hutu-Mehrheit drei Viertel der Tutsi-Minderheit getötet, laut Schätzungen mehr als eine halbe Million Menschen. Auch die Spielertrainerin des ruandischen Nationalteams hat viele Familienmitglieder und Freunde verloren. Trotzdem möchte Grace Nyinawumuntu, die alle nur Grace nennen, nicht über ethnische Volksgruppen sprechen. Tutsi oder Hutu? Für Grace ist diese Frage nicht mehr von Bedeutung.

    "Nein, jetzt bin ich eine Frau aus Ruanda, wir wollen unsere ethnischen Unterschiede nicht mehr betonen. Seit dem Genozid sind 17 Jahre vergangen. Es geht aufwärts, wir sind vereint, dabei hat uns auch der Fußball geholfen. Diese Geschichten wollen wir in Deutschland erzählen. So wie wir auch von anderen Teams aus anderen Ländern lernen wollen."

    Grace, eine selbstbewusste Frau mit Rastalocken, erhält bei Discover Football eine Bühne. 69 Teams aus 45 Ländern hatten sich beworben, sieben erhielten eine Zusage. Abgesagt hat das Team aus Afghanistan – vermutlich auf Druck der Regimes. Ebenfalls nicht dabei: zwei Spielerinnen aus Palästina, die mit israelischen und jordanischen Spielerinnen kicken wollten. Die Palästinenserinnen wurden in ihren Gemeinden bedroht und des Verrats bezichtigt. Nach Berlin geschafft haben es dagegen Teams aus Togo, Brasilien oder Indien. Ihre Turnierkosten tragen das Auswärtige Amt und das Bundesinnenministerium. Die Teams verbindet ein Leitmotiv: Fußball für Frauenrechte, Bildung und Entwicklung. Grace berichtet über Ruanda.

    "Wir benutzen Fußball als Werkzeug, um mit Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. Während unserer Turniere klären wir zum Beispiel über HIV und Aids auf. Oder wir warnen die Kids vor Alkohol- und Drogenmissbrauch. Und wir zeigen, wir man den Zusammenhalt und die Versöhnung fördern kann."

    In Kigali, der Hauptstadt Ruandas, kümmert sich Grace um die Förderung von Frauen, denen oft nur die Hausarbeit zugeschrieben wird. Sie lässt in Turnieren drei Frauen und drei Männer in einem Team zusammenspielen, ohne Schiedsrichter, wobei nur Frauen Tore erzielen dürfen. Dieses Konzept, das inzwischen auch in Uganda, Burundi und Kongo umgesetzt wird, hat das Team von Discover Football begeistert. Marlene Assmann, eine der Initiatoren.

    "Was bedeutet es für sie, Fußball zu spielen: hat das gesellschaftliche Gründe? Dass zum Beispiel Frauenfußball in ganz vielen Ländern wahnsinnig viel mit Aufklärungsarbeit zu tun hat. Und Frauenfußball einfach eine Möglichkeit bietet, Frauen zu vernetzen und oft geht’s auch darum, sie durch den Sport zu mehr Selbstbewusstsein zu helfen, dass sie dann auch in anderen Bereichen des Lebens anwenden können."

    Die Idee zu Discover Football hatte der Berliner Verein Al Dersimspor. Das multikulturelle Team hatte 2006 in Teheran gegen die iranische Auswahl gespielt. Auf den Tribünen sangen 1000 Zuschauerinnen, auch gegen die Unterdrückung von Frauen. Das Rückspiel sollte 2007 in Berlin stattfinden, doch kurz vor der Partie kam die Nachricht aus Iran: das Team dürfe nicht ausreisen. Aus der Enttäuschung erwuchs Discover Football, denn ein ganzes Turnier kann nicht durch eine einzige Absage ins Wasser fallen.