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Die arabische Welt und Sexualität

In ihrem Buch wagt sich Shereen El Feki an ein Tabuthema der arabischen Welt: Sex. Sie orientierte sich an einer Erkenntnis des Philosophen Michel Foucault. Der erachtete Sexualität als einen besonders sensiblen Gradmesser für Machtbeziehungen.

Von Susanne El Khafif | 25.02.2013
    Shereen El Feki, der Vater Ägypter, die Mutter Britin, ist in Kanada aufgewachsen. Sie studierte Naturwissenschaften, wurde Immunologin, Journalistin, Buchautorin. Eine Frau, die in Erinnerung bleibt: klein, schmal, von fast mädchenhafter Statur, ein wacher Verstand, ein energisches Gesicht – mit Augen, die ironisch aufblitzen. Eine ungewöhnliche Frau mit einem ungewöhnlichen Buch. "Sex und die Zitadelle" handelt vom Liebesleben in der arabischen Welt - eine Welt, die in diesen Zeiten von sich reden macht. Von ganz anderem, von Aufstand und Aufbegehren gegen autoritäre Regime und politische Unterdrückung. In eben diesen politischen Zeiten ein Buch über Sexualität zu schreiben, scheint da abwegig. Shereen El Feki sieht das anders. Beides sei eng verwoben, stünde in wechselseitigem Einfluss, ob nun in Phasen des Wandels oder in Phasen der Stagnation. Der Schlüsselbegriff für beides laute Selbstbestimmung.

    "Wenn sich eine Frau ihrem Partner sexuell nicht mitteilen kann, wie kann sie es dann auf der politischen Bühne tun? Wenn junge Menschen von ihren Eltern gegängelt werden, nichts in ihrem Leben selbst entscheiden können, wie sollen sie dann aktiv an der Politik teilhaben? Nein, beides hat miteinander zu tun."

    Um es vorwegzunehmen: Das Buch "Sex und die Zitadelle" ist gut, sogar herausragend gut. Die Autorin wagt sich an ein Thema, das besonders heikel und schwierig ist, ein Tabu darstellt, wenn nicht sogar das Tabu in diesem Kulturkreis. Das trotz seiner Relevanz kaum zu recherchieren ist, als wäre vor langer Zeit ein unsichtbarer, undurchsichtiger Schleier über allem ausgebreitet worden. Doch Shereen El Feki löst die Aufgabe mit Bravour, sie trägt Informationen zusammen, akribisch genau, verhilft zu Einblicken, ja unerwarteten Erkenntnissen – und all das gelingt ihr mit einer Leichtigkeit, mit Witz und Ironie, die die oft schwere Kost verträglich macht. Wie in ihrem Kapitel über die "Abu Dhabi Bride Show", die größte Messe für Brautmode im Mittleren Osten.

    "Bei der Bride Show zeigten Hochzeitsveranstalter, was sie drauf hatten, indem sie originalgetreue Nachbildungen von Hochzeitsdekor ausstellten: jede Menge Gold, Talmi, Kristall, Samt, Schmuck, Federn, Blumen, Perlen, Spitzen und Satin, die es in ihrer Gesamtheit darauf anzulegen scheinen, beim Besucher durch Reizüberflutung eine psychosomatische Schockstarre auszulösen."

    Die Autorin überzeugt in ihrem theoretischen Teil, in dem sie darlegt, wie sich Einstellungen zur Sexualität in Ost und West über die Zeit verändert haben. Dabei ist sie in der Wiedergabe der Quellen und in der Reflexion westlicher wie arabischer Positionen präzise und kenntnisreich. Sei es, dass sie sich auf Flaubert, Wilhelm Reich oder Foucault bezieht oder aber auf Bouhdiba, Saadawi oder Ali Ibn Nasr Al Katib, den Verfasser eines Werkes, das im ausgehenden 10. Jahrhundert in Bagdad geschrieben wurde, der Titel: "Enzyklopädie der Lust". Die Autorin präsentiert dabei ein Breiten- und Tiefenwissen, das bewundernswert ist. Shereen El Feki überzeugt in der "Theorie", doch weit mehr noch in der "Praxis". Wenn sie von dem berichtet, was sie selbst erfahren und recherchieren konnte.

    Fünf Jahre lang ist sie durch die arabische Welt gereist, von Marokko nach Ägypten, vom Libanon bis runter zu den Emiraten, dabei hat sie immer wieder Fragen gestellt und Antworten bekommen, von Männern wie von Frauen: Über Sex und Rollenverständnis in der Ehe; die Schwierigkeit, Sexualität außerhalb der Norm, also außerhalb der "Zitadelle", erleben zu können; über Prostitution und Homosexualität; Sexualkunde, Verhütung und Abtreibung; über die Beschneidung von Mädchen und deren Jungfräulichkeit. Dabei lässt die Autorin ihre eigene Familiengeschichte nicht außen vor, lässt teilhaben an dem, was sie fühlt und denkt - ohne jedoch dem Fehler aufzusitzen, die Ebenen zu verwischen. Nein, sie trennt sauber, bleibt objektiv und vorurteilsfrei, nennt die Dinge beim Namen. Ihr Ziel ist es, möglichst viele unterschiedliche Menschen für sich selbst sprechen zu lassen, ob nun die Prostituierte oder den Sozialarbeiter.

    "Ich beobachte, ich gebe wieder, aber ich urteile nicht. Das Beste, was ich tun kann, ist zuzuhören und all diese Stimmen wiederzugeben. Authentisch und ungefiltert. Selbst wenn ich die so umstrittene Beschneidung von Mädchen thematisiere, möchte ich, dass die Leser erst einmal die Welt dieser Mütter betreten, sie sollen verstehen, dass auch diese Frauen rational denken, dass sie zu ihren Kindern nicht grausam sein wollen; natürlich steht es dann jedem frei, sich eine Meinung zu bilden."

    Das Buch "Sex und die Zitadelle" ist erfrischend anders. "Trotz all der Nöte", schreibt El Feki in ihrem Eingangskapitel, "ist dies nicht ein weiteres Buch darüber, was in der arabischen Region falsch läuft. Es zeigt vielmehr das, was gelingt." Und das tut sie. In Israel, in Marokko, in Jordanien und Ägypten. El Fekis Ansatz ist positiv, sie will motivieren und Lösungen aufzeigen. Lösungen, die die Menschen in dieser Region im eigenen kulturellen Kontext entwickelt haben als ein Beispiel für andere in dieser Region. Islam und Sexualität sind miteinander vereinbar, sagt sie, doch das Wissen darum ist verloren gegangen. El Feki will, dass die Menschen lernen, wieder Fragen zu stellen.

    "Wenn sich die religiösen Konservativen heute erheben und sagen: 'Nein, nein, Du kannst das nicht tun, Du darfst das nicht! – das ist haram, verboten, das ist der Westen und Du ein Überläufer!' Ja, dann will ich meine Botschaft dagegen setzen. Dass es nicht stimmt. Dass lange bevor im Westen über Sex gesprochen wurde, es unsere Vorfahren getan haben. Und das in einer offenen, sehr freien Art und Weise, die oft ausgesprochen lustig war."

    Eine ungewöhnliche Frau, ein ungewöhnliches Buch. Eines, das Standards setzt.