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"Die Argumente sind für beide Seiten gut"

Wolfgang Janisch hält die Frage, ob die Bundesregierung ihr Energiekonzept vom Bundesrat behandeln lassen muss, für offen. Es gebe "kein Urteil in der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts, das diese Frage explizit beantworten würde".

Wolfgang Janisch im Gespräch mit Christian Bremkamp | 07.09.2010
    Christian Bremkamp: Kaum hat die Regierung ihr Energiekonzept bis 2050 vorgestellt, schlägt ihr von mehreren Seiten ein Sturm der Entrüstung entgegen. In der Kritik die geplanten Laufzeitverlängerungen von Atomkraftwerken. Am Telefon begrüße ich jetzt Wolfgang Janisch. Er ist Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung" in Karlsruhe. Guten Tag, Herr Janisch.

    Wolfgang Janisch: Guten Tag, Herr Bremkamp.

    Bremkamp: Für wie glaubhaft halten Sie die Einschätzung der Bundesregierung, dass ihr Energiekonzept, insbesondere der Atomkompromiss, nicht vom Bundesrat behandelt werden muss?

    Janisch: Also ich würde sagen, das ist im Moment nach Lage der Dinge eine Frage, die man wirklich als offen bezeichnen muss. Es ist ja so, dass eine ganze Reihe von Gutachten vorliegen, die sozusagen beide Positionen auch mit guten Argumenten vertreten. Es haben sich für die Zustimmungsbedürftigkeit dieser Gesetze ausgesprochen unter anderem der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, und auch der Speyerer Hochschulprofessor Joachim Wieland. Das sind hochrangige Kapazitäten. Auf der anderen Seite haben wir Rupert Scholz. Also die Argumente sind für beide Seiten gut und es gibt kein wirkliches Präjudiz, also kein Urteil in der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts, das diese Frage explizit beantworten würde.

    Bremkamp: Wovon wird es am Ende abhängen, glauben Sie?

    Janisch: Dazu muss man vielleicht ein klein bisschen erklären, worum es geht. Es geht ja um diese sogenannte Bundesauftragsverwaltung. Die Regel nach dem Grundgesetz ist ja die: Wenn der Bund Gesetze macht, dann haben die Länder die Hoheit, diese Gesetze in eigener Verantwortung auszufüllen und umzusetzen. Das ist ja ein gewisser Freiraum, den die Länder haben. Bei bestimmten Materien – dazugehört eben das Atomrecht, aber eben auch der Luftverkehr, also länderübergreifende Belange sind da berührt -, da ist es so, dass es diese sogenannte Auftragsverwaltung gibt. Der Bund hat sozusagen die Vorgaben zu geben und die Länder haben einen engen Spielraum. Nun ist es völlig unbestritten, dass im Gegenzug sozusagen für diesen engeren Spielraum die Länder dann auch mitstimmen dürfen bei diesen Gesetzen. Das ist die Zustimmungsbedürftigkeit. Die Frage, um die es hier geht, ist die Frage: Was ist, wenn so ein Gesetz geändert wird. Das Atomgesetz existiert ja bereits und soll jetzt sozusagen nur in einem Teil geändert werden. Muss da der Bundesrat noch mal mitstimmen? – Und da sagt das Bundesverfassungsgericht in einer jüngeren Entscheidung zum Luftsicherheitsgesetz, bei einer lediglich quantitativen Erhöhung der Aufgabenlast ist keine Zustimmung erforderlich. Sprich: Wenn einfach mehr Arbeit auf die Länder zukommt, aber nicht neue Aufgaben, dann muss der Bundesrat nicht mitstimmen.

    Bremkamp: Nun liegen konkrete Laufzeiten auf dem Tisch, acht beziehungsweise 14 Jahre. Welche Rolle spielen diese Zahlen eigentlich in rechtlicher Hinsicht?

    Janisch: Meines Erachtens spielen die Zahlen keine besonders große Rolle. Das sind politische Größen, die man natürlich auch zur Kompromissfindung sich herangezogen hat und gesetzt hat, aber dass nun damit tatsächlich die Grenze gezogen wäre zwischen Zustimmungsbedürftigkeit und nicht Zustimmungsbedürftigkeit, kann ich eigentlich nicht sehen. Wie gesagt, dieses jüngere Urteil sagt eben, mehr Arbeit bedeutet nicht unbedingt Zustimmung des Bundesrats erforderlich, sondern nur, wenn es wirklich grundlegend neue Aufgaben sind, die auf die Länder zukommen.

    Bremkamp: Sollten einige Bundesländer wirklich wie angekündigt vor dem Bundesverfassungsgericht klagen, wie lange, glauben Sie, würde solch eine Entscheidung dauern?

    Janisch: Das lässt sich wie immer beim Bundesverfassungsgericht überhaupt nicht vorhersagen. Man kann vielleicht nur eines sagen: Wenn es zu einer Klage der Länder kommt – möglich ist ja hier ein sogenannter Bund-Länder-Streit, oder auch eine Normenkontrollklage -, wenn es dazu kommt, dann würde das schon eine gewisse Priorität haben beim Bundesverfassungsgericht. Also man würde das nicht fünf Jahre liegen lassen, sondern man würde natürlich versuchen, das auch einigermaßen zeitnah zu entscheiden, wobei wenn es dann zu einer möglichen Verhandlung kommt – auch das wäre jetzt eher wahrscheinlich, würde ich mal vermuten -, dann ist es immer ein relativ großer Verfahrensaufwand. Also so ein, zwei Jahre würde ich vielleicht schon rechnen.

    Bremkamp: Wolfgang Janisch war das, Rechtsexperte und Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung" in Karlsruhe. Vielen Dank!

    Janisch: Danke Ihnen.