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Die Bibel der Börsenmakler

Die erste Ausgabe der "Financial Times" vom 13. Februar 1888 hatte vier Seiten und kostete einen Penny. 125 Jahre später ist sie nicht nur wegen des berühmten lachsfarbenen Papiers, mit dem sie sich von der Konkurrenz abhebt, weltbekannt.

Von Matthias Thibaut | 13.02.2013
    Vier Seiten dicht gedruckt, grauweißes Papier – die augenschonende Lachsfarbe wurde erst 1893 eingeführt. Dafür kostete die erste Ausgabe vom 13. Februar 1888 nur einen Penny, und auch wenn die Lektüre nicht gerade aufregend war, erfuhr der Investor, was er wissen musste:

    "Shipping News. Ein Kabel der Lloyd’s Agentur meldet aus Philadelphia : Die United States Barke Mascotte ist mit einer Zuckerladung auf Grund gelaufen. Das Schiff hat schwere Schlagseite und ist von Wellen völlig überspült."

    Finanznachrichten begannen als Schiffsnachrichten, die an den Häfen eingesammelt und zu den Investoren in die Pubs der Londoner City getragen wurden. Nun, mit der Erfindung von Kabel und Telegramm, konnte das Zeitalter der Wirtschaftspresse beginnen. In London trafen die Wirtschaftsmeldungen von amerikanischen Eisenbahnprojekten, karibischen Zuckerplantagen und afrikanischen Goldgruben ein.

    Ganz neu war die Zeitung nicht, die an jenem Montag zum ersten Mal unter dem Titel "The Financial Times" erschien. Gründer James Sheridan, hatte ein paar Wochen zuvor schon den "London Financial Guide" auf den Markt gebracht.

    "Der ‘London Financial Guide’ hat seine Existenz so sehr gerechtfertigt, dass wir heute, unter dem knapperen und würdigeren Titel ‘Financial Times’ im Gewand einer täglichen Morgenzeitung für Finanzen erscheinen."

    ... verkündete die Redaktion stolz auf der ersten Titelseite der Financial Times.

    "Die guten Wünsche, die großzügigen Hilfsangebote, das Erstaunen in manchen Finanzkreisen, die Enthüllungen, die man uns täglich anvertraut, die wütenden Drohungen – das zeigt uns, dass eine Finanzzeitung für die City of London mit dem Motto ‘Ohne Furcht und Begünstigung’ nicht an mangelnder Existenzberechtigung scheitern wird."

    Dieses Motto, "without Fear or Favour", sollte die Zeitung von der Konkurrenz, den "Financial News", abheben, Englands erste Finanztageszeitung, vier Jahre zuvor von dem Investor Harry Marks gegründet. Gerade in den ersten Monaten der Financial Times schürte Marks mit seiner Zeitung wieder einmal fieberhafte Begeisterung für eine "Rae-Transvaal Gold Mining Company", die er selbst gegründet hatte und deren Aktien völlig wertlos waren.

    Die Financial Times dagegen verschrieb sich unbestechlicher Objektivität. Sie war, so stand es links im Titelkopf ...

    "... Freund des ehrlichen Finanziers, des vertrauenswürdigen Investors, des respektierten Maklers"

    und, so rechts neben dem Titel: ...

    " ... Feind des Insiderhandels, der Unternehmensvernichter, der Spieler"

    Die Zeitungen blieben Konkurrenten – und existierten durch Englands phänomenale Wirtschaftsblüte, durch Kriege und Weltwirtschaftskrise hindurch friedlich nebeneinander. Bis die "FT" 1946 an die Financial News verkauft wurde. Aber der würdige Titel und das lachsfarbene Papier überlebten.

    Nun erst begann der wirkliche Aufstieg. England lag nach dem Krieg am Boden, die "FT" verstand sich als globale Zeitung und sah nun das amerikanische Wall Street Journal als ihre eigentliche Konkurrenz. 1979 begann der Verlag auch in Frankfurt zu drucken, heute gibt es über 20 Erscheinungsorte weltweit. Weshalb der Historiker der Financal Times, David Kynaston, die FT als die Zeitung der Globalisierung sieht, des nahtlosen Zusammenwachsens der Weltwirtschaft.

    "Diesen Prozess hat die FT mehr als irgend eine andere Zeitung nicht nur beschrieben, sondern abgebildet, wobei hilfreich war, dass Englisch immer mehr zur Universalsprache der Wirtschaft wurde.

    Nun erfand die Financial Times ihren berühmtesten Werbespruch ...

    "No FT – no comment"

    ... und verkaufte 1998 zum ersten Mal mehr Exemplare im Ausland als im eigenen Land. Als 2001 die heiße Phase der globalen Finanzwirtschaft begann, stieg die Druckauflage auf ein Allzeithoch von über 500.000. Damals wurde der einzige Versuch gestartet, die Marke außerhalb der englischen Sprache zu etablieren. Er scheiterte: Die Financial Times Deutschland wurde kürzlich eingestellt. In zwölf Jahren hatte sie nie Profit gemacht.

    Die "Financial Times" bleibt in der englischen Sprache verwurzelt – der Sprache des Kapitals und der Wirtschaft. Heute werden von der FT noch 283.000 Exemplare gedruckt, nur 88.000 davon im eigenen Land, nur die digitalen Formate wachsen, und haben nun in der Strategie der Zeitung sogar die Priorität.

    Aber die Krise verhalf der Zeitung zu einem Slogan, der sogar für Nichtleser ohne Englischkenntnisse zum Begriff wurde:

    "We live in Financial Times"