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"Die Bürger werden es ausbaden"

BDK-Chef Klaus Jansen hält die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung für falsch. Der Polizei werde damit ein Beweisweg insbesondere für Internet-Straftaten entzogen - zum Nachteil der Opfer.

Klaus Jansen im gespräch mit Stefan Heinlein | 02.03.2010
    Stefan Heinlein: Wer wann mit wem und von wo aus per Telefon, Handy, E-Mail oder Fax in Verbindung steht, das ergibt zusammen genommen ein deutliches Profil unseres Kommunikationsverhaltens. Private sensible Daten, nachzuprüfen bei den Telekommunikationsunternehmen, sechs Monate gespeichert, bei Bedarf abrufbar von BKA, BND oder Verfassungsschutz. Doch nun ist diese Möglichkeit gekippt. Das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung ist verfassungswidrig. Am Telefon ist nun der Vorsitzende des Bundes deutscher Kriminalbeamter, Klaus Jansen. Ich grüße Sie, Herr Jansen. Guten Tag!

    Klaus Jansen: Ich grüße Sie.

    Heinlein: Wird Ihre Arbeit nun schwieriger?

    Jansen: Ich fürchte, das wirkt sich in vielen, vielen Verfahren aus, die wir zurzeit führen, ganz normale Kriminalität wie Stalking-Bekämpfung, Identitätsdiebstahl, Cyber-Mobbing und Ähnlichem, oder Betrugsfällen, dass der Nachweis der Täterschaft enorm erschwert wird, weil gerade die Nutzung von diesen ganzen Hilfsmitteln, die aufgezählt wurden, für uns natürlich ein Beweisweg war, den Täter auch dingfest zu machen. Diese Beweismittel konnten wir immer nur dann nutzen, wenn wir uns vorher einen richterlichen Beschluss geholt hatten. Insofern muss man davon ausgehen, dass für die Zeit, bis die Politik reagiert, bei vielen Straftaten einfach weniger gemacht werden kann zur Tataufklärung, zum Nachteil der Bürger und zum Nachteil der Opfer.

    Heinlein: Sie waren also durchaus zufrieden mit der bestehenden Gesetzeslage?

    Jansen: Wir haben immer wieder angemahnt. Einige Punkte sind heute genannt worden, auf die haben wir immer wieder hingewiesen, zum Beispiel die Transparenz oder die Datensicherung bei privaten Providern. Wir waren davon ausgegangen, dass diese dort selbstverständlich verschlüsselt abgelegt werden. Selbst Datenschutzbeauftragte konnten uns dazu keine genaueren Angaben machen. Die Verfahrensweisen, die Kritikpunkte, die heute gekommen sind, sind zum Teil absolut berechtigt, ändert aber nichts daran, dass wir das nutzen an Instrumentarium, um Recht durchzusetzen. Auch die heutige Entscheidung ist eine juristische technische Momentaufnahme. Ich bin eigentlich schon wieder auf dem Weg zur CeBIT. Dort werden uns von der Industrie neue Innovationen reingedrückt. Wir werden mit unseren starren rechtlichen Problemen wahrscheinlich nicht auf das reagieren können, was die Technik uns wieder an Fragestellungen beschert. Ich denke, wenn wir jetzt so eine Art Auszeit nehmen, müssen wir auch die Chance nutzen, hier mal kreativ und vernünftig nach vorne zu denken. Man sieht, auch die politische Diskussion zwischen Verbraucherministerin und Kanzlerin zeigt ja, wie diffus Politik diese technischen Problemstellungen wahrnimmt, und dass dies sehr zum Nachteil der Bürger und auch zum Nachteil der Sicherheit im Netz ist.

    Heinlein: Was wäre denn die von Ihnen geforderte kreative Lösung, die Ihren Erfordernissen entspräche?

    Jansen: Wir brauchen mit Sicherheit im rechtlichen Bereich, auch gerade im Datenschutzbereich eher generellere Lösungen und nicht Einzelfalllösungen, weil die Technik sich halt so massiv entwickelt. Der normale Bürger redet vom Web 2.0, aber die Industrie ist bereits dabei, das Web 3.0, vernetzte Anbindungen uns zu verkaufen. Cloud Computing wird kommen, wo wir gar nicht mehr wissen, wo Daten gelagert werden. Wer ist dann zuständig für die Sicherheit und für die Qualität der Sicherung der Daten? Was passiert, wenn wir Daten erheben müssen, die vielleicht irgendwo auf der Welt gespeichert werden und wir sie zeitnah brauchen? Das sind so kriminalistische Herausforderungen, die auf uns zukommen, und das geht nur im Dialog, und Politik zeigt und hat es ja auch in vielen Regelungen gezeigt mangelndes Technikverständnis, sieht aber eine Handlungsnotwendigkeit, und dann kommen Gesetze heraus, die in der Richtung richtig sind, aber im Detail dann wirklich korrigiert werden müssen. Wenn Sie nur ans Zugangserschwernisgesetz denken, was dort für eine politische Posse sich eigentlich abspielt; das ist im politischen Nirwana gelaufen und wir verspielen damit das Vertrauen, was wir brauchen, um gemeinsam auch mit der Netzkultur hier ein Netz sicher zu organisieren, denn alles, was mit Internet und mit neuen Medien zu tun hat, ist doch längst gesellschaftlicher Raum geworden und da muss eine Reglementierung rein, die vernünftig und bürgerlich-rechtlich einwandfrei ist.

    Heinlein: Herr Jansen, haben Sie wirklich als Sicherheitsbehörde diese ganzen Daten gebraucht, diese Sammelwut? Reicht es nicht, im Einzelfall zu entscheiden, hier liegt eine Straftat vor, hier vermuten wir etwas und dann überwachen wir ganz gezielt?

    Jansen: Herr Heinlein, das Problem ist, dass wir dann gerade bei netzbasierten, also im Internet begangenen oder unter Nutzung von Internetanwendungen begangenen – das ist ja auch zum Teil Telefon – Straftaten erst dann feststellen, dass eine Straftat gelaufen ist, wenn sie vollendet ist. Und die Spuren oder die Ermittlungsmöglichkeiten sind dann ausschließlich irgendwo im Netz im Kommunikationsverhalten, in der Art und Weise, wie telefoniert wurde, abgelegt. Das heißt, wenn wir diese Spuren nicht mehr haben, dann können wir eigentlich nur zur Kenntnis nehmen, dass es eine Straftat gab. Bei anderen, bei sogenannten Strukturverfahren, wie von BKA-Präsident Ziercke häufig bemüht, ist es tatsächlich erforderlich, aus dem Kommunikationsverhalten überhaupt erst erkennen zu können, wer hier als Täter möglicherweise infrage kommt, um dann bei weiteren Taten, die so eine Organisation begeht, dann dem Täter auf die Spur kommen zu können. Also ich muss eindeutig sagen, wir brauchen diese digitalen Spuren. Das ist eine andere Qualität von Tatort, mit der wir es zu tun haben. DNA, Faserspuren, Fingerabdrücke, das gibt es im Netz alles nicht. Das sind eben aktive Ports, Verbindungen, Kommunikationsdaten. Das ist uns genommen.

    Heinlein: Herr Jansen, aus Ihren Worten ist ganz deutlich die Enttäuschung zu hören. Kann man es auf einen Nenner bringen: Die Politik hat geschlampt und jetzt muss es die Polizei ausbaden?

    Jansen: Ich glaube, die Bürger werden es ausbaden. Wir sind konsterniert, das muss ich ganz klar sagen, weil wir wissen, dass uns hier heute ein deutliches [P?] vorgesetzt wurde. Das ist zu respektieren, das wird bei uns natürlich direkt umgesetzt. Aber bedenken Sie: Wir sind in einem aktiven Ermittlungsverfahren und nun werden massiv Beweismittel mit dem heutigen Tage entzogen, damit kann ein Kriminalbeamter nicht so gut umgehen, und es ist wichtig, es ist dringend notwendig, dieses Vakuum, was wir jetzt haben, so schnell wie möglich zu schließen, und zwar im Sinne der Sicherheit der Bürger.

    Heinlein: Ihre Kollegen von der Polizeigewerkschaft haben in einer ersten Reaktion das heutige Urteil als schallende Ohrfeige für die Bundesregierung bezeichnet. Teilen Sie diese Aussage?

    Jansen: Ich habe vorhin schon gesagt, bei der Politik fehlt es zum Teil am Technikverständnis und man muss das auch nachvollziehen können. Diese Entwicklung ist ja in den letzten 20 Jahren über uns hergeschwappt in einer Dynamik, die unglaublich ist, sieht aber dann Handlungsnotwendigkeiten und die Lösungen sind in der Tat schlecht. Es nutzt nichts, jetzt zu sagen schallende Ohrfeigen ja oder nein. Ich empfinde da überhaupt keine Häme. Es ist eine Aufforderung an alle, das so zu organisieren, den Sachverstand einzubringen, dass wir Sicherheit ins Netz kriegen, und ich glaube, der große Punkt wird sein, dass wir die Bürger auf die Notwendigkeit, sich auf die Nutzung vom Internet erst mal vorzubereiten, einstimmen. Wir brauchen da eine Qualifizierung unserer Bürger für Netzanwendung. Dann ist übrigens das Netz auch eine relativ sichere Angelegenheit. Aber da sind wir wirklich ganz, ganz schlecht aufgestellt. Das ist der Bereich, wo Politik mit breit angelegten Präventionsangeboten auf den Bürger zugehen muss. Das ist übrigens in meinen Augen auch ein Staatsauftrag.

    Heinlein: Klaus Jansen vom Bund deutscher Kriminalbeamter. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Jansen: Danke, Herr Heinlein.