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Die Briten und Europa
Und wieder wird das Volk gefragt

1973 trat Großbritannien der Europäischen Gemeinschaft bei. Mit Zustimmung des Parlaments, aber ohne die Briten direkt zu konsultieren. Nach Protesten versprach der damalige Labour-Vorsitzende Harold Wilson ein Referendum, sollte seine Partei die nächste Wahl gewinnen. Zwei Drittel sagten Ja. Am nächsten Donnerstag wird diese Frage wieder gestellt. Diesmal vom konservativen Premier David Cameron.

Von Ruth Rach | 17.06.2016
    Der britische Premierrminister Harold Wilson im Dezemberr 1966 auf dem Flughafen in London.
    Der britische Premierminister Harold Wilson im Dezember 1966 auf dem Flughafen in London. (Imago / ZUMA Press)
    Dave Tory, 67, ist ein Klempner aus Südengland. Das Referendum vom Juni 1975 hat er noch genau in Erinnerung. Damals durfte er zum ersten Mal abstimmen. Und entschied sich für Europa. Großbritannien steckte im Chaos. Die Streiks, die Inflation, die Drei-Tagewoche. Für Dave Tory der klare Beweis: Sein Land war außerstande, auf eigenen Beinen zu stehen.
    Alan Richardson, 70, ehemaliger Drucker und passionierter Labour-Aktivist, erinnert sich an die parteiinternen Streitigkeiten. Viele Labour-Mitglieder und vor allem auch Gewerkschafter waren gegen Europa – die Auseinandersetzungen, die Dispute, einfach schrecklich.
    Damals glaubte der linke Flügel der Labour Partei, in einem - Zitat - "kapitalistischen Club" wie der EWG wäre es unmöglich, das Ideal einer sozialistischen Gesellschaft umzusetzen. Premierminister Wilson war wiederum europhil, Europa zugeneigt, aber sein Kabinett war gespalten. Das Argument des damaligen Industrieministers Tony Benn ist bis heute zu hören: Die britische Souveränität würde durch die "Vereinigten Staaten von Europa" untergraben.
    Die Konservativen hingegen boten eine geschlossenere Front - für Europa. Allen voran, die frischgebackene Tory Chefin Margaret Thatcher. "Die Europäische Gemeinschaft bringt uns Frieden und Sicherheit. Sie sorgt dafür, dass wir genug Nahrungsmittel importieren können", so Frau Thatcher. Außerdem habe die Gemeinschaft das größte Handelsvolumen der Welt vorzuweisen und biete Großbritannien die Chance, auch die Interessen des Commonwealth mit einzubringen.
    Ein Referendum, um die Partei auf eine klare Linie zu bringen
    Nicht nur die Konservativen, auch die Banken, die Wirtschaftskapitäne, das politische Establishment, sie alle schworen damals auf eine europäische Zukunft. Keine politische Union, wohlgemerkt. Sondern eine Gemeinschaft, in der sie ihre Geschäftsinteressen am besten wahrnehmen konnten.
    Gleichzeitig wurde die Kluft in der Labour Partei immer tiefer, und so sah der regierende Premierminister Harold Wilson schließlich nur noch einen Weg, um seine Partei auf eine klare Linie zu bringen. Tim Bale, Politikprofessor an der Queen Mary Universität in London, zieht eine direkte Parallele zu den aktuellen Problemen der Tories. Sowohl Wilson wie David Cameron hofften, eine Volksabstimmung werde die Spannungen innerhalb ihrer Parteien beseitigen, sagt Professor Bale. Beide Politiker hätten Nachverhandlungen versprochen, und beide Male sei nicht besonders viel erreicht worden. Dennoch sei die Situation vor dem zweiten Referendum kein déjà vu. Ein Riesenunterschied: Die starke britische Wirtschaft. Und ein weiterer Unterschied: Die Haltung der britischen Medien.
    Damals gab es nur eine winzige überregionale Zeitung, die für den Austritt plädierte: der kommunistische Morning Star, alle anderen Zeitungen waren europhil, so Professor Bale. Heute seien fast alle Blätter gegen Europa. Aus einem einfachen Grund. Ihre Besitzer, zumeist ausländische Pressebarone und Steuer-Exilanten, hätten das Gefühl, dass sich Brüssel viel zu sehr in ihr Geschäft einmische.
    Das Thema Europa bleibt auch nach dem Referendum
    Viele Briten würden sich wahrscheinlich erst in letzter Minute entscheiden, meint Tim Bale. Und sie würden sich wahrscheinlich weniger von idealistischen "europäischen" Zielen leiten lassen, sondern schlichtweg von der Frage, was für ihre Finanzen am günstigsten wäre.
    Allerdings gebe es einen unbekannten Joker, eine "wild card" in diesem Spiel. Das Thema Einwanderung, das beim ersten Referendum 1975 nicht ins Gewicht fiel. Damals steckte das Land in einer Wirtschaftskrise, wer wollte da schon nach Großbritannien auswandern. Heute gilt die Insel als wirtschaftlicher Magnet. Und sollte die öffentliche Stimmung in letzter Minute kippen, könnte sich Tim Bale vorstellen, dass die Briten trotz aller Angst vor eventuellen wirtschaftlichen Nachteilen für einen Brexit stimmen würden.
    Das Thema Europa sei allerdings auch nach dem Referendum nicht abgehakt, meint Tim Bale. Im Falle eines Brexit würden die Verhandlungen noch lange weitergehen. Und sollte die Insel für die Gemeinschaft stimmen, würden die EU-Gegner noch ewig weiterschimpfen.