Samstag, 20. April 2024

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Die Comtessa und der Schamane

Wir gelangen vom Geräusch zur Stille. Das ist ein zeitlich-akkustischer Weg, den wir zurücklegen. Das Wesentliche aber ist, dass wir in diesem Gerät den Weizen haben. Je nach der Grösse der Weizenkörner gelangen sie in sieben verschieden grosse Mühlen. Jedes gemahlene Korn ist zu irgendetwas nützlich. Am Ende der Maschine wird in einem Behälter die Spreu gesammelt und auch sie ist nützlich: mit ihr wird das Vieh gefüttert.

Von Thomas Migge | 08.06.2003
    Lucrezia De Domizio Durini ist keine Bäuerin. Die ganz in schwarz gekleidete ältere Dame mit den strohblonden Haaren und dem auffällig grossem Silberschmuck an den Armen versteht auch nicht besonders viel von Landwirtschaft. Doch was sie davon weiss, hat sie von einem Deutschen gelernt, der auch kein Bauer war. Joseph Beuys beschäftigte sich aber mit der Natur. Mit der Rettung der Natur durch die Kunst. Beuys ging es, erklärt die Signora, um das Verstehen der Natur - was nur möglich ist, wenn man ihre Funktionsweisen begreift.

    Ihm ging es um das Konzept des sozialen Lebens, das wie die Zirkulation des Blutes im menschlichen und tierischen Körper funktioniert. Er war davon überzeugt, das jeder Mensch etwas Gutes produzieren kann. Dieses Konzept, diese Mühle hier und dieses Denken gehören zu Beuys Idee der Verteidigung der Natur.

    Der deutsche Künstler liess in Kassel tausende von Bäumen pflanzen. Das ist bekannt. So gut wie unbekannt ist aber, dass die Idee zu diesem Konzept in Beuys' Atelier in Italien geboren wurde. Nach langen Diskussionen mit Lucrezia De Domizio Durini und ihrem Mann Buby. Bis 1986, dem Jahr seines Todes, hielt sich der Künstler immer wieder und manchmal auch gleich für mehrere Wochen in Bolognano auf. Ein so kleiner Ort, dass er nur auf sehr guten Strassenkarten zu finden ist.

    Von Rom über die Autobahn Richtung Pescara und in der Region Marken Abfahrt in eine wilde und nur wenig bewohnte Gegend. Berge und Felder und Schluchten. Hinter einem Hügel werden die niedrigen Dächer von Bolognano sichtbar. Mitten in dem kleinen Ort mit seinen nur 300 Einwohnern liegt "La Casa di Lucrezia": ein Renaissancepalast, der von ihrem Mann, dem als Baron die Ortschaft und hunderte von Hektar Land gehören, in eine luxuriöse Villa verwandelt worden ist. Eine Villa voll mit Kunst. Von Beuys und Pistoletto, von Morandi, Chia, Clemente und vielen anderen vor allem italienischen Künstlern des 20. Jahrhunderts. Frau Baronin ist eine der drei wichtigsten Kunstsammlerinnen Italiens. In Mailand besitzt sie eine Galerie und ein 1.000 qm Loft mit hunderten von Kunstobjekten. Nebenbei organisiert sie weltweit Kunstausstellungen. Ihr "Nest", wie sie die Villa nennt, liegt aber in Bolognano.

    Nach Beuys Tod haben wir den Innenhof in einen Platz umgebaut, den Beuys-Platz. Dort erinnert alles an die vier Symbole des Denkens von Joseph - in Form von vier Beeten: da ist Lorbeer. Für Beuys war diese Pflanze das Symbol für das Hohe in der Kunst. Ein anderes Beet zeigt Rosmarin: das Symbol der Energie des Lebens. Ein Olivenbaum als Symbol des Friedens und des Produzierens und viertens eine Eiche, Beuys' Baum schlechthin.

    Vor 26 Jahren lernten Lucrezia und Buby De Domizio Durini den deutschen Künstler in Neapel kennen. Sofort entstand eine enge Beziehung zwischen den wohlhabenden Mäzenen und Beuys. Das Ehepaar war fasziniert von dem, wie es Lucrezia nennt, "grünen Denken ante litteram" des Künstlers. Sie und ihr Mann finanzierten die verschiedensten künstlerischen Aktionen. Auch auf den Seyschellen, wo Lucrezia eine eigene Insel besitzt. Zusammen reiste man auf ein benachbartes Eiland, brach in den tiefsten Dschungel auf und pflanzte eine seltene Art von Kokospalmen. Ein Raum in Bolognano zeigt sämtliche Werkzeuge und Arbeitsschritte des "Diary of Seychelles".

    Ein ähnliches Projekt mit Olovenbäumen realisierte Beuys in Bolognano. Sein Titel Olivestone - eine Hommage an den klassischen Baum Südeuropas. In verschiedenen Räumen ihrer Villa sind die einzelnen Schritte der Umsetzung von verschiedenen Beuys-Projekten nachzuverfolgen. Buby Durini, ein leidenschaftlicher Fotograf, hatte die künstlerische Arbeit von Beuys minutiös festgehalten.

    Alles, was Beuys geschaffen hat, seit wir uns kennengelernt haben, wurde von meinem Mann abgelichtet. Alles.

    So ist ein immenses Fotoarchiv entstanden, sicherlich eines der umfangreichsten zum Schaffen dieses Künstlers. Lucrezia De Domizio Durini nutzt es, um ihre Publikationen zu illustrieren. Die Kunstsammlerin ist Herausgeberin von bisher 21 Büchern über Beuys - es erstaunt, dass Lucrezias Werke bisher keinen Verleger in Deutschland gefunden haben. Erstaunlich ist auch, dass deutsche Museen und Kunstexperten nicht mit ihr zusammenarbeiten. Das gleiche gilt für Italien: anscheinend absolutes Desinteresse:

    Wenn sie keine Beziehungen zu einer Partei oder der Kirche haben, dann bekommen sie keine Hilfe! Ich habe das hier alles allein finanziert. Mit meinem Geld. Alles, was ich geschaffen habe, wird nicht an den italienischen Staat gehen, um Gottes Willen, sondern an das Kunsthaus Zürich: Beuys Pflanzungen, der Palast Durini, und die gesamte Kunst, alles wird nach Zürich gehen. Die Italiener, die würden aus diesem Paradies hier doch nur eine Art Disneyland machen. Der italienische Staat kann mit Kunst nicht umgehen.

    Noch ist es aber nicht soweit und so führt Lucrezia ihre wenigen Besucher - die wissen, dass sich in Bolognano eine der wichtigsten europäischen Privatsammlungen zeitgenössischer Kunst befindet - persönlich durch den Palazzo. Von Raum zu Raum und damit von Kunstwerk zu Kunstwerk und zu den zahlreichen Installationen. Das ganze Gebäude ist zum Gesamtkunstwerk geworden. Mit zum Teil überraschenden Räumen - nicht nur was die Installationen von Beuys angeht. Wunderschön ist zum Beispiel das Fisch-Zimmer von Ingeborg Lüscher: die weissen Wände des grossen Raum sind über und über mit gelben Fischen bedeckt. Man fühlt sich wie in einem Aquarium. Die von Lucrezia betreuten und mit ihr befreundeten Künstler entwarfen auch Eticketten für die Weinflachen lokaler Rebensorte. Jeder Besucher ihres Kunst-Palazzos erhält eine solche Flasche. Natürlich zeigt sie ein Etickett von Joseph Beuys. Darauf steht in grossen schwarzen Lettern geschrieben: "Die Verteidigung der Natur".

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