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"Die amerikanische Regierung muss jetzt klar Farbe bekennen"

Nach den neuen Enthüllungen im NSA-Skandal müsse die amerikanische Regierung von sich aus für Aufklärung sorgen, fordert Bayerns Innenminister Joachim Herrmann. Es müsse Gespräche über den künftigen Umgang der europäischen Staaten mit den USA geben.

Joachim Herrmann im Gespräch mit Christoph Heinemann | 25.10.2013
    Christoph Heinemann: Wenn er sich nicht gerade mit den Republikanern über den Haushalt streitet, verbringt Barack Obama gegenwärtig viel Zeit am Telefon. Der Präsident muss befreundete Staats- und Regierungschefs beruhigen, die den ungebetenen Besuch digitaler Schlapphüte überhaupt nicht witzig finden. Angela Merkel werde weder zurzeit, noch in der Zukunft von den Berufslauschern der NSA abgehört, versicherte das Weiße Haus - schön zu hören. Allerdings auch dem Einfältigsten erschließt sich die Schwachstelle dieser Erklärung: die Vergangenheit fehlt. Offenbar wurde Angela Merkel abgehört, die Empörung ist groß:

    Thomas Oppermann: "Wie lange reicht die Abhöraktivität der Amerikaner zurück? Haben sie auch schon die Mobiltelefone von Bundeskanzler Schröder abgehört?"

    Hans-Christian Ströbele: "Nach dieser Sitzung kann niemand mir sagen, dass das Verhältnis zu den USA nicht getrübt ist."

    Thomas de Maiziére: "Unter Freunden macht man so was nicht, das ist der Grundsatz."

    Anton Hofreiter: "Es ist auch ein Skandal vonseiten der deutschen Bundesregierung, denn als die übrigen Bürger betroffen waren, hat Frau Merkel so getan, als wenn das alles harmlos und unwichtig wäre."

    Joachim Poß: "Es ist eigentlich schade, dass Frau Merkel erst jetzt so entschieden reagiert, nachdem die persönliche Betroffenheit gegeben ist."

    Heinemann: Angela Merkel ist nicht nur Opfer, für die Kanzlerin ist die Sache zum Teil auch deshalb peinlich, weil ihr Kanzleramtsminister, Ronald Pofalla, vor einigen Wochen noch erklärt hatte:

    Ronald Pofalla: "Der Vorwurf der vermeintlichen Totalausspähung in Deutschland ist nach den Angaben der NSA, des britischen Dienstes und unserer Nachrichtendienste vom Tisch. Es gibt in Deutschland keine millionenfache Grundrechtsverletzung, wie immer wieder fälschlich behauptet wird."

    Heinemann: Am Telefon ist Joachim Herrmann (CSU), der Innenminister des Freistaates Bayern. Guten Morgen.

    Joachim Herrmann: Guten Morgen!

    Heinemann: Herr Herrmann, klingt Herrn Pofallas Beschwichtigung im Lichte der neuen Erkenntnisse nicht ziemlich hohl?

    Herrmann: Nun, er hat die millionenfache Überwachung angesprochen. Wir können das in der Tat nicht beurteilen, ob es sich um solche Dimensionen handelt. Aber auch wenn es nur Hunderte oder Tausende waren, dann ist es auf jeden Fall nicht akzeptabel. In rechtsstaatlichen Demokratien, wie wir sie in der Bundesrepublik Deutschland oder in Frankreich sind und wie wir sie nun eigentlich auch den USA selbstverständlich zubilligen, kann es so etwas nicht geben, sondern solche Überwachungsmaßnahmen können nur in einem speziellen Einzelfall, immer dann, wenn es um ganz konkrete Vorwürfe geht, und mit einem klaren rechtsstaatlichen Verfahren stattfinden, aber nicht einfach so aufs Geratewohl. Und wenn sich befreundete Partner gegenseitig abhören würden, ist das auf jeden Fall nicht akzeptabel.

    Heinemann: Die kürzeste Antwort auf meine Frage wäre gewesen: "Ja, das klang ziemlich hohl, was Ronald Pofalla da im August gesagt hat".

    Herrmann: Nein! Ich meine nicht, dass das hohl klang. Wenn er sagt, hundert- oder millionenfache Abhörung hat es aus seiner Sicht so nicht gegeben, ist das eine klare Aussage. Aber deswegen muss man sich trotzdem auch damit befassen, wenn es jetzt Tausendfache oder zehntausendfache oder hunderttausendfache gegeben hat. So oder so, es geht in keinem Fall und wir wollen das auch so nicht akzeptieren.

    Heinemann: Der Faktor X spielte ja bisher keine Rolle. Das heißt, solange Bürgerinnen und Bürger abgehört wurden, beschwichtigte die Regierung. Jetzt ist die Kanzlerin betroffen, und auf einmal schaltet die Regierung auf Abscheu und Empörung.

    Herrmann: Nein, wir beschwichtigen überhaupt nicht, sondern ich sage jedenfalls klar, dass wir solche Verfahren nicht akzeptieren können. Das muss in der EU klar angegangen werden. Da muss die amerikanische Regierung jetzt auch klar Farbe bekennen, wie sie in Zukunft mit ihren NATO-Partnern beispielsweise umgehen will. Sie muss klarstellen, was ist da in der Vergangenheit geschehen und wie will sie in Zukunft mit solchen Themen umgehen. Wir müssen dies auch in Deutschland zum Gegenstand jetzt der Regelungen machen, das heißt der Koalitionsverhandlungen.

    Es ist klar, dass jeder in Deutschland sich bewusst sein muss, dass es technisch solche Maßnahmen gibt, dass es natürlich auch andere Länder auf dieser Welt geben kann, wo man auf solche Praktiken gefasst sein muss, wenn ich an beispielsweise China denke. Aber ich denke, es ist auch wichtig, wenn die Amerikaner unsere Partner und Freunde sein wollen, wenn wir hier eine gemeinsame Zusammenarbeit in der NATO haben, dann muss das etwas anderes sein als irgendwelche anderen Länder oder Staaten auf dieser Welt. Deshalb müssen wir klar den Amerikanern gegenüber deutlich machen, dass wir uns so etwas nicht gefallen lassen können.

    Heinemann: Herr Herrmann, glauben Sie, dass die Kanzlerin tatsächlich erst durch den "Spiegel" davon erfahren hat und nicht schon vorher davon wusste, die Affäre aber nicht hochkochen lassen wollte, und als der "Spiegel" dann vorstellig wurde, konnte sie die Sache nicht mehr unter der Decke halten?

    Herrmann: Darüber liegen mir keinerlei Erkenntnisse vor. Inwieweit es jemand anderen gab, der das schon vorher wusste, weiß ich jedenfalls nicht. Mir war davon bisher so nichts bekannt. Klar ist auch, wenn Sie normal miteinander kommunizieren - und es ist mir jetzt aufgrund der bisherigen Meldungen nicht klar, wie dieses Gerät von der Bundeskanzlerin oder wie ihre Gespräche abgehört worden sind -, dass es natürlich auch Überwachungsvorgänge gibt, die Sie als Betroffener so technisch nicht unmittelbar wahrnehmen können.

    Heinemann: Schließen Sie aus, dass Frau Merkel es vorher wusste, bevor sie damit an die Öffentlichkeit gegangen ist?

    Herrmann: Da müssen Sie die Bundeskanzlerin fragen. Das ist sicherlich keine Frage, die der bayerische Innenminister beantworten kann.

    Heinemann: Berlin hat vor einigen Wochen einen Katalog mit Fragen nach Washington geschickt. Bisher gibt es keine Antworten. Sollte die Bundesregierung jetzt Druck machen?

    Herrmann: Ja ganz klar, und das hat ja die Bundesregierung auch gestern bereits deutlich gemacht. Das ist der Sinn dessen, dass man diese Fragen nach Washington geschickt hat, dass sie beantwortet werden müssen, und das muss die Grundlage dann auch für die weiteren Entscheidungen in Deutschland und auch in Europa sein. Wir können das nicht einfach so ungeklärt im Raum stehen lassen. Da muss Klarheit geschehen: Erstens, was ist in der Vergangenheit passiert? Und zweitens muss natürlich auch jetzt eine verbindliche Regelung für die Zukunft geschaffen werden.

    Heinemann: Welches Druckmittel hat Berlin denn?

    Herrmann: Es ist zunächst einmal aus meiner Sicht wirklich eine Frage des grundsätzlichen Verhältnisses zwischen Partnern. Die Amerikaner sehen sich als Führungsnation, gerade auch in der sogenannten westlichen Welt. Wir sind NATO-Partner und wir haben immer gesagt, die NATO ist nicht nur irgendein Zweckbündnis, sondern beruht vor allen Dingen auf den gemeinsamen Werten und vor allen Dingen auf unserem Verständnis von Freiheit in einer demokratischen Gesellschaft. Das ist die Grundlage des NATO-Bündnisses überhaupt.

    Deshalb müssen natürlich gerade die Amerikaner, wenn sie die Führungsrolle in diesem Freiheitsbündnis wahrnehmen wollen, selber ihr Grundrechtsverständnis klären. Das ist eine wirklich sehr, sehr grundlegende Frage. Da geht es nicht nur um eine einzelne Abhöraktion, sondern da geht es darum, wie wir diese Freiheitsrechte insgesamt definieren und was uns da eigentlich verbindet. Das ist ein Kern auch der europäischen Idee, aber es ist eine Grundlage der Zusammenarbeit in der NATO. Deshalb, denke ich, ist es nicht nur eine einzelne technische Frage, was ist da geschehen, sondern ist eine ganz grundsätzliche Frage, wie wir innerhalb dieses Bündnisses mit dem Grundrechtsschutz nicht nur von Regierungschefs, sondern von allen Bürgerinnen und Bürgern umgehen.

    Heinemann: Stichwort Freiheit, Herr Herrmann.

    Herrmann: Deshalb müssen die Amerikaner die Diskussion jetzt auch in ihrem eigenen Parlament dringend führen.

    Heinemann: Stichwort Freiheit, das haben Sie gerade benutzt. Bei uns in der Presseschau ein Auszug aus der "Lausitzer Rundschau", die sagt, Edward Snowden habe auch Angela Merkels Freiheit geschützt. Wie sollte Deutschland seine Dankbarkeit zum Ausdruck bringen?

    Herrmann: Was Snowden im Einzelnen im Schilde führt, ist für mich noch nicht so ganz nachvollziehbar, denn da mache ich umgekehrt auch keinen Hehl daraus: wer sein Freiheitsverständnis damit argumentiert, dass er nun Zuflucht in Moskau sucht, da habe ich persönlich immer noch in der Wertung des verschiedenen Freiheitsverständnisses von Gesellschaften ein bisschen Probleme damit. Aber entscheidend ist nicht die einzelne Person, sondern entscheidend ist, wie die Amerikaner, wie die amerikanische Regierung, wie auch das amerikanische Parlament, der Kongress damit umgeht, denn gerade die Amerikaner sehen ihr Staatsverständnis, die Tradition ihres Staates seit ihrer Gründung ja besonders den Freiheitsrechten des einzelnen Bürgers verpflichtet, und man muss angesichts dessen, was jetzt alles an den Tag gekommen ist, schon fragen: Wie sieht denn dieses Freiheitsverständnis tatsächlich jetzt in der heutigen Praxis der NSA aus?

    Da geht es nicht nur darum, dass man die Tradition der Liberty Bell aufrechterhält, sondern da geht es natürlich schon auch darum, dass man das heute ganz praktisch im 21. Jahrhundert für die Bürger nachvollziehbar beschreibt. Und die Fragen, die müssen sich leider jetzt unsere amerikanischen Freunde schon gefallen lassen, und da erwarten wir jetzt auch dringend Antworten.

    Heinemann: Joachim Herrmann (CSU), der Innenminister des Freistaates Bayern. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Herrmann: Ich danke Ihnen auch, einen schönen Tag.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.