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"Die Amerikaner erwarten mittlerweile einfach Lösungen"

Der ehemalige Wahlkampfhelfer von US-Präsident Obama, Julius van de Laar, glaubt, dass viele Amerikaner über Präsident Obama verärgert seien weil der versprochene Wandel noch nicht bei Ihnen angekommen ist.

Julius van de Laar im Gespräch mit Gerwald Herter | 02.11.2010
    Gerwald Herter: Guten Morgen, Herr van de Laar.

    Julius van de Laar: Guten Morgen!

    Herter: Herr van de Laar, wir haben gelernt, dass die Amerikaner verärgert, ja sogar wütend sind und dass sie verzweifeln. Wir hören und lesen auch, dass sie Zuversicht und Optimismus verloren haben. Ist das nun etwas übertrieben, oder trifft das auch aus Ihrer Sicht die Stimmung?

    van de Laar: Ich glaube, die Lage ist weiterhin sehr angespannt in den USA. Wenn wir uns die Arbeitslosenzahlen anschauen, die bei knapp zehn Prozent liegen, bei der schwarzen Bevölkerung sogar bei fast 16 Prozent liegen, dann muss man einfach feststellen, dass die Amerikaner noch keine Arbeitsplätze haben, das, was sie sich natürlich unter Obama erhofft haben. Natürlich sind viele wichtige Schritte gemacht worden, die Gesundheitsreform ist durchgekommen, aber die Wirtschaft hat sich noch nicht so erholt, wie sich das alle von Obama versprochen haben, und ich glaube, das ist der Grund, warum die Demokraten heute auch Probleme haben werden, viele Senatssitze und Kongresssitze zu halten.

    Herter: Klar war vor zwei Jahren, dass Obamas Vorgänger, George W. Bush, in vielem zu weit gegangen ist, jedenfalls für das Empfinden der Durchschnittsamerikaner. Das war eine Art Abwahlkampf. Obama hatte dann aber immerhin zwei Jahre Zeit, die Menschen für die Politik eines Demokraten zu begeistern. Hat er einfach zu viel versprochen?

    van de Laar: George W. Bush war einer der unpopulärsten Präsidenten aller Zeiten. Natürlich war es leicht, im 2008-Wahlkampf dieses Bild gegen Bush aufzubauen, die Kampagne komplett gegen George W. Bush zu fahren. Das ist dieses Mal natürlich auch noch mal gelungen, natürlich auch wieder gegen die Republikaner zu mobilisieren. Auf der anderen Seite: Die Amerikaner erwarten mittlerweile einfach Lösungen, die erwarten, dass die Wirtschaft angekurbelt wird. Das 800-Milliarden-Dollar-Konjunkturpaket ist noch nicht dort angekommen, wo sie wirklich gebraucht werden, und da ist natürlich die Hoffnung und der Wandel, der vor zwei Jahren versprochen wurde, noch nicht bei den Amerikanern angekommen.

    Herter: Es ist zu erwarten, dass die amerikanische Notenbank in dieser Woche die Geldmenge wieder ausweitet, also die Notenpresse einfach wieder anwirft. Ist das eine Panne, schlechtes Timing, oder ist das Absicht aus Ihrer Sicht?

    van de Laar: Das ist schwer zu sagen. Ich glaube, da sind so viele Prozesse, die da mit drin hängen, und vor allem Ministerien, die nicht zwangsläufig am Wahlkampf beteiligt sind, dass man das, glaube ich, nicht überbewerten muss. Die Frage ist einfach – und das ist bei jeder Kongresswahl so und bei jeder Präsidentschaftswahl so in Amerika -, das Hauptthema wird die Wirtschaft sein. Die Leute wollen endlich was von diesem Aufschwung spüren, der noch nicht angekommen ist. Das Wirtschaftswachstum liegt im Moment bei zwei Prozent, die Leute spüren nur nichts in der Kasse, und im Gegenteil: Ihre Häuser werden versteigert. Das heißt, solange nicht wirklich spürbarer Wandel in den Geldbeuteln der einzelnen Amerikaner anfängt, solange wird die Obama-Administration weiter an Prozentpunkten verlieren, und auch in Bezug auf 2012, auf die Präsidentschaftswahlen dann, wird Obama noch einiges umstellen müssen.

    Herter: Und die Staatsverschuldung ist jetzt schon sehr, sehr hoch. – Sie haben es aber angesprochen: Einiges hat Obama auch vorangebracht, Stichwort Gesundheitsreform, Krankenversicherung. Für uns Europäer wäre eine Krankenversicherung kaum wegzudenken. War es aber ein Fehler, dass Obama diese sehr umstrittene Reform so früh angepackt hat?

    van de Laar: Viele Demokraten sagen, dass das die einzige Möglichkeit war, die Gesundheitsreform gleich von Anfang an mit umzusetzen. Diese Gesundheitsreform war ein enorm großes Paket, 50 Millionen Amerikaner, die vorher keine Gesundheitsversicherung hatten, haben jetzt eine, vier Millionen Kinder, die keine Gesundheitsversicherung hatten, sind jetzt versichert. Das politische Kapital, das Obama einsetzen musste, um diese Gesundheitsreform durchzudrücken, hat er nur am Anfang gehabt. Wenn er gewartet hätte bis nach den Kongresswahlen, oder kurz vor den Kongresswahlen, wäre die Gesundheitsreform gescheitert.

    Herter: Andererseits haben die Republikaner ihre Chance genutzt und eine Kampagne gegen diese Gesundheitsreform gemacht, deren Schwung offenbar bis jetzt angehalten hat.

    van de Laar: Die Republikaner haben von Anfang an, seit dem 4. November 2008, an dem Obama gewählt worden ist, sich die politische Strategie genau überlegt, und die politische Strategie war, zu allem, was die Obama-Administration beziehungsweise die Demokraten sagen, Nein zu sagen. Die Strategie ist aufgegangen, sie hat Leute mobilisiert, sie haben Obama dargestellt als jemand, der weiter das Defizit nach oben treibt ins Unermessliche, und Obama hat es verkannt, sich von Anfang an dagegen zu stellen und selber eine Kampagne zu machen und seine Erfolge effektiv zu kommunizieren und damit auch Befürwortung bei der amerikanischen Bevölkerung zu holen. Das ist ihm nicht gelungen und dafür wird es heute natürlich die Konsequenzen geben.

    Die Frage ist einfach, wie geht es weiter nach vorne. Werden die Republikaner umschwenken und werden sie weggehen von ihrer Position, nein zu allem zu sagen, und werden sie konstruktiv mit Obama zusammenarbeiten, wird es Obama gelingen, genug Kompromisse einzugehen. Das wird sich in den nächsten Wochen zeigen.

    Herter: Herr van de Laar, noch mal zurück auf Wahlkampfmethoden. Internet, soziale Netzwerke spielten 2008 eine große Rolle. War das in den letzten Wochen auch der Fall?

    van de Laar: Die Tools und die Taktiken, die im Internet stattfinden, die haben sich natürlich auch ein bisschen weiterentwickelt. Es war aber kein großer Unterschied, der dieses Mal durch die sozialen Medien beziehungsweise durchs Internet, durch den Internet-Wahlkampf gemacht wurde. 2008 haben wir in Deutschland viel davon gehört, dass Obama die Wahl im Internet gewonnen hat. Das war damals nicht der Fall und das war dieses Mal auch nicht der Fall. Dieses Beispiel, das wir jetzt gerade haben, dass Obama eben im Senat Sitze verlieren wird und im Repräsentantenhaus Sitze verlieren wird, zeigt, dass das Internet die politische Situation nicht wettmachen kann. Natürlich können dadurch ein paar mehr Wähler mobilisiert werden und es gibt viele Möglichkeiten, effektiv durchs Internet zu arbeiten. Fakt ist aber: Wenn die Botschaft nicht stimmt und wenn insgesamt die politische Strategie nicht schlüssig ist, beziehungsweise wenn die Pakete, die geschnürt wurden, nicht umgesetzt werden können, dann hilft auch das Internet nicht, um einen zehn oder 15-Punkte-Vorsprung wettzumachen.

    Herter: Das Internet hilft auch nicht, wenn man dann Kompromisse machen muss, wie Obama in den nächsten zwei Jahren, weil er wahrscheinlich die Mehrheit im Repräsentantenhaus verlieren wird. Sie haben es gesagt. Ist Obama dafür der richtige Typ?

    van de Laar: Die Kampagne, die 2007, 2008 gelaufen ist, war eine Kampagne, die zeigen sollte, dass er Amerikaner zusammenbringen will, dass er mit Republikanern auf der anderen Seite zusammenarbeiten will. Das ist ihm teilweise gelungen. Auf der anderen Seite muss man ganz klar sagen: Die Strategie der Republikaner ist aufgegangen, zu allem nein zu sagen. Die Republikaner haben sich nicht an der Gesundheitsreform beteiligt und haben jetzt auch jedes Mal im Interview vor den Wahlen betont, dass sie alles daran setzen werden, die Gesundheitsreform rückgängig zu machen. Das heißt, es werden schwere Monate für die Obama-Administration, wenn die Republikaner nicht bereit sind, zusammenzuarbeiten.

    Gleichzeitig muss man sagen, die Basis der Republikaner ist mobilisiert und die wollen natürlich, dass einige dieser Reformen auch wieder zurückgedreht werden, dass das Defizit wieder runtergeht. Insofern: Die Obama-Administration steht vor der Herausforderung, gleichzeitig mit den Leuten zusammenzuarbeiten, mit den Republikanern zusammenzuarbeiten, und gleichzeitig die eigenen Reformen weiter zu verkaufen.

    Herter: Herr van de Laar, noch ganz kurz. Rechnen Sie mit einer Änderung in der amerikanischen Außenpolitik?

    van de Laar: Ich glaube, dass diese Wahl rein um innenpolitische Themen ging. Afghanistan, Irak haben keine Rolle in der Wahl gespielt. Und es wird sich zeigen, wie die Republikaner und die Demokraten dann zusammenkommen. Im ersten Moment sehe ich keine große Änderung, nein.

    Herter: Das war der Wahlkampfberater Julius van de Laar im Deutschlandfunk. Herr van de Laar, vielen Dank!

    van de Laar: Vielen Dank an Sie!