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Die Deutschen machen sich die meisten Sorgen

Selbst die gute Wirtschaftslage, niedrige Arbeitslosigkeit und hohe Löhne können da nicht helfen. Nirgendwo in Europa sehen die Menschen mehr Probleme als in Deutschland, so das Ergebnis einer Umfrage des Nürnberger Forschungsinstituts GfK.

Von Sabine Göb | 09.07.2013
    Die drängenden Themen sind in ganz Europa die gleichen: Arbeitslosigkeit und Inflation. Doch gerade die Inflation macht den Deutschen am meisten Sorgen, so GfK-Studienleiter Ronald Frank:

    "Bei der Inflation ist einer der wenigen Bereiche - wenn man das analysiert mit der faktischen Lage -, wo man bei den Deutschen sehen kann: Sie reagieren eigentlich übersensibel. Jetzt, wenn man historisch überlegt, Weimarer Republik mit Hyperinflation, 1948 die Währungsreform mit einer massiven De-facto-Entwertung, dann die Einführung des Euro in Deutschland kontrovers diskutiert – das alles spielt sicherlich eine Rolle, dass die Deutschen da wesentlich empfindlicher reagieren, als andere Völker."

    Viele unserer europäischen Nachbarn wären froh, wenn sie die Probleme Deutschlands hätten. Doch für die eigenen Sorgen hilft es anscheinend wenig, dass die Zahlen hierzulande im europäischen Vergleich gut aussehen:

    "Die objektive wirtschaftliche, auch soziale Lage, Versorgungslage, Arbeitsmarkt, wirtschaftliche Entwicklung ist relativ gut. Aber man muss natürlich auch sehen: Die Deutschen haben sicher von ihrer Mentalität her im Vergleich zu anderen Ländern relativ hohe Ansprüche. Alles muss funktionieren, es muss effizient sein aufgrund unserer Tugenden - wir sind fleißig, wir sind ordentlich, wir sind pünktlich - der deutsche Ingenieur ist eigentlich ein Prototyp dessen, etwas zu produzieren, was perfekt funktioniert, das perfekte Produkt. Wenn es dann nicht perfekt funktioniert, ist die Toleranz, das zu ertragen, die Schwelle dazu, sehr niedrig. Schönes Beispiel: wenn Züge zu spät kommen, wenn Flieger sich verspäten. Die Geduld, so etwas hinzunehmen, zu tolerieren, ist in Deutschland verglichen mit anderen Ländern sehr gering."

    Eine Diagnose, um die viele Deutsche durchaus wissen und sich selbst den Spiegel vorhalten:

    "Weil die deutschen Perfektionisten sind, gern perfekt alles haben wollen und feststellen, das Leben lässt sich nicht perfekt einrichten, die Realität schaut anders aus. Vielleicht sind wir nicht so gestrickt, zu sagen, wir leben in den Tag hinein und genießen heute, jetzt! Ich bin relativ viel herumgereist und ich muss ganz ehrlich sagen, wir jammern hier auf hohem Niveau, dass das Wetter schlecht ist, mal zu warm, mal zu kalt, und dass die Bahn nur zu 96 Prozent pünktlich ist – wenn man mal außerhalb von Deutschland ist, dann ist das ein Witz."

    Mit einem gewissen Galgenhumor scheinen unsere europäischen Partner ihre Lage zu bewerten, zumindest die Briten und Iren.

    "Die objektive Situation ist in Irland eigentlich auch nicht sehr gut, hohe Staatsverschuldung, auch wegen Bankenrettung, Arbeitslosigkeit momentan um die 14 Prozent, also alles andere als erfreulich. Aber das ist sicher ein wenig anglo-amerikanische Gelassenheit zusammen mit den Engländern: Die Lage ist relativ schlecht, aber noch nicht völlig hoffnungslos."

    Und in den südeuropäischen Krisenländern sehen die Menschen natürlich die objektiv riesigen Probleme, aber gleichzeitig auch ihre eignen Ressourcen:

    "Arbeitslosigkeit in Griechenland oder Spanien bei jungen Menschen – da darf man nicht vergessen, dort ist der soziale Zusammenhalt, Familie, Verwandtschaft viel stärker ausgeprägt als bei uns. Das heißt, wenn ich als junger Mensch arbeitslos bin, habe ich vielleicht weniger Geld. Aber ich sitze nicht auf der Straße, bin nicht völlig auf mich allein gestellt, niemand kümmert sich um mich – das darf man nicht vergessen, das ist bei uns in vielen Situationen leider anders!"