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Die Dominanz des Melodischen

Hierzulande ist Jean Sibelius, der Begründer einer eigenständigen finnischen Musikkultur alenfalls als Sinfoniker bekannt. Der Liedkomponist jedoch will von einem breiteren Publikum noch entdeckt werden. An die einhundert klavierbegleitete Lieder hat Jean Sibelius zwischen 1891 und 1918 geschrieben. Die Sujets sind romantisch, traditionell – sie reichen von der idyllischen Naturbetrachtung bis zum skandinavischen Sagengut.

Von Frank Kämpfer | 10.04.2005
    • Musikbeispiel: Jean Sibelius – "Morning”

    Tagesbeginn als Naturschauspiel. Der Aufgang der Sonne, das Weichen der Schatten, das Erwachen der Kreaturen als hoffnungsbereite Alltagsvision. Getrieben von mäßigem Puls, gespannt in weit ausgreifende Melodik – so entbietet sich "Morgens" – ein Titel aus Jean Sibelius’ letztem Klavierlieder-Zyklus op. 90, der in den Jahren 1917/18 während des Krieges entstand.

    Zugrunde liegen Verse Johann Ludvig Runeberg’s, eines in schwedischer Sprache publizierenden Romantikers, der der finnischen Literatur des 19. Jahrhunderts zentrale Impulse verlieh, und auf den der Komponist in seinem umfassenden Lied-Werk regelmäßig zurückgriff.

    Hierzulande ist Jean Sibelius, der Begründer einer eigenständigen finnischen Musikkultur, als Sinfoniker gegenwärtig – der Liedkomponist ist weitgehend unbekannt. Dabei hat dieser – verteilt auf 15 Zyklen – zwischen 1891 und 1918 an die einhundert klavierbegleitete Lieder geschrieben. Ihr gemeinsames Merkmal ist die Dominanz des Melodischen. Die Singstimme hat stets die Führung; der Klavierpart ist schlicht, begleitend, bestenfalls Träger eigenwilliger Harmonik. Die Sujets sind romantisch, traditionell – sie reichen von der idyllischen Naturbetrachtung bis zum skandinavischen Sagengut.

    Einen Überblick über Jean Sibelius’ Klavierlied-Schaffen leistet eine beim norwegischen Label SIMAX erschienene Auswahl-CD, die die Zyklen op. 13, 36 und 37 komplett, die Zyklen op. 17, 50 und 90 in Ausschnitten bietet. Die Interpreten sind Norweger. Jugend musiziert-Preisträger Havard Gimse, der sich hier auf den Begleiter-Part beschränkt, ist ein Pianist mit immenser Studio-Erfahrung; Mezzosopranistin Randi Stene kommt von der Oper. Sie sang bereits Carmen, Charlotte, Fricka und Dorabella und gehört zum königlich-dänischen Opern-Ensemble. Ihre Stimme gefällt in der Tiefe; ihre Stärke ist die Dramatik – insofern ist sie bestens geeignet, das Klischee des schwermütigen Romantikers zu überwinden und ein vielgestaltiges Oeuvre zu vermitteln. Beispielsweise mit "Säv, säv, susa" (dt.: Schilfrohr, flüstre) aus den "6 Songs, op. 36".

    • Musikbeispiel: Jean Sibelius – "Säv, säv, susa”

    Die norwegische Mezzosopranistin Randi Stene singt Lieder von Jean Sibelius – begleitet wird sie dabei von Havard Gimse am Klavier. Diese neue Solo-CD ist beim norwegischen Label SIMAX erschienen.


    Titel: "Jean Sibelius – Songs"
    Solisten: Randi Stene, Mezzosopran
    Havard Gimse, Klavier
    Orchester: Cappella Coloniensis
    Label: SIMAX
    Labelcode: LC 05789
    Bestellnr.: OSC 1240