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Die Andere Bibliothek wird 20

Sie wollten alles besser machen als der schnöde Buchbetrieb. Mit individueller Typographie, - "gesetzt auf Korpus Garamond", - auf schönem Papier und gut lesbarem Bleisatz und Lesebändchen, warben sie für ihr schöngeistiges Produkt. "Wir drucken nur Bücher, die wir selber lesen möchten", machten Hans Magnus Enzensberger und Franz Greno - der Dichter und der Drucker - zum Slogan ihrer anderen Bibliothek. Was die gängige Praxis war, da kannte sich Franz Greno bestens aus. Lange Zeit ist er ja selbst für den ehemals alternativen Buchvertrieb 2001 herstellerisch tätig gewesen.

Von Richard Schroetter | 19.01.2005
    Und das waren sehr verschiedene Dinge von der Fackel von Karl Kraus bis zu einer schönen Werkausgabe von Boris Vian, es waren die Heidnischen Altertümer von Arno Schmidt bis zu Global 2000. Es waren ganz weit auseinander liegende Aufgabestellungen, die sich aber alle um das gute Buch gedreht haben. Und es waren auch Merkwürdigkeiten dabei, wie der Nachdruck von Akzente in einer Augen schädlichen Version, zuerst in fünf, dann in sieben Bänden. Aber es wurde alles in sehr hohen Auflagen verkauft. Wir waren ja damals noch Anhänger des demokratischen Buchpreises, der Buchpreis muss wie heute bei Aldi oder diesen Werbeschreiern, der Buchpreis muss runter in den Keller, also wenn die Fackel 1480 DM in der billigsten Verlagsausgabe gekostet hat, dann musste das bei uns in Leinen gebunden für 148 DM zu haben sein.

    Grenos Laufbahn als Büchermensch und Macher klingt wie ein deutsches Märchen vom klugen Handwerksburschen.

    Ich habe mit den Händen begonnen, was ich am Anfang mit zehn Jahren in der Stadtbücherei in München kennen gelernt habe, nämlich Bücher. Mit zehn Jahren bin ich, wenn die Witterung schlecht war, bin ich nicht weit von zu Hause in die Stadtbibliothek hinein, und hatte ein gutes Verhältnis zu diesen älteren Damen, die mit gestrickten Röcken genau dem Bild einer Bibliothekarin entsprachen, das war 1960. Ich war sehr allein, ich war der Jüngste von vier Kinder, mein Vater ist früh verstorben, ich konnte eigentlich sehr viel selbst entscheiden. Ich hatte eine sehr gute Beziehung zu meiner Großmutter mütterlicherseits, die einen kleinen Krämerladen hatte, wo sich etwas abgespielt hat, was ebenfalls in Büchern vorkommt. Meine Großmutter hat sich dadurch ausgezeichnet, dass sie erzählt, erzählt, was bei meinen Eltern nicht so sehr der Fall war, das waren eher stumme Eltern.

    Nach dem Schulabschluss stellte man ihn vor die Entscheidung : entweder Koch oder Schriftsetzer zu werden.

    Und dann habe ich mich für den schönen Beruf des Schriftsetzers entschieden, den es damals noch gab, der damals noch ganz real war. Heute sind das ja ganz andere Dinge, heute sind es eher Mediendesigner - sind alles sehr hochtrabende Dinge - die aber die essentiellen Aufgaben oft gar nicht mehr verrichten.

    Greno ging als Lehrling zum Beck-Verlag nach Stuttgart und dann als guter Linker, man staune in die DDR in den Verlag "Volk und Gesundheit" für ein Jahr. Aber die realsozialistischen Lügen gefielen ihm genau so wenig wie die katholischen seiner Kindheit. Er kehrte in den Westen zurück und landete in Berlin beim linken Klaus Wagenbach-Verlag.

    Es war ein sehr unterhaltsames Jahr bei Wagenbach, ich habe sehr viel gelernt, ich habe Zugang gefunden zu den Ideen von Kurt Wolff, hab Zugang gefunden zu diesen absolut ernsthaften Idee von Klaus Wagenbach, wie ernst man dieses Büchermachen zu nehmen habe, was ich sonst in dieser Branche sehr vermisst habe, vor allem in größeren Häusern war die Ernsthaftigkeit doch weitgehend suspendiert. Bei Wagenbach stand ich auch vor der Frage der politischen Realität, und da stand in dieser Zeit Ende der sechziger Jahre das Kursbuch 21 ins Haus, mit dem schönen Titel Kapitalismus in der Bundesrepublik, und das war meine erste Beziehung zu Enzensberger.

    Enzensberger rührte damals in der Studentenbewegung mit - als findiger Dichter und Orientierungshelfer.

    Und da haben wir das Kursbuch gemeinsam gemacht, da gab es den Kursbogen mit den Verflechtungen der bundesdeutschen Wirtschaft zur Wirklichkeit, und da hab ich dann schon, in dieser Zeit tauchte auch einmal ein großes Buch auf Zettels Traum, die Govert-Stahlberg-Ausgabe, bei Wagenbach kam ich mit Dingen in Berührung, die ich vorher noch nicht erlebt hatte, das war eine äußerst inspirierende Zeit, und die Zeit die ich im Anschluss dann bei Fischer verbrachte, war ebenso lehrreich, das war ein Konzernverlag, der Fischer Verlag gehörte Holtzbrinck, es war ein großes Haus, mit sehr interessantem Rechtbestand, mit sehr interessanten guten Leuten, ich traf dort auf einen Verleger, der hieß Peter Härtling. Es waren mit dabei Arno Schmidt und einige andere Autoren, die auch noch leibhaftig waren, mit denen man sprechen, mit denen man arbeiten konnte, es war eine äußerst interessante Geschichte, und der Verlag war eigentlich fassungslos, dass man Bücher mit Autoren ernst zu nehmen habe, dass man zuerst, dass man die Arbeit erst dann machen kann, wenn ich es gelesen habe, nicht wenn das fertige Buch kommt, dass ich mich dann der Lektüre widme.

    Greno hatte so im Laufe der Zeit seine eigenes Verhältnis zum Buch entwickelt:

    Und für mich war das alte Buch, das antiquarische Buch immer aufregender als das, was ich in der Gegenwart gefunden habe, bei ganz wenigen hatte ich die Idee, dass das Buch etwas Wunderbares war, aber bei den Meisten hatte ich das Gefühl, der Gleichgültigkeit, vor allem ein hochglanzpolierter Schutzumschlag, war die größte Mühe, für die man sich ins Zeug gelegt hat, die anderen Dingen waren nicht so wichtig. Ich weiß noch, wie groß das Gelächter war, als ich das Lesebändchen als Komfortleistung bei 2001 wieder einführte, wie in den einschlägigen Kreisen. Es gab so Kreise, die sich maßgeblich fanden, wie das Buch aussehen muss, nämlich wie ein kleines Brikett, luftiges Papier, also man verkauft Luft zu hohen Preisen, und die Titelseite eines Buches war kaum ein Pfifferling wert.

    In diese Zeit fällt auch die Gründung der anderen Bibliothek:

    Mit Enzensberger hatte ich lockeren Kontakt, und ich hab ihn gefragt mit mir eine andere Bibliothek zu machen, wobei der Namen noch nicht vorhanden war, der kam dann erst im Laufe der Gespräche. Aber es war natürlich, ich will nicht sagen blauäugig, um mit einem Wielandschen Begriff zu arbeiten, aber es war schon blauäugig, ich hatte mich da auf etwas eingelassen, dessen Tragweite ich damals so nicht eingeschätzt hatte.

    Die Andere Bibliothek bot Greno auch Gelegenheit, das Spektrum seiner Künste und seiner eigenen kostbaren Druckerei, die er später aus finanziellen Gründen aufgeben musste, glanzvoll vorzuführen.

    Die Druckerei war, die schönsten Schriften, Montype-Schriften, die kompliziertesten Satzmaschinen, die man sich nur vorstellen kann, die nur in sehr wohlhabenden Druckereien eingesetzt wurden, und dazu brauchte man Menschen und Personal, das diese Arbeit auch beherrscht. Wir haben am Anfang verkündet in unseren Verlautbarungen, zwölf Jahre würden wir das schon gerne machen, zwölf Bücher 144 Bücher, und das hat man Gott sei Dank mit der Hilfe von Eichborn dann auch vollenden können, dass nach 144 Bänden, dass man sich die Hände nicht mehr über den Kopf zusammenschlagen musste über die unerträgliche Kalkulation, die die diese Werkstatt auslöste.

    Sorgte sich Greno um die Form wie er sagt, um die Hülle und Verpackung, so kümmerte sich Enzensberger um den Inhalt, den Kosmos seiner Wissbegier in dieser schönen Reihe erfolgreich unterzubringen:

    Wir hatten klare Absprachen: Enzensberger war für die Inhalte zuständig und ich für die Form, die verlegerische Seite, um die Bücher unter die Leute zu bringen, unter die Medien zu rühren.

    Greno rührte unter - Enzensberger führte die Leser an.

    Man konnte Weltreisen für die Andere Bibliothek unternehmen, man kam in die Kerker der Inquisition, man kam in den Himmel zu den Göttern. Man war gut auf Reisen, man war in Phantasiewelten, man bekam Auskünfte über die Spießer, man bekam Reportagen aus Afrika, am Hofe Haile Selassi, man kam vom Nil zum Amazonas, man kam von Zentralasien auf langen Fußwanderungen kam man in den Garten von Kierkegaard. Das hat die Interessen der geneigten Leser vielleicht manchmal strapaziert, aber nie gelangweilt.

    Gewiss wurden manchmal auch die Leser strapaziert, doch weitaus strapazierender noch gestaltete sich in den letzten Jahren das Verhältnis der leidenschaftlichen Büchermacher Enzensberger und Greno zur Eichborn-AG, bei der die Andere Bibliothek seit 1989 erscheint. Auch wenn Hans Magnus Enzensberger Ende Dezember verkündete, es sei der Moment gekommen, mit der Anderen Bibliothek aufzuhören, im September soll der letzte Band erscheinen, was wirklich schade wäre; - der Subtext lautet doch anders: weitermachen, durchaus - ja, aber nicht so wie bisher.

    Warum sollen wir das bis zum Sankt-Nimmerleinstag hegen und pflegen, wenn wir das Gefühl haben, dass wir in unserem Umfeld nicht so arbeiten können, wie wir wollen, dann muss man sich neue Bedingungen wieder erarbeiten. Wir sollten in die Lage kommen, dass man mit uns etwas gemeinsam machen will, dann werden wir es prüfen, und wenn wir zu dem Schluss kommen, dass es nicht schlechter ist als was wir in den letzten 20 Jahren gemeinsam gemacht haben, dann werden wir sicherlich nicht nein sagen.