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Die bloße Umbenennung reicht nicht

Mecklenburg-Vorpommern will das Diplom wieder einführen. Doch dieser Titel impliziere einen ganz anders konzipierten Studiengang, betont der Vorsitzende des Akkreditierungsrats, Reinhold Grimm. Einen Masterstudiengang nach europäischen Modell einfach umzubenennen, schaffe keine Konkurrenz.

Reinhold Grimm im Gespräch mit Sandra Pfister | 10.06.2011
    Sandra Pfister: Vor einem halben Jahr sorgte eine Nachricht aus Mecklenburg-Vorpommern für einen Aufschrei in der Hochschullandschaft: Das Bundesland führte kurzerhand das Diplom wieder ein, und das, nachdem jahrelang hunderte von Studiengängen auf Bachelor und Master umgestellt worden waren. Absolventen können nach ihrem Master-Abschluss jetzt auf Antrag auch wieder den Diplom-Grad verliehen bekommen. Unter den Bachelor-Kritikern herrschte Euphorie, Entsetzen allerdings bei der Hochschulrektorenkonferenz und auch in Teilen der Wirtschaft. Die befürchtet nämlich einen Flickenteppich an Abschlüssen. Auch außerhalb Mecklenburg-Vorpommerns gibt es gallische Dörfer, die an den alten Studiengängen festhalten, und ganze Studiengänge, die sich der Modernisierung verweigern oder zurück zum Diplom wollen. Das will der Akkreditierungsrat, der jeden neuen Studiengang zulassen muss, jetzt unterbinden. Reinhold Grimm, Sie sind der Vorsitzende des Akkreditierungsrates. Gestern hat der beschlossen, dass er Master-Studiengänge, bei denen man am Ende zwischen Diplom- und Master-Titel wählen darf, nicht akkreditieren wird. Warum?

    Reinhold Grimm: Ja, das ist eigentlich eine ganz einfache Angelegenheit: Wir können diese Studiengänge nicht akkreditieren, weil sie nicht den Bologna-Normen entsprechen und also auch nicht den gemeinsamen Vorgaben der deutschen Bundesländer für solche Studiengänge. Denn damit würde ja jede Sicherheit für Hochschulen, Studierende und Arbeitgeber entfallen, was für ein Studium absolviert wurde.

    Pfister: Also, um das noch mal richtig zu verstehen: Wer heute einen neuen Diplomstudiengang auf den Weg bringen wollte, dem würden Sie keine Steine in den Weg legen, aber Sie wollen die klare Trennung. Also, wer Master studiert hat, bei dem steht auch hinterher Master drauf und nicht Diplom!

    Grimm: Also, Diplomstudiengänge, die noch existieren, wie zum Beispiel im Bereich der Jurisprudenz, unterliegen nicht unserer Legislation. Wir sind da auch gar nicht zuständig. Wir sind nur für Studiengänge zuständig, die nach neuem europäischem Studienmodell ausgestaltet sind. Ein Landtag kann natürlich Diplomstudiengänge einführen, auch wenn er dann - also, neue Diplomstudiengänge einführen, auch wenn er da schlecht beraten wäre, weil nämlich …

    Pfister: Die müssten Sie dann auch akkreditieren?

    Grimm: ... der Prozess des europäischen Hochschulraums zum erliegen käme.

    Pfister: Müssten Sie diese neuen Diplomstudiengänge auch akkreditieren?

    Grimm: Nein. Akkreditierbar sind nur Studiengänge nach dem europäischen Modell.

    Pfister: Was würde denn passieren mit einem nicht akkreditierten Studiengang?

    Grimm: Das hängt von der jeweiligen rechtlichen Lage in den einzelnen Bundesländern ab. Es gibt Bundesländer, in denen nicht akkreditierte Studiengänge nicht zugelassen werden. Das gilt übrigens natürlich auch für Mecklenburg-Vorpommern, denn in der Gesetzesbegründung heißt es ausdrücklich, dass das Land davon ausgeht, dass diese Studiengänge akkreditiert bleiben oder akkreditiert werden.

    Pfister: Wie flächendeckend ist denn jenseits Mecklenburg-Vorpommerns dieses Phänomen, dass Hochschulen bei Master-Studiengängen zum Titel Diplom zurückkehren wollen?

    Grimm: Das gilt eigentlich nur für den Bereich der Ingenieurwissenschaften, und die technischen Universitäten, die sich ja zusammengeschlossen haben in einem Interessenverband in Deutschland, neigen manchmal zu solchen Überlegungen, aber das trifft zum Beispiel schon nicht zu für die ingenieurwissenschaftlichen Fakultätentage, die ganz entschieden für die neue Form der Studiengänge sind.

    Pfister: Warum lassen Sie es nicht einfach zu, denn dann könnten ja beide Titel und beide Studiengänge in Konkurrenz miteinander bestehen und dann entscheidet einfach Angebot und Nachfrage, welche sich durchsetzen!

    Grimm: Gegen Studiengänge in Konkurrenz haben wir natürlich gar nichts. Aber wir haben gegen einen Etikettenschwindel etwas, dass nämlich etwas Diplom genannt wird, was in der Studienstruktur gar kein Diplom ist, sondern ein subversiver Studiengang nach dem Bachelor- und Master-System, das also bestimmte Normen erfüllen muss: Modularisierte Studiengänge, das die Studienreform durchgeführt haben muss, das also in seiner Ausformulierung kompetenzorientiert ist und eine andere Prüfungsstruktur hat als die traditionellen Diplomstudiengänge, und man sollte Studiengänge auch so benennen, wie sie auch tatsächlich sind.

    Pfister: Das jetzt der Schrei nach diesem Titel so stark wird, das hat ja gute Gründe, denn die Absolventen merken ja, mit dem Master kommen sie eventuell auf dem Arbeitsmarkt einfach nicht so an. Das ist ja gerade im Bereich der Ingenieurswissenschaften ein Riesenproblem. Können Sie das nicht verstehen?

    Grimm: Ich kann das schon verstehen, aber alle Arbeitgeberverbände - auch die Gewerkschaften - und alle empirischen Erhebungen, die uns bisher zur Verfügung stehen, zeigen, dass die Bachelor-Abschlüsse und die Master-Abschlüsse durchaus Anklang finden.

    Pfister: Warum macht Mecklenburg-Vorpommern das also?

    Grimm: Ja, da überfragen Sie mich! Es ist wahrscheinlich als freundlicher Akt gemeint gewesen, um den Hochschulen Spielräume zu geben, dabei werden dabei gar keine Spielräume eröffnet, denn es entstehen ja keine konkurrierenden Studiengänge, die sich bewähren könnten, sondern Studiengänge, die es bereits gibt und die nach dem gestuften europäischen Modell formuliert sind, werden mit einem falschen Titel versehen.

    Pfister: Wie viele Studiengänge im Mecklenburg-Vorpommern machen das, dass sie den Diplomtitel verleihen wollen?

    Grimm: Na, im Augenblick überhaupt keiner!

    Pfister: Das heißt, Sie bauen der Diskussion eigentlich erst mal nur vor, oder Sie bauen dieser rechtlichen Möglichkeit vor und sagen: Mit uns aber nicht!

    Grimm: Nein, wir haben gar keine Wahl! Wir können keine Studiengänge akkreditieren, die nicht nach dem europäischen Modell konstruiert sind.

    Pfister: Aber der Studiengang bleibt ja der gleiche! Am Ende steht nur ein anderer Titel.

    Grimm: Ja, aber der andere Titel impliziert ja einen ganz anderen Studiengang. Er suggeriert, das etwas studiert wurde, was gar nicht studiert wurde!

    Pfister: Reinhold Grimm ist der Vorsitzende des Akkreditierungsrates, an dem kein neuer Studiengang vorbeikommt, vielen Dank!

    Grimm: Bitte schön!