Mittwoch, 24. April 2024

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Die anrüchige Unbekannte
Wie Biomasse zum Schrittmacher der Energiewende werden soll

Wenn man das Land vor lauter Windkraftanlagen nicht sieht, verliert man leicht den Blick für einen anderen aufkeimenden (erneuerbaren) Energieträger: Um uns herum ist überall Biomasse! Landwirte vergären Gülle, produzieren daraus Biogas und am Ende Strom und Wärme. Heizkraftwerke verbrennen Rest- und Abfallhölzer. Hausbesitzer ersetzen ihre alten Ölbrenner durch "Holzpellet-Heizungen". Ja, sogar die Autoindustrie schwenkt um: Diesel- und Otto-Kraftstoff sollen schon bald großindustriell aus Holzabfällen und "Energiepflanzen" gewonnen werden. Dabei wird die Rolle der heimischen Ressource meist unterschätzt. Nach den Plänen Berlins und Brüssels soll die Biomasse sogar zum Schrittmacher der Energiewende werden. In keinem anderen Bereich erhoffen Experten so große Zuwächse bis 2020 – nicht einmal bei der Windenergie. Vorhang auf für eine verkannte Energiequelle ...

Von Volker Mrasek | 30.05.2004
    Ja, wir gehen jetzt in den Ferkelstall, wo also die Ferkel zwischen fünf und 25, 28 Kilo bleiben. Unsere Energie-Lieferanten ...

    Wie man sieht, benehmen die sich jetzt wie die Schweine. Der Stärkste kriegt was. Die saufen jetzt.


    Die Schweine leben bei uns auf speziell für sie konstruierten Gußrosten bzw. Kunststoff- und Betonrosten. Also, wenn Sie ab und zu mal durch die Spalten gucken, sehen Sie so ganz vage, ja, die Gülle liegen. So, die kann ich eben ablassen. Dann läuft die vorne in eine Grube. Und von dort aus fahren wir die eben im Tankwagen.

    Mancher mag über Gülle die Nase rümpfen. Vor allem, wenn die Exkremente von Schweinen oder Hühnern als Dünger auf dem Feld landen. Und dann einen bisweilen stechenden Geruch verbreiten.

    Nicht so auf dem Hof Loick in Dorsten-Lembeck, 20 Kilometer nördlich von Essen, wo Ruhrgebiet und Münsterland einander ablösen.. Und wo der staatlich geprüfte Landwirt Stefan Börger nicht nur Schweineställe betreut, sondern einen ganzen Energiepark.

    Hier liegt kein Harnstoff in der Luft. Die Gülle geht nicht auf den Acker, sondern in einen riesigen geschlossenen Gär-Tank, einen Fermenter. Dort wird sie vergoren und gebiert einen biologischen Brennstoff: sogenanntes Biogas. Sein Hauptbestandteil: brennbares Methan.

    Wie auf Bestellung tuckert gleich nach der Stall-Inspektion auch schon ein Traktor mit Anhänger auf den Hof …

    Der tankt jetzt hier das Faß voll. Und fährt damit zur Biogasanlage. Und dann hat er heute vormittag etwas Mais und ’n bisschen gehäckselten Roggen dazugefahren. Und da kommt die Anlage dann wieder ein, zwei Tage mit aus.

    Der Bauernhof Loick in Lembeck mit seiner Biogas-Anlage ist ein Musterhof. Ein Modell und Vorbild für das, was uns in den kommenden Jahren und …
    … Jahrzehnten gelingen soll: ein grundlegender Umbau unserer Energieversorgung, der Umstieg von fossilen auf erneuerbare Brennstoffe. Im Idealfall bin hin zur Selbstversorgung mit sauberer Energie wie auf dem Lembecker Hof.

    Um Energie zu gewinnen, braucht es im Prinzip keine Bodenschätze, die sich über geologische Zeiträume in der Erdkruste angehäuft haben. So wie Erdöl und Erdgas, deren Vorräte vielleicht nur noch für dieses Jahrhundert reichen. Wenn überhaupt.

    Energie steckt auch in den Naturgewalten. Und sie lässt sich anzapfen, auf vielfältige Weise. Ohne dass dabei - wie im Fall der Nutzung von Öl, Gas und Kohle - CO2 entsteht: ein Treibhausgas und der Hauptverursacher der gegenwärtigen Klimaerwärmung ...

    Das fängt natürlich mit der Wasserkraft an, die ja seit Jahrhunderten von der Menschheit genutzt wird. Dann haben wir natürlich die Windenergie, die jetzt dabei ist, sich auf das Meer hinaus zu bewegen. Dann haben wir als ganz große Energiequelle die Strahlungsenergie, die quasi unerschöpflich ist. Wir nutzen sie heute in Form der Warmwasser-Kollektoren zur Warmwasserbereitung. Oder ganz modern, mit Hilfe der Photovoltaik, zur direkten Stromerzeugung.

    Joachim Nitsch beschäftigt sich seit Jahren mit neuen Energie-Technologien. Der Ingenieur forscht am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, DLR. Er leitet die Abteilung für Systemanalyse am Standort Stuttgart.

    Die Liste der erneuerbaren Energieträger lässt sich noch verlängern. Nitsch könnte sie zum Beispiel um die Geothermie erweitern, die nutzbare Wärme in der oberen Erdkruste. Oder auch - um die Biomasse …

    … sprich: zunächst mal die ganz normale Holzverbrennung, die wir ja auch seit Menschengedenken nutzen. Das geht dann hin bis zur Nutzung des Biogases, das heißt der Vergärung von landwirtschaftlichen Abfällen. Mit dem Gas kann dann Strom und Wärme erzeugt werden. Und endet dann auch bei der Herstellung von Kraftstoffen auf der Basis von Biomasse.

    Biomasse. Das ist der regenerative Energieträger direkt vor unserer Haustür. Oder sogar in den eigenen vier Wänden - organisches Material in jeder erdenklichen Form …

    Biomasse, das ist die Gülle im Viehstall, …

    … das ist der Faulschlamm im Klärwerk, …

    … das sind Holz- und Rindenreste im Wald, …

    …das sind Speiseabfälle aus Küche und Kantine, …

    … das ist das Stroh auf abgeernteten Feldern, …

    … das sind schließlich Raps, Zuckerrüben und Mais, gezielt angebaut als so genannte Energiepflanzen, um daraus Bio-Diesel oder Ethanol zu gewinnen:

    Ein sehr weites Feld, das in der Öffentlichkeit so in der gesamten Breite oft nicht wahrgenommen wird.

    Martin Kaltschmitt dagegen kennt das Spektrum der Bio-Energieträger nur zu genau. Der Geo-Ingenieur leitet das Institut für Energetik und Umwelt in Leipzig und ist Honorarprofessor für Erneuerbare Energien an der TU Bergakademie Freiberg in Sachsen …

    Vom Grundsatz her kann man aus jedem organischen Material in irgendeiner Form Energie gewinnen. Seien es nun die Primärprodukte, die zum Beispiel in Form von Pflanzen wachsen, über die direkte Nutzung des Sonnenlichtes über die Photosynthese. Oder Sekundärprodukte, die beispielsweise schon ’ner gewissen Umwandlung unterworfen sind, wie zum Beispiel das Gras, das durch den Tiermagen durchgelaufen ist, und dann in Form von Gülle hinten rauskommt. Auch das kann dann genutzt werden, zum Beispiel zur Biogas-Erzeugung.

    Nicht nur für Kaltschmitt ist die verkannte Biomasse deshalb vor allem eines:

    Mit Sicherheit der regenerative Energieträger, der am vielversprechendsten ist in Deutschland.

    Ja, mehr noch! Biomasse soll zum Schrittmacher der Energiewende werden. Von keinem anderen erneuerbaren Energieträger versprechen sich Experten in nächster Zeit solche Zuwächse.

    Im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht zwar seit Jahren die boomende Windenergie; in Nord- und Ostsee sind für die nächsten Jahre riesige Propeller-Parks geplant.

    Doch noch stärker als die vieldiskutierten Windkraftanlagen soll die Biomasse ihren Anteil am Energie-Mix steigern. Die Europäische Union hat sich gerade erst ein ambitioniertes Ziel gesetzt: Im Jahr 2020 soll in den EU-Staaten bereits ein Fünftel der verbrauchten Primärenergie aus erneuerbaren Quellen stammen. Vorgesehen ist, dass die Biomasse davon deutlich mehr als die Hälfte beisteuert.

    Noch ist die Zeit nicht reif für regenerative Groß-Technologien. Für solarthermische Kraftwerke etwa, die gebündeltes Sonnenlicht einfangen und daraus Strom erzeugen. Oder für geothermische Kraftwerke, die die Erdwärme in tiefen Gesteinsschichten nach oben leiten und nutzbar machen

    Das sind keine Utopien. Solche Großkraftwerke werden kommen. Erste Pilotanlagen laufen schon. Doch bis diese Technologien flächendeckend eingeführt sind, dürften noch Jahrzehnte vergehen.

    Einstweilen soll die Energiewende deshalb im Kleinen beginnen, mit der forcierten Nutzung von Biomasse. In Deutschland stellt die Politik gerade die Weichen dafür: Wer eine moderne Biogasanlage baut und produzierten Strom ins Netz einspeist, darf bald mit einer höheren Vergütung rechnen.

    Bei der Biomasse liege tatsächlich ein großes Potential brach, sagt der Physiker Uwe Fritsche, Klima- und Energie-Experte des Öko-Instituts in Darmstadt:

    Im Bereich der Wärme machen wir 4 Prozent unserer Wärme etwa aus Bioenergie. Bei den Kraftstoffen knapp 1 Prozent, das ist Biodiesel. Bei der Stromerzeugung ist es weniger als ein halbes Prozent. So dass wir sagen: Da ist ein sehr, sehr großes Potential. Unsere Untersuchungen haben ergeben: beim Strom 15 Prozent, bei der Wärme etwas über 10, und bei den Kraftstoffen für Pkw ebenfalls etwa 15 Prozent, die wir bekommen können. Das ist also ein vergleichsweise großes Potential, das wir zusätzlich gewinnen können - mehr als zum Beispiel Sonnenenergie und Wind zusammen. Also wirklich eine beachtliche Größe bis zum Jahr 2030.

    Wir betreten die Anlage jetzt durch die Hintertür quasi …

    Der Loick-Hof in Lembeck. Umzug vom Ferkelstall in die Energiezentrale. Marcel Hengst passiert das Gülle- und Reststofflager, einen kreisrunden Behälter, stolze 22 Meter im Durchmesser. Das spinatgrüne Trag-Luft-Dach verleiht ihm etwas von einer Zirkuszelt-Kuppel …

    Hier vorne rechts stehen zwei blau angestrichene ursprüngliche Seecontainer, die mit dem Lkw hier in Deutschland gefahren werden beziehungsweise auf den Weltmeeren mit großen Schiffen. In diesen Containern sind unsere Blockheizkraftwerke untergebracht. Die Blockheizkrafte produzieren aus Gas Strom und Wärme. So, wenn man jetzt näher rangeht, hört man’s auch leicht brummen.

    Hengst ist eigentlich studierter Bergmann, Ingenieur für Erdöl- und Erdgastechnik. Er war selbst noch unter Tage. Jetzt zählt er zum Team am Loick-Hof, der von fossilen Rohstoffen heute praktisch unabhängig ist. Seine persönliche Energiewende hat Hengst also längst vollzogen …

    Also, durch die dicke Lärmschutztür sind wir jetzt im Vorraum gelandet. Von hier aus kann man das Blockheizkraftwerk starten. Und jetzt springt der Kompressor an für die Druckluftversorgung. Der springt immer an, wenn man gerade die Tür aufgemacht hat und sich unterhalten will. Da würde ich vorschlagen: Gehen wir direkt durch in das Herzstück des Containers, zum Motor.

    8 Zylinder, runde 12 Liter Hubraum - in dem Container läuft ein ganz schöner Brummer, wie Marcel Hengst ihn nennt. Und das rund um die Uhr, von wenigen Wartungsintervallen im Jahr einmal abgesehen …

    Der Motor verbrennt das entstehende Biogas und wandelt es in mechanische Energie um. Mechanische Energie wird in dem Generator in elektrischen Strom umgewandelt. Der zweite Pfad ist die Wärme. Wir können also einmal aus dem Kühlwasser des Motors Wärme auskoppeln. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, das Abgas zu kühlen. Deswegen haben wir auf dem Dach des Containers einen Abgas-Wärmetauscher installiert. Wir produzieren hier Heizwasser mit einer Vorlauftemperatur von 89 Grad, 90 Grad. Was also ausreicht, um ’ne Heizungsanlage zu betreiben.

    Das eigene Blockheizkraftwerk macht den Loick-Hof unabhängig. Der Biogas-Motor produziert genügend Heizungswärme nicht nur für Haus und Stallungen. Es reicht auch noch für einen angeschlossenen Betrieb, der Verpackungen aus nachwachsenden Rohstoffen herstellt. Der Großteil des erzeugten Stroms …
    … wiederum wird ins öffentliche Netz eingespeist. Die Menge entspricht in etwa dem Bedarf von 500 Haushalten.

    Doch die Anlage wirft noch mehr ab als Strom und Wärme …

    Jetzt gehen wir in eine kleine Halle. Die kleine Halle nennen wir die Schaltwarte, weil von hier aus die Steuerung der Biogasanlage vorgenommen wird. Beziehungsweise ist hier die Notheizung untergebracht. So, und in der Ecke steht der silberne Schrank, die unsere thermische Kältemaschine ist Erzeugt gerade aus dem etwa 13 bis 14 Grad kalten Wasser, was von der Produktion der Verpackungsmaterialien zurückkommt, sechs Grad kaltes Wasser, was dann dort zur Kühlung der Maschinen dient.

    In der Schaltwarte ist nun auch Stephan Kabasci eingetroffen. Der Chemie-Ingenieur kommt vom Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik in Oberhausen. Als Spezialist für Bioverfahrenstechnik hat er den Aufbau des Energiesystems auf dem Lembecker Hof fachlich begleitet. Jetzt lehnt er an der Kälte-Absorptionsmaschine …

    Hinzu kommt im Sommer, dass sie für die Kühlung von Schweineställen eingesetzt wird. Es gibt da gemischte Heizkühlschlangen, wo dann umgestellt werden kann von Heißwasser zum Erwärmen der Ställe im Winter dann auf Kaltwasser im Sommer, so dass auch das Jahr über gesehen diese Kombination eine sehr gute Möglichkeit bietet, möglichst vollständig die Wärme des Blockheizkraftwerkes zu nutzen.

    Aus Gülle und Ernterückständen werden Strom, Heizungswärme - und auch noch Klimatisierungs-Kälte. Der Lemberger Hof ist so zu einem …
    … Leitprojekt avanciert, nach Kräften gefördert von der Landesinitiative Zukunftsenergien in Nordrhein-Westfalen…

    Ja, das Projekt hier am Hof Loick hat Leitcharakter, weil hier das erste Mal in Deutschland die Kombination der verschiedenen Bausteine Biogasanlage, Gasmotor und thermisch angetriebene Kältemaschine im Verbund installiert wurde. Durch die Stromerzeugung aus den erneuerbaren Energien selbst wird selbstverständlich an anderer Stelle praktisch konventionell erzeugter Strom verdrängt. Und dadurch kommt es zu Einsparungen in der CO2-Bilanz. Also, es ist eine innovative Systemlösung …

    … eine Lösung, die aus Landwirten zugleich Energiewirte macht, autarke Strom- und Wärmeerzeuger.

    Diese Doppelrolle sollen in Zukunft immer mehr Bauern ausfüllen. Das Potential für weitere Biogas-Anlagen in deutschen Agrarbetrieben ist noch lange nicht ausgeschöpft, glaubt man Experten wie Fraunhofer-Forscher Kabasci:

    Ich würde schon davon ausgehen - der momentane Stand sind etwa 2.000 Biogasanlagen in Deutschland -, dass diese Zahl verzehnfacht werden kann in den kommenden Jahren. Im Moment haben wir schon eine Anschlußleistung von 250 Megawatt elektrisch. Wenn wir das verzehnfachen, dann sind wir immerhin schon bei der elektrischen Anschlußleistung zweier großer Kernkraftwerksblöcke oder drei bis vier Kohlekraftwerken, die dann auch in der Grundlast ersetzt werden durch umweltfreundliche Bioenergie. Im Laufe der nächsten zehn bis 20 Jahre sehe ich das als realistische Option an.

    Allerdings: Die Bio-Energiewende ruht nicht allein auf den Schultern der Landwirte, wie auch Uwe Fritsche vom Darmstädter Öko-Institut betont:

    Man darf nicht nur dran denken, dass es um Landwirte geht, die ein bisschen Reststoffe aufsammeln am Feldrand. Das ist auch wichtig! Aber diese Bioenergie-Ströme durchziehen die ganze Gesellschaft: Wir haben in unseren Abfällen auch jede Menge Nahrungsmittelreste. Bei industriellen Prozessen in der Lebensmittelindustrie, Weinherstellung, Tabakindustrie - überall gibt es organisches Material, mit dem man Energie-gewinnungsprozesse betreiben kann.

    Auch der gewöhnliche Hausbesitzer kann etwas tun - indem er seine alte Öl-Heizung durch eine Anlage ersetzt, die Holz-Presslinge verfeuern, so genannte Pellets. Der Brennstoff stammt dann nicht aus nahöstlichen Erdöl-Quellen oder Förderfeldern in der Nordsee, sondern aus heimischen Sägewerken und Wäldern. Gewonnen werden die Pellets aus Holzabfällen und -resten, also wiederum aus CO2-neutraler Biomasse …

    Und der andere Weg ist natürlich: In dem Maße, wie unser Kraftwerkspark zum Beispiel erneuert wird, wird man hoffentlich dazu kommen, nicht mehr so viele Kohlekraftwerke und Gaskraftwerke zu bauen, sondern eben - dann allerdings kleinere - Biokraft- und Heizkraftwerke.

    Ein typischer Vertreter ist hier das Holz-Hackschnitzel-Heizkraftwerk. Darunter versteht man eine Anlage, die mit kleingehäckseltem Holz läuft, daraus Strom und Wärme gewinnt und so eine größere Zahl von Haushalten und Betrieben versorgt.

    Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Der Stadt Pfaffenhofen in Bayern verhalf ein Holz-Heizkraftwerk dazu, den CO2-Ausstoß um ein Drittel zu senken.

    Solche Biomasse-Kraftwerke haben eine ähnliche Perspektive wie die Biogas-Anlagen auf den Bauernhöfen. Wie andere Energieexperten erwartet auch Martin Kaltschmitt, dass sie weiter zunehmen:

    Und zwar hat sich seit 2000 die Anlagenzahl der mit fester Biomasse befeuerten Heizkraftwerke und Kraftwerke von roundabout 50 auf Ende 2003 in der Größenordnung von etwa 80 erhöht. Die installierte Leistung ist hochgegangen von 150 Megawatt auf knapp 400 Megawatt. Wobei es so ist, dass noch deutlich weitere Anlagen der 20-Megawatt-Klasse ins Netz gehen werden, die i.w. Altholz einsetzen.

    Kleinvieh macht auch Mist - für den Beitrag der Biomasse zur Energiewende gilt das ganz besonders. Jedenfalls im stationären Anlagenbereich. Da wird es eine Vielzahl von Biogas-Anlagen und Biomasse-Kraftwerken brauchen, um Strom und Wärme in großen Mengen bereitzustellen.

    Im mobilen Sektor dagegen, bei der Suche nach alternativen Kraftstoffen für den Verkehr - da sieht die Sache anders aus. Da wird von der Biomasse Großes, ja geradezu Kühnes erwartet …

    Wir sind hier mitten in Wolfsburg, bei Volkswagen. Ja, vor uns eines unserer typischen Produkte hier, ein Passat mit Dieselmotor, in dem Fall mit ’nem V6 TDI. Nummerschild, das übliche. Natürlich das VW-Zeichen. Und dann gibt’s da unten diesen kleinen sehr dezenten Aufkleber. Sieht aus leicht wie eine Margerite. O.k., jetzt starten wir mal den Motor. Und ich denke, dann fahren wir los.

    Harthmuth Hoffmann und Wolfgang Staiger brechen auf in ihrer Werks-Limousine. Hoffmann ist bei VW zuständig für die Kommunikation in Sachen Technik, Staiger in der Konzern-Forschung und dort verantwortlich für neue Antriebskonzepte.

    Der Briefmarken-große Aufkleber am Heck kommt deshalb nicht von ungefähr. Sunfuel steht darunter: Sonnen-Sprit. Der Werks-Passat tankt einen Kraftstoff, der noch gar nicht erhältlich ist, von dem aber manche sagen, es sei der Auto-Sprit der nahen Zukunft. Hergestellt nicht aus Erdöl, sondern aus Biomasse …

    Der große Vorteil ist der, dass, ob wir jetzt Sunfuel tanken oder konventionellen Diesel-Kraftstoff - das spielt überhaupt keine Rolle. Ich merk’ da überhaupt keinen Unterschied. Das wär’ absolut identisch. Auf der Zapfsäule würde dann allenfalls Sunfuel draufstehen. Jetzt isser voll. Und damit können wir wieder wegfahren.

    Alle Welt spricht vom Brennstoffzellen-Auto, das mit Wasserstoff fährt. Aus seinem Auspuff quillt nur noch Wasserdampf und kein CO2 mehr. Das ist die Vision für den künftigen, klimaverträglichen Verkehr.

    Doch der Weg bis dorthin ist noch weit. Wolfgang Staiger spricht hier nicht nur für VW:

    Aus heutiger Sicht wissen wir, dass in der absehbaren Zukunft, und damit meinen wir die nächsten 20 Jahre, Wasserstoff nur eine äußerst kleine Rolle spielen kann.

    VW verfolgt deshalb jetzt eine andere Strategie, die da lautet: Evolution statt Revolution!

    Solange die Wasserstoff-Welt noch auf sich warten lässt, sollen Autofahrer ruhig weiter wie gewohnt Diesel oder Benzin tanken. Nur wird der Kraftstoff bald aus einer neuen Quelle stammen. Und synthetisch sein, wie die Experten sagen:

    Wir unterscheiden zur Zeit i.w. zwei Klassen von synthetischen Kraftstoffen. Das eine sind die Synfuels. Und die zweite Klasse sind die Sunfuels. Synfuels sind aus fossilen Energien hergestellte synthetische Kraftstoffe. Die werden als nächste in den Markt kommen, zumal im Moment die Mineralölindustrie ihre Kapazität dort maßgeblich ausbaut. Man kann heute einen Diesel-Kraftstoff zu niedrigeren Preisen aus Erdgas herstellen als aus Erdöl. Die zweite Stufe ist dann der Ersatz des Erdgases durch regenerative Energien und im wichtigsten Fall durch Biomasse.

    Das sind dann die Sunfuels …

    Das eröffnet neue Möglichkeiten bezüglich der Kohlendioxid-Reduzierung. Das geht normalerweise bei den konventionellen Systemen nur über eine Verbrauchsreduzierung. Jetzt kriegen wir aber durch den geschlossenen CO2-Kreislauf der Biomasse eine zusätzliche enorme CO2-Reduzierung, die wir nicht über Verbrauchsmaßnahmen jemals erzielen könnten.

    Euphorisch sprechen Staiger und andere Entwickler auch von Designer-Kraftstoffen …

    Wir haben heute circa zwei- bis dreitausend einzelne Moleküle im Kraftstoff drin, von denen wir nicht einmal die Hälfte kennen.

    Darunter sind viele unerwünschte Begleitsubstanzen des Erdöls, zum Beispiel Schwefel oder aromatische Kohlenwasserstoffe …

    Bei den synthetischen Kraftstoffen haben wir i.w. zehn Moleküle noch.

    Auch das ein Vorteil von Syn- und Sunfuel: Der neue Kraftstoff wird gleichsam komponiert; er ist deshalb schmutzfrei und soll ungemein sauber verbrennen.

    Doch wie lassen sich Diesel und Benzin überhaupt aus Biomasse herstellen?

    Bitte folgen! Wir gehen ein paar Schritte weiter. Wir folgen dem Weg des Holzes. Das Holz ist hier in dem Dosierbunker und wird jetzt in die erste Prozeßstufe unseres Vergasungsverfahrens eingeschleust. Das ist der so genannte Niedertemperatur-Reaktor.

    Der Kraftstoff, den Wolfgang Staigers Passat in Wolfsburg testweise tankt - hier wird er produziert: in einer Prototyp-Anlage im sächsischen Freiberg, bei der Firma Chorén. Ein Stahlbau, viergeschossig, 16 Meter hoch, kompakt wie ein Getreide-Silo. Hinter der unscheinbaren Fassade wimmelt es von Reaktoren, Kompressoren und Verdichtern.

    Jochen Vogels, Ingenieur bei Chorén, zieht es auf die dritte Ebene, neun Meter über dem Erdboden. Dort kommt man am besten an den Kern der Anlage ran, den Hochtemperatur-Vergaser. Auch der technische Betriebsleiter Mirko Roth ist mit von der Partie …


    Muss man sich so vorstellen wie einen großen, vertikal aufgestellten Behälter, mit einer Gesamtlänge oder -höhe von ungefähr acht Metern. Das ist das Herzstück unserer Vergasungsanlage, in dem die Biomasse-Ströme in das eigentliche Roh-Synthesegas umgewandelt werden. Hier steckt also wirklich Hightech drin. [Und] das gesamte Knowhow dieser Firma steckt in diesem Hochtemperatur-Reaktor.

    Chorén gilt als Pionier und Wegbereiter der neuen Bio-Kraftstoffe. In jahrelanger Arbeit hat das sächsische Unternehmen ein erstes vielversprechendes Herstellungsverfahren entwickelt und weltweit patentieren lassen. Sein Prinzip: Holz oder andere feste Biomasse wird nicht verbrannt, sondern vergast.

    In einem ersten Verfahrensschritt entstehen ein Schwelgas und so etwas wie Holzkohlen-Staub. Beide werden an späterer Stelle wieder in den Prozeß eingeführt - ein raffinierter Trick: So kommt man schließlich zu einem Teer- und …
    … Kondensat-freien, sauberen Roh- oder Synthese-Gas. Das lässt sich leicht verflüssigen, in einer katalytischen Reaktion, die Chemiker als Fischer-Tropsch-Synthese schon lange kennen.

    Am Ende gewinnt Chorén auf diese Weise reine Kohlenwasserstoffe aus Restholz, die zu Diesel oder Benzin weiterverarbeitet werden können. Seit sechs Jahren laufe die Pilotanlage inzwischen, sagt Jochen Vogels, …

    … und hat seitdem den technischen Nachweis für die Erzeugung eines teerfreien Gases aus Biomasse einwandfrei erbracht. In einem zweiten Schritt haben wir dann also zum ersten Mal im Sommer 2003 synthetischen Biokraftstoff aus Holz hergestellt. Im Moment sind wir davon überzeugt, dass es der Kraftstoff der Zukunft sein wird. Ich denke, dass im nächsten Jahrzehnt wir von durchaus signifikanten Mengen für diese synthetischen Kraftstoffe ausgehen können.

    VW geht sogar noch einen Schritt weiter. In Wolfsburg erwartet man, dass schon bald die Grenzen zwischen Diesel und Benzin verwischen. Und dass es zu einer Evolution auch bei den Motorenkonzepten kommt. Wolfgang Staigers Team arbeitet bereits kräftig daran:

    Die Designer-Kraftstoffe ermöglichen jetzt eine Entwicklung neuer Brennverfahren. Und wir haben die klare Absicht, ein Nachfolgeverfahren zu entwickeln, das sowohl die Vorteile der Diesel- als auch die der Ottomotoren-Brennverfahrenstechnologie beinhaltet. Man wird also dann noch von einem neuen Verbrennungsmotor reden, aber nicht mehr von einem klassischen Diesel- und Otto-Motor. Der aktuelle Stand, wie wir ihn auf unseren Forschungsprüfständen im Moment laufen haben, das sind homogene selbstzündende Ottomotoren, die jetzt zwangsläufig auch vergleichbare Verbräuche haben wie die heutigen Dieselmotoren. Da ist quasi kein Unterschied mehr.

    Sprecherin (0’10): Neben Volkswagen steckt auch der Daimler-Chrysler-Konzern Forschungsmillionen in die Sunfuel-Technologie. Weitere Autohersteller werden sicher folgen, nicht nur in Europa …

    Zur Zeit wird diese Technologie rund um die Erde diskutiert. Wir haben einen Impuls ausgelöst, der jetzt um die ganze Welt strahlt und damit die Wahrscheinlichkeit, dass so etwas umgesetzt wird, dramatisch erhöht.

    Sprecher (0’21): Auch Autokonzerne und Mineralölindustrie bauen also auf Biomasse als künftige Brennstoff-Quelle. Nur denken sie in ganz anderen Dimensionen als die Betreiber von ländlichen Biogas-Anlagen oder Holz-Kraftwerken. Von Sunfuel müssen jährlich mehrere Millionen Tonnen bereitstehen. Sonst kommt eine breite Markteinführung gar nicht erst in Betracht.

    Sprecherin (0’10): Die Frage, die sich auch der Darmstädter Biomasse-Experte Uwe Fritsche stellt, lautet deshalb: Wo sollen die ganzen Rohstoff-Massen herkommen?

    Die Anlagen, werden vergleichsweise groß sein. Etwa so groß wie ein Heizkraftwerk in einer Großstadt, mit ziemlich hohem Brennstoffbedarf aus Biomasse, der regional nicht zu decken sein wird. Also, wesentlich mehr als 15 Prozent des Pkw-Kraftstoff-Bedarfs - also, die Lkw sind da noch gar nicht drin und das Flugzeugbenzin - werden wir aufgrund der Flächenrestriktionen auch langfristig nicht bekommen. Also, die Verkehrswende wird man mit Bio-Kraftstoffen nicht hinbekommen. Und die Bio-Energie ist also nur ein Baustein.

    Ein Baustein allerdings, auf dem das Fundament der Umstellung unserer Energieversorgung zunächst maßgeblich ruhen wird.

    Biomasse mag es vielleicht nicht fertigbringen, den Kraftstoff-Markt völlig umzukrempeln. Auch sie ist eine begrenzte Ressource. Doch hat sie das Zeug dazu, ihren Anteil an der Strom-, Wärme- und Sprit-Erzeugung in Deutschland und Europa noch kräftig - und rasch - zu steigern. Das ist nicht nur ein frommer Wunsch von Energiepolitikern, das bestätigen auch die Prognosen von Wissenschaftlern.

    Die Energiewende der Zukunft ist damit zugleich eine Rückbesinnung. Die Abkehr von fossilen Rohstoffen bedingt eine Rückkehr zu Ressourcen, die der Mensch seit jeher nutzte, aber zuletzt vergaß, als er in das Industriezeitalter eintrat …

    Seit der industriellen Revolution ist die Kohle als hochgradig interessanter Energieträger forciert worden, und der hat die Bio-Energie so ein bisschen in den Dornröschenschlaf in den Industriegesellschaften geschickt. Biomasse ist vom Grundsatz her ein alter Hut. Jedes Lagerfeuer nutzt Bio-Energie Wobei natürlich hier eine ganze Reihe neuer Entwicklungen stattgefunden hat, so dass wir heute die Bio-Energie deutlich effizienter nutzen. Es ist noch eine stille Evolution. Ich hoffe, dass sie bald etwas lauter wird. Bitte folgen! Wir gehen einfach ein paar Schritte weiter …