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Die Automobildrehscheibe Bremerhaven

Die deutsche Automobilindustrie ist überraschend schnell aus der Krise gefahren. Ein Großteil der Autos "Made in Germany" werden exportiert und gehen über Bremerhaven.

Von Godehard Weyerer | 26.11.2010
    Soweit das Auge reicht, nagelneue Autos. Tautropfen perlen vom Wachs ab. Gesichert durch hohe Zäune stehen sie Stoßstange an Stoßstange in langen Reihen. Das Autoterminal Bremerhaven bietet Platz für 110.000 Fahrzeuge.

    "Der Schlüssel steckt nicht, sondern ist im Auto, hängt im Band oder befindet sich in der Türablage."

    Daniel Hagedorn ist bei der Bremer Lagerhausgesellschaft für den Export zuständig. Hinter ihm liegen zwei Schiffe an der Pier – jeweils 180 Meter lang und zwölf Autodecks hoch. Auf das Schiff passen 5.500 PKW. Noble Karossen deutscher Automobilhersteller verschwinden im Bauch der schwimmenden Hochgarage. Ziel ist China. Daniel Hagedorn:

    "Natürlich passiert auch mal ein Kratzer oder eine kleine Beule. Für meinen Bereich haben wir momentan ein Verhältnis von eins zu 28.000 Fahrzeugen. Jedes 28.000ste Fahrzeug beschädigen wir leider, natürlich ist unser Ziel, das gegen null bringen, das ist eine Herausforderung."

    Oben an der Rampe stehen Besatzungsmitglieder und betrachten mit Argusaugen die ankommenden Fahrzeuge. Die Decks an Bord sind niedrig, die Rampen steil, die Fahrer aber umsichtig und routiniert. Daniel Hagedorn:

    "Eine Regel gibt es im PKW-Umschlag: Für jedes Auto benötigt man einen Fahrer. Wir setzen Transportfahrzeuge ein, die sogenannten Taxis, dort transportieren unsere Mitarbeiter die Fahrer, und die pendeln dann immer zwischen den Stellplätzen an Land und dem Schiff, jeweils mit fünf Fahrern und gewährleisten so, dass die Fahrzeuge geladen oder gelöscht werden."

    Zu tun ist genug. Gearbeitet wird rund um die Uhr, wenn nötig auch sieben Tage in der Woche. Damit hat vor Kurzem niemand gerechnet. Im letzten Jahr war der Autoumschlag regelrecht eingebrochen – von 2,2 Millionen Fahrzeugen auf die Hälfte. Die Lagerflächen leerten sich – ebenso die vier Hochregale mit jeweils 10.000 überdachten Stellplätzen. Dann, ebenso unerwartet, boomte in Deutschland die Automobil-Branche plötzlich – wegen des Exports, der kräftig anzog. Meist in Ganzzügen kommen die Neufahrzeuge nach Bremerhaven. Daniel Hagedorn:


    "Der überwiegende Teil der Anlieferung kommt per Waggon, 85-90 Prozent, ein relativ kleiner Teil per LKW – zum Beispiel Mercedes aus Bremen liefert mit LKW an. Oder BMW aus Leipzig liefert mit LKW an. Aber zu 90 Prozent kommt das per Waggon."

    Daniel Hagedorn steht auf dem obersten Deck einer der vier Hochregale. Hier warten die teuren Premiumfahrzeuge auf die Verladung. Drei bis sechs Tage bleiben sie im Schnitt auf dem Terminal. 50 Hektar ist das Areal groß. Jeder LKW und jedes Privatauto müssen eine Doppelschleuse passieren. Kein Fahrzeug verlässt das Terminal, wenn wir das nicht wollen, versichert Hagedorn. Im Gebäude hinter der Zufahrt hat er sein Büro. Von dort teilt er die Schichten ein. Die Schiffe melden sich zwei bis drei Tage vorher an. Jede Woche laufen 25 Auto-Carrier Bremerhaven an. Oben im Verwaltungsgebäude residiert Bernd Kupke, der Geschäftsführer der BLG Automobile Logistic:

    "Wir planen auf Erfahrungswerten und auch auf die Markterwartung, die die Hersteller in die verschiedenen Märkte stecken. Am Ende aller Tage kann keiner die Hand ins Feuer legen, dass das, was man erwartet, auch tatsächlich eintritt. Aber da sind wir mit unserer Flexibilität gefordert."

    Zu Stoßzeiten, wenn die Stammbelegschaft den Ansturm nicht bewältigt, greift die BLG, die Bremer Lagerhausgesellschaft, auf einen Mitarbeiter-Pool zurück. Der sogenannte Gesamthafenbetriebsverein hält 1000 Mitarbeiter vor. Keine Leiharbeiter, wirft der Geschäftsführer ein, sondern nach Tarif bezahltes und qualifiziertes Personal, das im Hafenumschlag einspringt, wo es gerade brennt.

    Seit Mitte der siebziger Jahre werden im großen Stil Autos in Bremerhaven umgeschlagen. Bescheidene 100.000 Stück waren es damals, die eine Hälfte ging von Bremerhaven in alle Welt, die andere Hälfte waren Import-Autos, in erster Linie aus japanischer Produktion. Das Import/Export-Verhältnis blieb bis 2008 recht ausgeglichen. Heute hat sich es deutlich verschoben: 85 Prozent der Fahrzeuge, rund 1,2 Millionen Stück, gehen in den Export, bei gerade noch 15 Prozent liegt der Importanteil. Bernd Kupke:

    "An der Stelle haben wir die Nachwirkungen der Krise noch nicht überwunden. Das heißt, der Export hat angezogen, aber wir vermissen nach wie vor Import. Der deutsche Markt nimmt wenig Import auf, eine Folge der Umweltprämie, das ist eine Folge der noch nicht wieder generierten Nachfrage, dementsprechend fehlen uns Importe und die Wertschöpfung undeutlich an diesen Fahrzeugen. Das betrifft insbesondere unser Technikzentrum in Bremerhaven."
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    In den Hallen des Technikzentrums wird das Geld verdient. Die fernöstlichen Hersteller, vorneweg die südkoreanischen, produzieren auf Masse. Ledersitze, Schiebedach, Stereoanlage oder Anhängerkupplung werden in Bremerhaven eingebaut. 2008 waren es knapp eine halbe Million Autos, die durch das Technikzentrum gingen. In diesem Jahr rechnet Bernd Kupke mit 180.000 Fahrzeugen. Die Belegschaft musste er von 550 auf 400 heruntergefahren. Weitere Entlassungen nicht ausgeschlossen. Außereuropäische Hersteller wie Hyundai und Kia produzieren mehr und mehr in Europa. Diese Modelle, vor allem Kleinwagen und die Kompaktklasse, fallen als Übersee-Importe weg. Ähnliches gilt auch für die Export-Seite: VW und Audi bauen in China, Mercedes und BMW in den USA. Bernd Kupke:

    "Hat aber nicht nur unbedingt Nachteile. Auf der anderen Seite bekommen wir Importe von Herstellern, wo wir dann auch gedacht haben, nee das ist eigentlich ein deutscher Exporteur. M-Klasse zum Beispiel, der X5 von BMW, der kommt auch aus den USA – Autos, die für bestimmte Märkte gebaut werden und dann wieder aus diesen Ländern zurückkommen nach Deutschland, um hier dann verkauft zu werden."

    Der Autoumschlag in Bremerhaven ist ein unstetes Geschäft. Globale Währungsschwankungen und nationale Konjunkturzyklen schlagen sich unvermittelt auf die Geschäftszahlen durch. Die BLG, die Bremer Lagerhausgesellschaft, baut vor und hat bereits ihre Fühler nach Indien und China ausgestreckt. Von dort werden demnächst billige Autos auf den europäischen Markt drängen. Die BLG hätte es am liebsten über Bremerhaven. Die Importlogistik endet nicht bei Umrüstung und beim Einbau von Sonderwünschen. Die Autos müssen zum Händler kommen. 440 firmeneigene LKW warten darauf, die Neufahrzeuge aus Übersee in ganz Deutschland und halb Europa zu verteilen.
    AutoRail - Neuwagen werden auf Schienen für den Export versandt.
    AutoRail - Neuwägen, die für den Export bestimmt sind. (Bremer Lagerhausgesellschaft)