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Die Aufarbeitung des Gaza-Krieges

Zwei Monate nach Ende des Gaza-Krieges wird die Kritik an Israels Militäreinsatz immer lauter. Auch in dieser Woche wurden wieder Berichte veröffentlicht, nach denen israelische Soldaten gegen die Genfer Konventionen verstoßen haben sollen. So werfen die UN-Menschenrechtsexperten israelischen Soldaten unter anderem den Missbrauch eines elfjährigen Palästinensers als menschliches Schutzschild vor.

Von Torsten Teichmann | 28.03.2009
    Am 18. März - exakt zwei Monate nach Einstellung der Militäroperation - veröffentlichten die beiden führenden Tageszeitungen "Ha'aretz" und "Yedioth Achronoth" erstmals ungefilterte Aussagen von Soldaten, die vor angehenden Rekruten der vormilitärischen Yitzhak-Rabin-Einrichtung über das berichten, was sie in Gaza erlebt hätten.

    Danny Zamir, der Leiter des Ausbildungsprogramms, sorgte dafür, dass diese Berichte über die mutwillige Zerstörung von palästinensischem Eigentum, von Scharfschützen, die auf Frauen und Kinder schießen, publik wurden:

    "Wir waren überrascht und geschockt, als die Schilderungen begannen. Die Soldaten berichteten von unbeaufsichtigten Gewaltanwendung gegen Eigentum von Palästinensern. Das schien uns die Regel zu sein, dass niemand zumindest bei den niedrigeren Dienstgraden eine andere Vorgehensweise befohlen hat."

    Die Aussagen der Soldaten deckten sich mit den detaillierten Berichten, die die Vereinten Nationen, das Internationale Komitee des Roten Kreuzes, Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, Oxfam, Israels Ärzte für Menschenrechte sowie das als seriös und unabhängig einzustufende Palästinensische Zentrum für Menschenrechte in Gaza inzwischen vorgelegt hatten.

    Übereinstimmend fassten diese Institutionen zusammen: Die hohe Anzahl von getöteten Zivilpersonen sowie der massive Waffeneinsatz aller israelischer Teilstreitkräfte in Gaza ließen die Schlussfolgerung zu, wonach Israel gegen die einschlägigen Artikel der Genfer Konventionen verstoßen habe. Der UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte in den palästinensischen Gebieten, der Amerikaner Richard Falk, legte in Genf seinen Bericht vor: Die Unterscheidung zwischen unbeteiligten Zivilisten und Kombattanten sei eine zwingende Forderung der Genfer Konventionen. Sofern diese Differenzierung nicht vorgenommen würde, stelle das Vorgehen der israelischen Streitkräfte in Gaza nach internationalem Recht ein - so wörtlich - "Kriegsverbrechen des größten Ausmaßes" dar.

    Falk, der Mitte Dezember des letzten Jahres von den israelischen Behörden an der Einreise nach Israel gehindert worden war und sich daher im Küstenstreifen kein eigenen Bild machen konnte, sei parteiisch und voreingenommen, wie israelische Regierungssprecher umgehend erklärten. Eine breit angelegte innenpolitische Debatte über das Verhalten der Streitkräfte während der Militäroperation ist nicht zu erkennen. Ohne den nicht erlahmenden Einsatz israelischer Menschenrechtsgruppierungen, wie B'tzelem, würde das Thema sehr rasch wie aus den heimischen Zeitungsspalten verschwinden. Die Vorsitzende von B'tzelem, Jessica Montell, die dieser Tage ebenfalls ihren Abschlussbericht veröffentlicht hat:

    "Wir haben von sehr vielen Palästinensern Aussagen über das Verhalten der israelischen Streitkräfte während der jüngsten Kämpfe in Gaza gehört. Extrem schwere Vorwürfe, schreckliche Tragödien und außerordentlich schwerwiegende Vorfälle von Missbrauch, Misshandlungen und Tötungen durch israelische Soldaten. Dies ist das erste Mal, dass wir ähnliche Versionen der Geschehnisse ebenfalls von Soldaten hören."

    Er glaube nicht, dass sich seine Soldaten dieser Vergehen schuldig gemacht hätten, erklärte später Generalstabschef Gabi Ashkenazi. Im übrigen hätten die Streitkräfte eigenen Ermittlungen eingeleitet, die zunächst abgeschlossen werden müssten. Auch seien nach Armee-Erkenntnissen über 600 Hamas-Kämpfer getötet worden - sowie 309 Zivilisten, darunter 189 Kinder unter 15 Jahren. Israels Generalstaatsanwalt hat bislang nicht zu erkennen gegeben, dass er von Amts wegen Ermittlungen aufnehmen wolle.