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"Die Bewertung ist noch keine Entscheidung"

Vom Gorleben-Untersuchungsausschuss erwartet der Reaktorexperte Michael Sailer einige zeithistorische Details, aber keine neuen Erkenntnisse für die immer noch offene Endlagersuche. Diese brauche weiterhin ein klares Auswahlverfahren, in dem transparent Entscheidungsprozesse und Bewertungsregeln festgelegt seien.

Michael Sailer im Gespräch mit Silvia Engels | 27.09.2012
    Silvia Engels: Schon seit März 2010 versucht ein Untersuchungsausschuss des Bundestages zu klären, unter welchen Umständen die frühere christlich-liberale Regierung unter Helmut Kohl in den 80er-Jahren zu dem Schluss kam, nur den Salzstock im niedersächsischen Gorleben daraufhin zu prüfen, ob er als Atomendlager geeignet sei. Die Opposition wirft der früheren Regierung vor, die Entscheidung sei nicht wissenschaftlich begründet, sondern politisch motiviert gewesen, und heute blickt alles auf diesen Ausschuss - nicht so sehr wegen neuer Erkenntnisse, sondern weil eine frühere Bundesumweltministerin, die dort zur Stunde als Zeugin aussagt, mittlerweile Kanzlerin geworden ist, nämlich Angela Merkel.

    Mitgehört hat Michael Sailer, er ist Nuklearexperte, Kritiker der Kernenergie und Mitglied der Reaktor-Sicherheitskommission. Guten Tag, Herr Sailer.

    Michael Sailer: Ja guten Tag, Frau Engels.

    Engels: Schon von Berufswegen untersuchen Sie diesen Untersuchungsausschuss auch. Erwarten Sie heute von Angela Merkel neue Erkenntnisse?

    Sailer: Also ich erwarte natürlich zu diesem oder jenem zeithistorischen Detail Aussagen. Nur für die eigentliche Frage, wie kommen wir zum Endlager und welche wissenschaftlichen Dinge sind da für die Sicherheit wichtig, erwarte ich keine neuen Erkenntnisse.

    Engels: Die Kernfrage dieses Ausschusses bleibt, wenn wir erst noch mal kurz zurückblicken: War die ausschließliche Beschränkung auf Gorleben bei der Endlagersuche letztlich wissenschaftlich oder politisch motiviert? Trauen Sie sich da schon ein Fazit zu?

    Sailer: Ich bin mir sehr sicher, dass die verschiedenen Parteien im Untersuchungsausschuss verschiedene Bewertungen machen. Für mich ist aber wichtiger: Dieser Streit, der zeigt ja Leuten in der Bevölkerung, die ja mit der Entscheidung zur Endlagerung dann auch umgehen müssen, dass da sehr viel im Dunkeln liegt, dass sehr viel nicht aufgeklärt wird oder sehr unterschiedlich eingeschätzt wird, und das heißt für mich, wir kommen eigentlich nur mit einem Verfahren, dass in Zukunft transparent Entscheidungsprozesse, transparent wissenschaftliche Ergebnisse, transparent Bewertungsregeln festgelegt werden und auch ausgeübt werden, zum Ziel. Weil die Verunsicherung oder der Verdacht, dass da Schmu passiert, der wird durch die Ergebnisse eher noch gestärkt.

    Engels: Das ist also die eine Forderung, die Sie ableiten; das betrifft die Strukturen, wie eben die Bevölkerung informiert werden soll. Gegenwärtig streben Bund und Länder ja an, noch einmal neu nach einem Atomendlagerstandort in Deutschland zu suchen. Wenn wir jetzt mal von der Struktur, dass das transparent geschehen soll, auf die Inhalte gucken, können Sie aus dieser Arbeit des Untersuchungsausschusses Erkenntnisse für diese Suche, die neu aufgenommen wird, ableiten?

    Sailer: Es ist für die Suche wichtig, dass man systematisch vorgeht. Das heißt, dass man klar Bewertungskriterien aufschreibt, dann klar die Bewertung vornimmt und dann klar danach Entscheidungen trifft, weil die Bewertung ist noch keine Entscheidung. Und in all dem, was im Untersuchungsausschuss näher beleuchtet worden ist, ging es da immer durcheinander zwischen den verschiedenen Funktionen. Das heißt, es geht jetzt nicht um ein fachliches Kriterium, sondern es geht darum, wie werden die fachlichen Kriterien gefunden, angewandt und wie geht dann die Entscheidung.

    Engels: Erwarten Sie, dass am Ende - jetzt kommen wir weg vom Untersuchungsausschuss und gehen auf die aktuelle Debatte - tatsächlich noch mal mehrere Standorte für ein Endlager ins Rennen kommen?

    Sailer: Aus meiner Sicht - kenne ich aus vielen Gesprächen mit den Politikern unterschiedlichster Couleur - ist die Einsicht gekommen, ohne ein klares Auswahlverfahren, das heißt, dass man mehrere Standorte in den Vergleich einbezieht, wird es nicht gehen. Das zeigt auch der Blick aufs Ausland. Die Länder, die weit sind mit der Endlagerung, das ist Finnland, die schon im Genehmigungsverfahren stehen, das ist Schweden, die jetzt auch im Konzeptgenehmigungsverfahren stehen, und die Schweiz, die gerade im Auswahlverfahren stehen, in allen drei Ländern ging es nur mit einem Auswahlverfahren, in vielen Schritten und mit viel Transparenz.

    Engels: In welchen zeitlichen Schritten könnte das denn in Deutschland umgesetzt werden?

    Sailer: Wir brauchen erst mal eine gesetzliche Grundlage dazu.

    Engels: Wird die noch kommen diese Legislaturperiode? Was denken Sie?

    Sailer: Ich bin kein Prophet. Ich bin Wissenschaftler, der sagt, was man braucht, und brauchen tut man eine entsprechende Regelung. Wenn sie jetzt nicht käme, was schlecht wäre, dann wäre man in zwei oder drei Jahren wieder in der Situation, dass wir sagen müssen, jetzt müssen wir erst so ein Endlager-Suchgesetz machen.

    Engels: Und Ihre zeitliche Erwartung, gesetzt den Fall, es kommt tatsächlich jetzt zu dieser gesetzlichen Regelung noch in dieser Legislaturperiode?

    Sailer: Dann wird man erst mal Kriterien machen müssen, so wie ich es vorhin gesagt habe. Man wird also in der Preisklasse fünf bis zehn Jahre insgesamt brauchen, bis man mal auf eine kleinere Auswahl an Standorten definitiv gekommen ist, von der Kriterienfestlegung, Überprüfung über Entscheidung hoffentlich im Bundestag, das ist ja unser oberster Souverän, und nach den zehn Jahren wird man dann einengen müssen von den mehreren Standorten, die dann genauer bewerten, miteinander vergleichen. Also es wird 30 bis 40 Jahre dauern, bis wir dann ein Endlager in Betrieb haben, und bis dahin haben wir ja die zurzeit 16 Zwischenlager überall über Deutschland verstreut, die ja auch nicht für die Ewigkeit gebaut sind. Deswegen drängt das Ganze.

    Engels: Dann haben wir möglicherweise, wenn es sich so entwickelt, wie Sie vorherskizzieren, auch an mehreren Standorten mehrere Bürgerbewegungen, die sich das nicht gefallen lassen. Denken Sie, die Politik, nach Ihrer Erfahrung, die Sie auch in den letzten Jahren mit ihr gemacht haben, hat dann das Rückgrat, so etwas trotzdem durchzuziehen?

    Sailer: Ich wage da keine Prognose. Ich kenne viele Politiker aus allen Parteien im Bundestag die sagen, wir müssten das eigentlich hinkriegen. Da bin ich dann optimistisch. Bloß im Zusammenwirken sieht man natürlich immer wieder das Zurückzucken. Nur das Problem nicht lösen heißt, dass wir auf ewig oberirdische Zwischenlager haben.

    Engels: Mit welchen Gefahren?

    Sailer: Die Behälter, die jetzt da sind, die sind für ungefähr 40 Jahre geprüft. Die werden sicher keine 80 oder 100 Jahre so halten. Und Sie müssen ein Zwischenlager immer unterhalten in einer Weise, dass man eine stabile Gesellschaft hat, die es finanzieren kann, die es bewachen kann, kein Krieg, kein Bürgerkrieg, keine Destabilisierung. Und denken Sie sich nur mal aus, wir hätten vor 100 Jahren Zwischenlager in Deutschland irgendwo gebaut, wie die jetzt heute aussehen würden.

    Engels: Kommen wir noch mal auf das Dauerthema zu sprechen: politische Einflussnahme in wissenschaftliche Erkenntnisse, gerade beim Thema Atom. Sie haben ja im Zusammenhang mit der Rückholung von Atomfässern aus dem Endlager Asse vor Kurzem Skepsis geäußert, ob das technisch überhaupt möglich sei, und erneut zumindest die teilweise Verfüllung dieses Bergwerks ins Gespräch gebracht. SPD-Chef Gabriel hat Ihnen daraufhin Verunsicherung der Bürger vorgeworfen und sich sehr hart gegen Sie geäußert. Ist das das normale Verhalten, was man erlebt im Zusammenhang zwischen Politikern einerseits und Kernkraftexperten andererseits?

    Sailer: Also das ist das normale Verhalten, und man ist sicher auch gewöhnt ..., oder viele Wissenschaftler haben da Angst davor und sagen deswegen, was politisch gewünscht ist. Das ist ja in der Vergangenheit, das ist ja auch ein Thema im Untersuchungsausschuss, und mir wäre lieb, wenn man ein Klima hat, in dem man dann wissenschaftliche Erkenntnisse und wissenschaftliche Überlegungen sagen darf. Das ist was anderes als Politik. Ich meine, für mich selbst habe ich schon den Schluss gezogen, dass ich da gelassen damit umgehe, auch wenn die Kritik heftig ist. Aber es gehört zu meinen Pflichten als Wissenschaftler, die Dinge, auf die ich mit wissenschaftlichen Überlegungen, auf die auch meine Kollegen in der Entsorgungskommission gekommen sind, die dann auch auszusprechen.


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