Dienstag, 19. März 2024

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Die deutsche Wirtschaft und die Wahl
"Hängepartien sind Gift für die Wirtschaft"

BDI-Präsident Dieter Kempf hält eine rasche Regierungsbildung für dringend notwendig. Mangelnde Vorhersehbarkeit sei für die Wirtschaft sehr schwierig. Solange Unsicherheit bestehe, werde gerade im Mittelstand niemand investieren, sagte er im Dlf.

Dieter Kempf im Gespräch mit Mario Dobovisek | 26.09.2017
    BDI-Präsident Dieter Kempf hält im Deutschen Historischen Museum in Berlin eine Rede.
    BDI-Präsident Dieter Kempf hat klare Vorstellungen davon, was Bundeskanzlerin Merkel bei ihrem USA-Besuch sagen sollte. (dpa / picture alliance / Rainer Jensen)
    Mario Dobovisek: Den Bundestag gewählt haben die Deutschen am Sonntag und damit das politische Berlin kräftig durcheinandergewirbelt. Union und SPD abgestraft, die FDP zieht wieder ein ins Parlament und mit ihr erstmals auch die AfD. Koalitionsaussichten gibt es kaum, nachdem die SPD nicht mehr für eine Große Koalition zur Verfügung stehen möchte. Es bleibt Jamaika, ein Bündnis aus Union, FDP und Grünen. Nie da gewesen auf Bundesebene und aufgrund der teils sehr unterschiedlichen Positionen nicht einfach zu verhandeln. – Am Telefon begrüße ich Dieter Kempf. Er ist Präsident des Bundes der Deutschen Industrie. Guten Morgen, Herr Kempf!
    Dieter Kempf: Schönen guten Morgen, Herr Dobovisek.
    Dobovisek: Erstmals seit 1961 zieht mit der AfD wieder eine rechte, eine rechtspopulistische Partei in den Deutschen Bundestag ein, weit rechts gelegen von CDU und CSU. Es gehe jetzt darum, Schaden vom Standort Deutschland abzuwenden. Das haben Sie noch am Sonntag gesagt, am Wahlabend. Wer richtet da potenziell welchen Schaden an?
    Kempf: Na ja, man muss sehen, dass die AfD zumindest im Rahmen des Wahlkampfs im Kern gegen vieles das war, was Deutschland stark gemacht hat. Sie spielt mit Ängsten, auch mit den Herausforderungen der Freiheit. Sie spielt mit unserer globalisierten Verflechtung. Das sind vieles Dinge, wo wir aus Sicht der Wirtschaft sagen müssen, das waren genau jene Dinge, die uns erfolgreich gemacht haben, die deutsche Wirtschaft und damit auch deutsche Arbeitsplätze erfolgreich gemacht haben. Wir halten Kernpunkte der Politik der AfD, so wie sie heute formuliert sind, für schlichtweg falsch.
    "Vorteile einer globalisierten Wirtschaft deutlicher erklären"
    Dobovisek: Welche konkreten Folgen für die Wirtschaft erwarten Sie?
    Kempf: Ich glaube, dass es natürlich im Ausland alleine deshalb, weil sehr viel rechtsnationale Töne zu hören waren, schon so etwas wie einen Image-Schaden gibt. Ich denke, hier wird man abwarten müssen, wie sich die AfD dann im parlamentarischen Betrieb bewährt oder, wenn Sie so wollen, benimmt. Da gibt es ja sehr unterschiedliche Aussagen von den unterschiedlichen Flügeln dieser Partei. Wir werden es mit Spannung, aber doch auch mit Verunsicherung und einem großen Paket an Bedenken beobachten.
    Dobovisek: Gehen Sie davon aus, dass ausländische, dass internationale Investoren abgeschreckt sind, wie auch schon geschehen nach fremdenfeindlichen Übergriffen?
    Kempf: Ich halte es zumindest nicht für eine konstruktive Einladung an ausländische Investoren, wenn man sich in seinem Wahlprogramm auf das Gestern zurückzieht, nicht über morgen nachdenkt, wenn man sich auf das Nationale zurückzieht, was einfach für unser Land keine Alternative ist. Ich bedauere wirklich, dass es diese Tendenzen sowohl am rechten als auch am äußerst linken Rand in Deutschland gibt, und diese nationalistischen Äußerungen sind nicht dazu angetan, von ausländischen Investoren als Einladung verstanden zu werden.
    Dobovisek: Jetzt erleben wir den Rückzug ins Nationale auch bei vielen unserer europäischen Nachbarn, auch in den USA unter Präsident Donald Trump. Kann sich die deutsche Industrie dem verwehren und weiter allein auf die grenzenlose Globalisierung setzen?
    Kempf: Ihre Beobachtung ist sicherlich richtig und wir müssen uns alle gemeinsam kritisch fragen, woran es denn liegt, dass die Bevölkerung nicht nur Deutschlands oder ein Teil der Bevölkerung Deutschlands, sondern auch in einigen Nachbarländern plötzlich wieder sehr empfänglich für jeweils nationale Argumentationen geworden ist. Vielleicht müssen wir von Seiten der Wirtschaft genauso wie Politik die Vorteile einer globalisierten Wirtschaft deutlicher erklären, den Menschen möglicherweise latent vorhandene Ängste vor globalisierten Wirtschaften nehmen. Aber die Tatsache, dass es auch im Ausland national ausgerichtete Tendenzen gibt, darf uns um Gottes Willen die Tendenz im eigenen Land nicht verniedlichen lassen, sondern wir müssen mit allem Ernst und mit aller Besonnenheit mit dieser Situation umgehen und dabei aber auch versuchen, nicht alle Wählerinnen und Wähler, die sich jetzt für eine AfD entschieden haben, zwangsläufig in die äußerste rechte Ecke stellen.
    Parteien müsen sich ihrer demokratischen Verantwortung bewusst zu sein
    Dobovisek: Sie haben ja die Wähler auf beiden Seiten des Spektrums angesprochen, Herr Kempf, sowohl des rechten als auch des linken Spektrums. Das sind insgesamt, wenn man das zusammenzählt, gut 22 Prozent aller deutschen Wähler, die ihre Stimme abgegeben haben. Und beide Parteien, sowohl die AfD als auch die Linkspartei, beide wollen das Wirtschaftssystem verändern. Haben 22 Prozent der Deutschen das bestehende Wirtschaftssystem abgewählt?
    Kempf: So würde ich es nicht sagen. Aber ich würde schon denken, dass es eine Gefahr gibt, dass diejenigen, die sich jetzt für den äußerst linken und für den äußerst rechten Rand entschieden haben, zu einem Abwählen des bisherigen Wirtschaftssystems, also genau jenes Systems, das uns so erfolgreich gemacht hat, nicht nur wirtschaftlich, nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Gesellschaft zumindest in grosso modo, dass da eine gewisse Gefahr besteht, und dieser Gefahr müssen wir begegnen. Es war ja manchmal interessant zu beobachten, …
    Dobovisek: Aber ist der Erfolg der Vergangenheit automatisch auch der Erfolg der Zukunft?
    Kempf: Nein! Das ist auch eine der Mahnungen, die wir an die Politik der letzten vier Jahre gerichtet haben, dass die Große Koalition sich viel zu sehr darauf konzentriert hat, in der Vergangenheit der Wirtschaft den Wohlstand zu verteilen, statt sich darauf zu konzentrieren, die Voraussetzungen für das Schaffen neuen Wohlstands, permanenten Wohlstands zu setzen. Das war eine unserer wesentlichen Kritiken an der Vergangenheit und wir haben dies auch im Wahlkampf immer allen wahlkämpfenden Parteien vorgehalten und gesagt, genau das müssen wir in den nächsten vier Jahren tun. Das wird natürlich jetzt in einer möglichen Koalition von vier verschiedenen Parteien nicht unbedingt einfacher werden.
    Dobovisek: Dann schauen wir genau dahin und in die Zukunft. Eric Schweitzer vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag spricht von schwierigen Zeiten, auch mit Blick auf die Verhandlungen zwischen Union, FDP und den Grünen, die über eine Jamaika-Koalition beraten wollen. Die Bundeskanzlerin wurde gestern gefragt, ob es bis Weihnachten eine Koalition geben werde. Nüchtern hat sie geantwortet, in der Ruhe liegt die Kraft. Wieviel Ruhe bringt dafür die deutsche Industrie mit, Herr Kempf?
    Kempf: Na ja. Wenn es denn Ruhe wäre, dann wäre es ja gar nicht so schlecht, denn was für die Wirtschaft am schwierigsten ist, sind Dinge, die wenig vorhersehbar, die wenig einschätzbar sind. Mit Unsicherheit, mit mangelnder Vorhersehbarkeit wird niemand insbesondere im Mittelstand investieren. Das heißt, solche Schwebepartien, solche Hängepartien sind Gift für die Wirtschaft. Deswegen gilt unser Appell an die Verhandlungsführer der vier Parteien, sich ihrer demokratischen Verantwortung bewusst zu sein. Jetzt geht es nicht darum, eigene Grundlagenpositionen durchzukämpfen, sondern eine vernünftige, dem Wählerwillen gerecht werdende Kompromisslinie zu finden. Das ist schwierig genug.
    Dobovisek: Und sehen Sie das in der Zukunft?
    Kempf: Ich sehe durchaus Chancen, denn die vier Parteien, die jetzt eine Koalition nach aller Voraussicht bilden werden und bilden können, da gibt es schon Punkte, die durchaus relativ einig sind und auch unserer Meinung aus der Wirtschaft entsprechen. Denken Sie an weitgehende Übereinstimmung bei europapolitischen Vorstellungen. Aber es gibt natürlich auch sehr divergierende Vorstellungen, zum Beispiel in der Klima- und Energiepolitik, aber auch der eine oder andere Parteitagsbeschluss zur Steuerpolitik. Ich erinnere an die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer. Das ist natürlich völlig Gift für die Wirtschaft, insbesondere für den für Deutschland ganz wichtigen Mittelstand.
    Dobovisek: Oder auch die Auseinandersetzung um den Verbrennungsmotor.
    Kempf: Ja.
    Verbrennungsmotor: Ringen um Ausstiegsdatum
    Dobovisek: Die CSU lehnt kategorisch ein klares Ausstiegsdatum ab, was die Grünen wiederum fordern. Klingt nach einem Eiertanz aus Sicht der Industrie.
    Kempf: Ja, das wird nicht einfach. Aber es wird auch hier darum gehen, auch jenen Teil der Grünen – es sind ja nicht alle; Herr Kretschmann hat sich ja völlig anders geäußert zu diesem Thema -, jenen Teil der Grünen, die diesen zwingenden Ausstieg fordern, davon zu überzeugen, dass wir heute einfach technologisch und wissenschaftlich nicht soweit sind, überhaupt beurteilen zu können, ob der batteriebetriebene Elektromotor die alleinige Zukunft hat. Es ist einfach unsinnig, dies zu glauben. Wir haben heute beim batteriebetriebenen Elektromotor noch nicht mal eine vernünftige Aussicht auf hinreichende Rohstoffgewinnung.
    Dobovisek: Also doch lieber die Große Koalition?
    Kempf: Ich würde das Sachthema vom politischen Thema trennen. Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass man vernünftige Positionen, wissenschaftlich fundierte Positionen auch dann haben kann, wenn man vier Parteien unter einen Hut bringen muss und nicht nur zwei.
    Dobovisek: Dieter Kempf ist Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Ich danke Ihnen für das Interview.
    Kempf: Haben Sie vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.