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Die deutsche Tennis-Gräfin

Gleich zwei deutsche Spieler prägten das Tennis der 80er Jahre: Boris Becker und Steffi Graf. Letztere krönte bei den US-Open vor 20 Jahren eine beispiellose Siegesserie. Als dritte Spielerin der Welt überhaupt hatte sie den Grand Slam gewonnen und mit nur 19 Jahren mehr erreicht als andere berühmte Spielerinnen in ihrer ganzen Karriere.

Von Martin Hartwig | 10.09.2008
    "6:3 Führung im Tie-Break-Spiel, und das bedeutet dreimal Matchball. Aufschlag von der linken Seite auf die Rückhand von Steffi von Chris Evert, dann geht Steffi Graf vor nach diesem etwas verunglückten Return und macht den Punkt. Steffi Graf also gewinnt mit 6:1 und 7:6 in über einer Stunde Spielzeit hier vor 15.000 Zuschauern."

    Es war der perfekte Auftakt eines perfekten Jahres für Steffi Graf, die jetzt an Popularität und Erfolg mit dem anderen deutschen Tennisjungstar Boris Becker gleichgezogen hatte. Und das Publikum wollte mehr.

    Reporter: "Abschließende Frage, Steffi: Dieser Auftakt war perfekt. Wer kann 1988 eine Steffi Graf auch nur in Normalform noch schlagen?"
    Steffi Graf: "Martina Navratilova, Chris Evert, Hanna Mandlikowa und Gabriela Sabatini. Und alle, die noch rumlaufen."

    Tatsächlich gelang es im Laufe des Jahres nur noch der Argentinierin Gabriela Sabatini, Steffi Graf überhaupt zu schlagen, alle anderen mussten zum Teil deutliche Niederlagen einstecken. Am schlimmsten erwischte es Natascha Zwerewa bei den French Open. Sie wurde im Finale in 33 Minuten mit 6:0 / 6:0 abgefertigt. Steffi Graf entschuldigte sich anschließend beim Publikum:

    "First thing I have to say that I’m sorry that it was so fast …"

    Spätestens nach dem Sieg in Paris war das Ziel ausgegeben: der Grand Slam, der Gewinn der vier wichtigsten Tennisturniere innerhalb eines Kalenderjahres. Nach den Australian Open im Januar und dem Sieg in Paris im Juni standen jetzt "nur noch" Wimbledon und die US-Open im Herbst an. Niemand in der Fachwelt zweifelte daran, dass Steffi Graf auch diese Turniere gewinnen könnte. Ihr selbst war der Rummel um ihre Person zunehmend unangenehm, wie sie später einräumte.

    "Ich weiß, dass ich nicht immer einfach war. Ich wünschte, mir wäre vieles einfacher gefallen, aber ich glaube, ich habe mich nie so ganz in der Öffentlichkeit wohl gefühlt."

    Das Tennisspielen zumindest fiel ihr offensichtlich leicht. Eigentlich eine Grundlinienspielerin, war sie dennoch auch am Netz stark und spielte variabel und athletisch. Ihre größte Stärke war jedoch ihre extrem hart geschlagene Vorhand, mit der sie ihre Gegnerinnen permanent unter Druck setzte.

    "Fräulein Forehand" wurde sie in der englischen Presse genannt, und die New York Times schrieb, dass sie schlüge, als würde man die Haustür vor den Zeugen Jehovas zuknallen. Den Matchball in Wimbledon im Juni 1988 machte sie allerdings nicht mit der Vorhand.

    "Nach einer Stunde 33 Minuten Matchball Steffi Graf. Jetzt schlägt Martina auf von der linken Seite, und dann mit einem Netzroller gewinnt Steffi Graf, reißt die Arme hoch, Shake-Hands der beiden, die 16.000 Zuschauer erheben sich."

    Mit 5:7, 6:2 und 6:1 besiegte Steffi Graf Martina Navratilova, seit 1982 die dominierende Spielerin im Frauentennis. Das war der endgültige Wachwechsel, und die Begeisterung in Deutschland kannte keine Grenzen mehr. Die Boulevardpresse kürte sie zur "Gräfin", in Umfragen wurde sie von Jugendlichen als Vorbild Nummer Eins genannt, und vom Kanzler bis zum Bundespräsidenten hatten alle nur Gutes über sie zu sagen.

    Im Gegensatz zu Boris Becker, der schon längst nach Monaco gezogen war und mehr und mehr ein Leben im Jet-Set zu führen schien, ließ Steffi Graf keine Gelegenheit aus, Bodenständigkeit und Heimattreue zu demonstrieren. Der Spiegel kommentierte:

    "Sie ist sauber, anständig, wunderbar deutsch, sie zahlt ihre Steuern, hängt am Papa und ist im Zeitalter wieder hochgeschätzter Jungfräulichkeit offenbar auch da ein Vorbild. Selbst der 'Kirchenbote des Bistums Osnabrück' steht voll hinter Steffi, die als 'echte und gute Katholikin' zitiert wird."

    Erstaunlicherweise setzte der Rummel der jungen Frau kaum zu. Ruhig nahm sie Kurs auf das vierte Grand Slam Turnier des Jahres, die US-Open, wo sie im Finale am 10. September auf die hartnäckigste Gegnerin des Jahres 1988 traf.

    "Sabatini mit der Vorhand spielt auf die Rückhand von Graf, greift an, soll passiert werden, geht ans Netz. Beide Spieler sind vorne, und dann macht Steffi den Punkt. Steffi Graf gewinnt die US-Open, und zum ersten Mal gewinnt eine Deutsche den Grand Slam des Tennissports."

    Sie hatte es tatsächlich geschafft. Als dritte Spielerin der Welt überhaupt hatte sie den Grand Slam gewonnen und mit nur 19 Jahren mehr erreicht als andere berühmte Spielerinnen in ihrer ganzen Karriere. Dennoch blieb sie weiterhin ehrgeizig.

    "Mir macht es immer noch sehr viel Spaß, und ob ich schon das Größte erreicht habe, was zu erreichen ist - oder nicht. Ich sehe trotzdem noch mein Ziel, mich sportlich noch im Tennis zu verbessern."

    Sie wurde noch besser im Tennis und die Saison 1988 war ja auch noch nicht zu Ende …

    "Das Spiel ist vorbei, Steffi gewinnt, sie gewinnt nicht nur dieses Spiel, sie gewinnt auch olympisches Gold mit diesem Erfolg im olympischen Finale über Gabriela Sabatini. Es ist das Jahr der Steffi Graf."