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Die deutsch-deutsche Währungsunion
"Kohl und Waigel hielten das zunächst für eine verrückte Idee"

Anfang 1990 war die SPD-Politikerin Ingrid Matthäus-Maier eine der ersten, die die Einführung der D-Mark im Osten vorschlug. Noch hielt Helmut Kohl das für Spinnerei. Im Rückblick betont die Finanzexpertin, die Währungsunion sei trotz aller Probleme das einzig Mögliche gewesen - wenn man nicht eine neue Mauer hätte bauen wollen.

Doris Simon im Gespräch mit Ingrid Matthäus-Maier | 26.01.2015
    Das Interview bezieht sich auf folgendes "Dokument der Woche".

    Doris Simon: Im Januar 1990, als Sie dem Deutschlandfunk, Frau Matthäus-Maier, Ihr Interview gaben, da lag das Treffen von Helmut Kohl und Hans Modrow in Dresden gerade einen Monat zurück - ein Treffen, wo zuerst Helmut Kohl, aber dann ganz vielen anderen auch bewusst wurde, dass es wohl nicht in den sorgsam bedachten Schritten des Zehn-Punkte-Plans vorangehen wird, sondern nach „Wir sind das Volk!" in sehr viel größeren und sehr viel unplanbaren Schritten die beiden Deutschlands sich näherkommen würden. Januar 1990 war aber auch noch vor dem Treffen, was man heute historisch nennt, zwischen Helmut Kohl und Michail Gorbatschow im Kaukasus, wo Gorbatschow grünes Licht gab für eine spätere deutsche Wiedervereinigung zu für Deutschland doch sehr, sehr günstigen Konditionen. Das konnte man damals nicht wissen im Januar 1990. Sie gaben dem Deutschlandfunk ein Interview, was dann zusammengefasst wurde unter "Die Währungsunion ist nicht zum Nulltarif zu haben". An wen haben Sie damals vor allem gedacht, als Sie das gesagt haben? An wen richtete sich das vor allem?
    Ingrid Matthäus-Maier: Das, was in dieser Überschrift steckt, richtete sich an zwei. Das eine waren die Menschen in der damaligen Noch-DDR. Gerade in dieser Zwischenphase kamen ja jede Menge Menschen von Ost nach West. Im Laufe des Januar/Februar stieg das auf 20.000 pro Monat. Die westdeutschen Kommunen brachen zusammen, sie hatten nicht genug Wohnungen, sie hatten nicht genug Möglichkeiten, sie unterzubringen, ihnen Arbeit zu verschaffen. Man erinnert sich vielleicht an die berühmten Plakate - ich war ja schon oft drüben und sah sie dann auch: "Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, gehen wir zu ihr." Also die eine Richtung war, wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen eine Perspektive bekommen, dass sie bleiben, und die andere Richtung war die Bundesregierung und die Politik in Westdeutschland, denn dieses konnte nur funktionieren, wenn man zusammen mit einer gemeinsamen Währung, der Mark in Ost und West, ein großes Investitionsprogramm machen würde, das natürlich Geld kostet. Denn es war klar: Eine solche Währungsunion würde auch dazu führen, wie notwendig sie auch war, dass es zusätzliche Arbeitslose gab.
    "Waigel sagte zuerst, ich hätte sie nicht mehr alle mit der Idee einer Währungsunion"
    Simon: Sie waren damals finanzpolitische Sprecherin der SPD. Von daher ist es logisch, dass Sie mit Geld argumentieren - Nulltarif. War das auch so ein bisschen geschuldet dem Gedanken, wir sind jetzt in einer kritischen Phase, wo man übers Geld reden muss, weil das die Dinge sind, die ankommen?
    Matthäus-Maier: Zum einen war Währung, Geld, Finanzen natürlich mein Spezialgebiet. Aber der Hauptgrund war der folgende, dass man den Menschen die Wahrheit sagt: Den Menschen im Westen und in der Politik, wir brauchen die Währungsunion, sonst kommen immer mehr und immer mehr, das bricht dann in ein Chaos aus, die Menschen im Osten wollen das, und umgekehrt aber auch den Menschen sagt, das kostet Geld. Und das ist ja auch der Vorwurf, den ich dann Kohl gegenüber erhoben habe, dass die Währungsunion kam, denn im Februar schwenkte er ja um. Vorher, weiß ich noch, hat Waigel über mich gesagt sinngemäß, ich hätte sie nicht mehr alle mit dieser verrückten Idee einer Währungsunion, die D-Mark nach Osten. Er schwenkte um. Ich habe ihn später mal gefragt, als er gar nicht mehr Kanzler war: Zu welchem Zeitpunkt und warum haben Sie sich entschieden, diesen Gedanken aufzugreifen? Da hat er gesagt, mein Innenminister Schäuble berichtete mir von den Zahlen, die jeden Monat von Ost nach West flohen oder fuhren oder gingen, und das ging so nicht weiter. Also die Ehrlichkeit, wenn wir so etwas machen: Es ist notwendig, es ist gut, aber es kostet was.
    Ingrid Matthäus-Maier, Juristin und Verwaltungsrichterin, machte zunächst in der FDP Karriere. 1972 war sie als Bundesvorsitzende der Jungdemokraten die erste weibliche Chefin eines politischen Jugendverbandes in der Bundesrepublik. 1976 zog sie in den Bundestag ein, in dem sie fast 23 Jahre vertreten bleiben sollte. 1982 verließ sie die FDP im Protest gegen den Koalitionswechsel ihrer Partei, der die sozial-liberale Ära beendete und die Kanzlerschaft von Helmut Kohl begründete. Ingrid Matthäus-Maier trat der SPD bei und wurde auch dort rasch die führende Finanzexpertin. 1999 legte sie ihr Bundestagsmandat nieder und wechselte in den Vorstand der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Ab Oktober 2006 war sie Vorstandssprecherin der KfW-Bankengruppe und damit die erste Frau an der Spitze einer deutschen Großbank.
    Simon: Mein Kollege, der damals das Interview mit Ihnen geführt hatte, der fragte auch relativ bald, was kostet uns Westdeutsche denn das. Sie waren ja eine Abgeordnete mit einem Wahlkreis. Wie vorrangig war denn im Januar 1990, gerade mal zwei Monate nach dem Mauerfall, diese Frage und war das eine Sorge für Ihre westdeutschen Wähler?
    Matthäus-Maier: Im Januar wohl noch nicht, obwohl die Gemeinden, in die dann die neuen früheren Ostdeutschen kamen, besorgt wurden, weil es immer mehr wurden. Nein, der Januar war noch ein Zeitpunkt, in dem man noch sehr viel Solidarität im Westen fand. Eine meiner Kritik an Kohl war ja auch, dass er gesagt hat, durch die Währungsunion, keinem wird es schlechter gehen, allen wird es besser gehen und keine Steuererhöhung für die deutsche Einheit, was ganz falsch war. Und deswegen hat das bei mir im Wahlkreis keine Rolle gespielt. Die Leute waren zur Solidarität bereit und die waren auch bereit, zum Beispiel einen zusätzlichen Soli zu zahlen, wie er dann später auf unser Drängen gekommen ist.
    Simon: Sie waren finanzpolitische Sprecherin, Expertin in Sachen Geld, Sie haben auch Jura studiert, Sie waren Richterin, Sie haben eine ganze Menge gelernt. Aber für das, was da passierte, gab es keine Blaupause. Das hatten Sie nicht gelernt und die anderen auch nicht. Wie haben Sie eigentlich Ihre Ideen entwickelt? Sie wurden ja zum Beispiel im Interview auch angesprochen, wie machen wir das denn praktisch mit dem Umtauschen, welches Verhältnis?
    "Für mich war der Gedanke an ein gemeinsames Geld auch etwas ganz neues"
    Matthäus-Maier: Für mich war diese Idee des gemeinsamen Geldes auch etwas ganz Neues und ich habe mit meinen Mitarbeitern und meinem Mann im Dezember 1989 zusammengesessen, hin- und herüberlegt, wie könnte das funktionieren. Es gab wirklich nirgendwo ein Vorbild für diese schwierige Operation. Und wir haben uns dann dazu entschieden, dieses so vorzuschlagen. Natürlich war noch unklar, wie das im Detail gehen könnte. Sie sehen das auch daran, dass ich damals an einen Umtauschkurs eins zu fünf gedacht habe. Im Nachhinein war der völlig Quatsch! Es wurde ja eins zu zwei im Durchschnitt umgetauscht. Aber bei den sogenannten Flussgrößen - Flussgrößen ist das, was fließt; das Geld fließt bei den Renten und bei den Löhnen -, bei den Flussgrößen war völlig klar, mir auch sehr bald (da sehen Sie, dass ich auch noch das vom Januar an weiterentwickelt habe), dass bei den Flussgrößen das nur eins zu eins sein konnte. Die Rentner hatten damals im Osten ungefähr einen Rentenbetrag von 270 Ostmark. Die konnten sie doch nicht anders als eins zu eins umstellen, sonst hätten die die Hälfte von 270 Ostmark in Westmark gehabt, da konnte ja nun keiner von leben. Deswegen haben wir es ja dann später differenziert gemacht. Bei den Vermögen, was die Leute auf dem Konto hatten, da ging es dann mehr für die Älteren, weil die schon gelitten hatten unter dem System, und weniger für die Jungen und ganz wenig für die, die hohe SED-Funktionen hatten. Da hat sich manches erst entwickelt. Aber das war wirklich auch für mich etwas total Neues, übrigens auch nicht ohne Risiko. Risiko, dass andere sagten, die hat sie nicht mehr alle, und dass meine eigene Fraktion mir nicht gefolgt wäre. Das ist sie aber Gott sei Dank.
    "Klugscheißer sagten, dafür braucht man 10 Jahre - die hatten wir aber nicht!
    Simon: Woher nahmen Sie denn Ihre Kenntnisse aus und über die DDR?
    Matthäus-Maier: Ich hatte eigentlich wenig Kenntnisse über die DDR. Ich war so ein richtiger Wessi. Ich kannte Brüssel und Belgien und Holland und Frankreich, aber nicht die DDR. Aber als dann _89 die Mauer fiel, da bin ich natürlich auch mit Wolfgang Groth zum Beispiel rübergefahren, und ich war so tief entsetzt von der Situation und habe nur gedacht, der Verfassungsschutz in Deutschland, was hat der eigentlich getrieben all die Jahre, der hat doch irgendwie gar nicht mitgekriegt, welche unmöglichen auch ökonomischen Verhältnisse da herrschten. Ich habe mir angeschaut in diesen Zeiten in Magdeburg die Firma SKET, das Vorzeigeunternehmen für Maschinenbau. So was hatten Sie im Westen nie mehr gefunden: verdreckt, alt, verrostet, zu Lasten der Menschen, ihrer Gesundheit, der Umwelt. Da war völlig klar, da musste ganz schnell was geschehen, und deswegen ja auch meine Forderung: Währungsunion, aber dazu ein Infrastrukturprogramm, ein großes, dazu eine Sozialunion - das hat Rudolf Dreßler mit noch auf den Weg gebracht - und aber auch das Wissen, die Menschen wollten es. Ich habe ja dann, darf ich das mal ein bisschen salopp sagen, dauernd mit Klugscheißern zu tun gehabt, die dann sagten, so was, da braucht man zehn Jahre für. Theoretisch ist das richtig, aber die Menschen drüben wollten das nicht in zehn Jahren, sondern schnell. Sie hätten da eine neue Mauer aufbauen müssen. Also all die klugen Sprüche, lieber langsam, theoretisch wäre das schön gewesen, es ging aber nicht.