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Die Demokratisierung in der Falle

Während das Militärregime in Myanmar Reformen in Richtung Demokratie zugesagt hat, zeigen sich kampferprobte buddhistische Mönche wenig kompromissbereit. Immer häufiger kommt es in dem Vielvölkerstaat zu Konflikten mit Muslimen.

Von Ingrid Norbu | 13.05.2013
    Der Birmane Khin Zaw Win saß elf Jahre als politischer Gefangener in Haft. Heute arbeitet er als Berater internationaler Organisationen und wieder als Autor gesellschaftlicher Analysen zur gegenwärtigen Situation in Birma. Er ist besorgt über die wachsende Gewalt gegenüber Moslems in seinem Land.

    "Es war am 20. März dieses Jahres in Meiktila, eine Stadt in Zentralbirma, südlich von Mandalay. Was anfangs nach einer gewöhnlichen Markt-Schlägerei aussah, wurde zum Pogrom. Bewaffneter Mob griff dort eine Madrasa, eine muslimische Schule, an. Kinder wurden getötet. Die Polizei griff nicht ein. Die Regierung des Landes, Vertreter der regionalen und lokalen Behörden und sogar parteipolitische Führer wie Aung San Suu Kyi verloren kein Wort darüber oder beließen es bei Lippenbekenntnissen."

    Besonders in Gebieten im Westen Myanmars haben sich über die Jahrhunderte die buddhistische und die muslimisch-hinduistische Kultur vermischt. Diese Vielfalt wurde von der Militärregierung stets als Bedrohung ihres buddhistisch-birmanischen Staatskonzepts angesehen. Im Vielvölkerstaat leben 135 verschiedene Ethnien, 89 Prozent dieser Bevölkerung sind Buddhisten. Lediglich vier Prozent bekennen sich zum Islam.

    "Wir haben hier eine Bevölkerungsgruppe, die nennt sich selbst Burma-Muslime. Die meisten von ihnen leben seit Generationen im Land und kamen bereits vor der Kolonialzeit. Sie haben die birmanische Kultur und manchmal auch birmanische Namen angenommen. Es gibt sie überall im Land. Und dann gibt es die muslimischen Rohingyas, die im Rakhine-Staat leben und ursprünglich aus Bengalen kommen. Beide Gruppen von Muslimen stammen aus Südasien, aber ihre Situation unterscheidet sich. Wer schon lange unter Birmanen lebt und sich angepasst hat, wird mehr oder weniger akzeptiert. Mit den Rohingyas verhält es sich anders. Sie leben an der Grenze zu Bangladesch und dort gibt es seit langer Zeit Spannungen und Zusammenstöße mit der buddhistischen Mehrheit des Rakhine-Staat."

    Im Juni letzten Jahres eskalierte die Gewalt im Rakhine-Staat. Gerüchten zufolge hatten dort vier Muslime eine Buddhistin vergewaltigt und getötet. Bei den anschließenden Kämpfen zwischen beiden Religionsgruppen kamen mehr als 90 Menschen ums Leben. An die Spitze der Gewalt stehen schon länger auch buddhistische Mönche. Nicht nur im Rakhine-Staat.

    "2003 gab es in der Nähe von Mandalay einen größeren Zusammenstoß zwischen jungen buddhistischen Mönchen und Muslimen. Damals reagierten die Sicherheitskräfte noch ziemlich harsch gegenüber den Mönchen. Viele kamen ins Gefängnis, wurden aber nach ihrer Freilassung wieder Mönche. Solche Zwischenfälle ereigneten sich zur Zeit der Militärdiktatur etwa alle drei bis vier Jahre. Allerdings gibt es seit Langem antimuslimische Ressentiments in der Gesellschaft. Der Islam unterscheidet sich fundamental vom Buddhismus, so die Ansicht, und die Mönche untermauern diese Haltung in der Bevölkerung. Wenn man einen Hindu in Myanmar nach seiner Religion fragt, dann wird er sagen: Ich bin Hindu-Buddhist. Das Wort Buddhist wird er nie weglassen. Die Christen haben mit den Mönchen keine Probleme, höchstens mit der Regierung. Nur gegen die Muslime haben sowohl die Bevölkerung als auch die Regierung große Vorbehalte. Gibt es einen Auslöser, kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, wie man das schon seit Längerem in Indien zwischen Hindus und Muslimen sieht."

    Seit die Angst vor dem Islam allgemein umgeht, fühlen sich Buddhisten in Myanmar bestätigt. Warum dürfen Nicht-Muslime keine Moschee betreten, was haben Muslime zu verbergen, warum dürfen sie mehrere Frauen heiraten, fragen sie. Seit der Öffnung des Landes werden Konflikte vermehrt ausgetragen. Die Regierung sitzt nun in einer Falle: Gingen die Sicherheitskräfte mit aller Härte auch gegen gewalttätige Mönche vor, die den Mob anheizen, würde sich nicht nur das Ausland schnell wieder an die "Safranrevolution" der Mönche vom September 2007 erinnert fühlen.

    "Letztes Jahr im November gab es gewaltsame Auseinandersetzungen um eine Kupfermine in Zentralbirma. Sicherheitskräfte setzten Tränengas mit Phosphor ein. Mönche, die an den Protesten beteiligt waren, trugen schlimme Brandwunden davon und es gab einen Aufschrei in der Öffentlichkeit. Es hagelte Kritik und die Regierung ordnete an, dass sich die Polizei bei den Mönchen entschuldigt. Das ist ein Grund, warum sie nicht mehr gegen gewalttätige Mönche einschreitet. Aber man muss doch die Frage stellen dürfen, sollen wir, wenn der buddhistische Mob muslimische Kinder tötet, tatenlos zusehen? Wir sind doppelzüngig und müssen uns schämen, da nicht einzugreifen. Da ergeben sich Parallelen zu gewaltbereiten Mönchen in Sri Lanka, auch wenn es hier in Myanmar noch nicht ganz so schlimm ist. Wenn wir aber nicht eingreifen, wird sich der Hass und die Gewalt irgendwann auch gegen andere nicht-buddhistische Gruppierungen richten."

    Wer sich gegen die Mönche und ihre Unterstützer stellt, wird als Muslimfreund diskreditiert. Andererseits stehen Gewalt und Misstrauen im Gegensatz zu demokratischen Reformen, wirtschaftlichem und sozialem Wandel. Was ist zu tun, um einen Flächenbrand zu verhindern, fragt sich auch Salai Isaac Khen, ein Christ aus dem Chin-Staat. Seine Vorschläge, wie Frieden sowohl in Zentralmyanmar als auch im Rakhine-Staat erreicht werden kann, beruhen auf Erfahrungen, die er bei Verhandlungen zwischen ethnischen und religiösen Minderheiten und der Zentralregierung sammeln konnte.

    "Ich sehe, dass auf beiden Seiten die Angst ein Auslöser für Gewalt ist. Deshalb muss jeder Verständnis für den anderen aufbringen. Die Muslime sollten eine offenere Gemeinschaft werden, denn ihre Verschlossenheit ängstigt die lokale Bevölkerung, besonders im Rakhine-Staat. Das sollte der erste Schritt sein. Die Regierung hat einen Bericht veröffentlicht, in dem vertrauensbildende Maßnahmen vorgeschlagen werden. Die Erinnerung an friedlichere Zeiten in der Vergangenheit könnte den Prozess der Aussöhnung vorantreiben. Es sollte Vermittler von Regierungsseite und aus dem Ausland geben, aber den Anfang müssen die Betroffenen selbst machen."