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"Die Arabellion geht weiter"

Die Proteste in Tunesien seien Teil des schmerzhaften Demokratisierungsprozesses, sagt Islamwissenschaftler Albrecht Metzger. Er habe die Hoffnung, dass die säkulare Opposition sich zu einer Einheit zusammenraufe und eine Gegenposition zur islamistischen Ennahda-Partei werde.

Albrecht Metzger im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 08.02.2013
    Tobias Armbrüster: Und am Telefon ist jetzt der Islamwissenschaftler Albrecht Metzger, er hat sich intensiv mit den politischen Strömungen in der Region beschäftigt. Schönen guten Tag, Herr Metzger!

    Albrecht Metzger: Guten Tag, Herr Armbrüster!

    Armbrüster: Erleben wir in Tunesien gerade, wie die Arabellion ihr bitteres Ende findet?

    Metzger: Das glaube ich nicht. Ich glaube, die Arabellion geht weiter. Ich glaube, das ist ein Teil des schmerzhaften Demokratisierungsprozesses. Ich bin grundsätzlich Optimist, ich hoffe, dass der Demokratisierungsprozess am Ende Erfolg haben wird. Es besteht die Gefahr, dass zwischendurch Gewalt stattfinden wird, dass es sogar in Gewalt umschlagen wird. Aber trotzdem glaube ich, dass dies eben eine Auseinandersetzung ist zwischen Säkularisten und Islamisten, und dass das deswegen eben ein Teil dieses Demokratisierungsprozesses ist, der, glaube ich, noch eine Weile dauert. Es ist nicht so, dass eben Demokratisierung in den arabischen Ländern von heute auf morgen funktionieren wird, sondern es muss erkämpft werden.

    Armbrüster: Kämpfe sind es in der Tat; in der Ennahda-Partei erleben wir jetzt, wie ein Machtkampf ausbricht. Welche Fraktionen stehen sich da gegenüber?

    Metzger: Genau, also die Ennahda ist eine relativ große Partei, ist eine islamistische Partei, die eben aus Leuten besteht, aus Islamisten, die tatsächlich davon überzeugt sind, dass man eben das demokratische Spiel oder dass man Demokratie akzeptieren soll, dass man Pluralismus akzeptieren soll. Das ist sicher eine Fraktion - auch übrigens um Ministerpräsident Jebali, der also bereit ist, eine Regierung einzusetzen von Technokraten. Aber es ist ganz klar, dass in dieser Ennahda-Partei auch Hardliner zu finden sind, auch solche, die Salafisten sind. Vielleicht werden wir darauf noch gleich zu sprechen kommen, was eben Salafisten von anderen Islamisten unterscheidet. Aber diese Fraktion der Salafisten, die eben fundamentalistischer sind, die intolerant sind, die sind in der Ennahda-Partei vorhanden. Und deswegen kann man nicht generell sagen, dass die Ennahda-Partei eine Partei ist, die Demokratie akzeptiert, sondern es ist eine schillernde Partei, eine vielschichtige Partei.

    Armbrüster: Und was macht Sie denn so optimistisch, dass sich da jetzt die Moderaten durchsetzen?

    Metzger: Gut, sagen wir mal so: Ich bin grundsätzlich optimistisch, dass tatsächlich eben in einem Land wie Tunesien, dass eben die säkularen Kräfte stark genug sind, um eben den Einfluss der Islamisten zurückzudrängen. Im Moment sieht es eben tatsächlich so aus, dass innerhalb der Ennahda die etwas radikaleren Fraktionen stärker sind, dass sie also den Ministerpräsidenten ausbremsen. Ich erhoffe mir eben von Tunesien, dass die säkulare Opposition, die Gewerkschaften, auch die Parteien sich jetzt zusammenraufen, wirklich eine Einheit finden, um eben eine Gegenposition zur Ennahda, zu den Islamisten zu finden. Das ist eigentlich eher meine Hoffnung. Und dass dann innerhalb der Ennahda eben dann auch möglicherweise Kräfte sich durchsetzen, die sagen: Wenn wir eben Demokratie wollen, wenn wir Pluralisierung wollen, dann müssen wir eben auch auf die andere Seite zugehen und nicht eben unseren Willen mit Gewalt durchsetzen.

    Armbrüster: Nun liegt der Vorschlag des Ministerpräsidenten auf dem Tisch, eine Regierung, wie es immer so schön heißt, der nationalen Einheit zu bilden. Könnte eine solche Regierung die Lage befriedigen oder die Situation eher weiter verschärfen?

    Metzger: Nein, ich glaube, so was könnte die Situation befriedigen. Ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob die säkulare Opposition das überhaupt will, ob sie nicht versucht, diese Krise für sich eben zu nutzen und sich klar abzugrenzen von der Ennahda. Also wie gesagt, ich bin mir nicht ganz sicher, ob jetzt nicht nur in der Ennahda eben radikalere Fraktionen sind, die das nicht wollen, sondern ob die Opposition das will. Da bin ich mir gar nicht sicher, muss ich ehrlich sagen. Grundsätzlich ist es immer gut, wenn eben in so einer Konfliktsituation die verschiedenen Parteien zusammensitzen an einer Regierung, aber im Moment bin ich mir nicht sicher, ob das eben von allen Seiten gewollt wird überhaupt.

    Armbrüster: Wir erleben jetzt heute in Tunesien den Generalstreik, gemeinsam wurde dazu aufgerufen von der Opposition und den Gewerkschaften. Wie stark ist der Zusammenhalt zwischen diesen Gruppen?

    Metzger: Also es ist so, dass sich im letzten Jahr, im Sommer 2012 einige dieser Gruppen zusammengetan haben, verschiedene Parteien gegründet haben, "Ruf Tunesiens" zum Beispiel oder "Front Populaire". Diese Parteien haben im letzten Jahr so ein bisschen sich zusammengerauft. Und das ist eben meine Hoffnung, dass jetzt durch die Auseinandersetzung mit diesen Salafisten, auch die Auseinandersetzung mit den gewaltbereiten Salafisten, die eben Säkulare einschüchtern und mit Mord drohen und auch jetzt offensichtlich eben zur Tat geschritten sind, dass jetzt eben die säkularen Parteien sich weiter zusammenraufen und es schaffen, eine kohärente Gegenposition zu den Islamisten zu finden. Das war in allen arabischen Ländern bis jetzt das Problem, dass die säkulare Opposition zerspalten war. Und da habe ich tatsächlich die Hoffnung jetzt, dass diese Spaltung jetzt überwunden wird und dass sie es schaffen werden, bei den kommenden Wahlen tatsächlich ein wirkliches Gegengewicht zu den Islamisten zu bilden.

    Armbrüster: Sagt der Islamwissenschaftler und Maghrebkenner Albrecht Metzger live bei uns hier heute in den "Informationen am Mittag". Besten Dank, Herr Metzger, für das Gespräch!

    Metzger: Ich danke Ihnen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.