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"Die drei Geberländer haben in großen Punkten recht"

Bayern, Hessen und Baden-Württemberg sind es leid, ärmeren Ländern einen Ausgleich zu zahlen - sie wollen vor das Verfassungsgericht ziehen. Auch Stanislaw Tillich sieht Reformbedarf - bei den Ländern, die nicht diszipliniert haushalten.

24.01.2011
    O-Ton Roland Koch: Die Bundeshauptstadt Berlin ist mir sehr wichtig. Sie ist einem Land wie dem Bundesland Hessen jährlich viele hundert Millionen, fast eine Milliarde Länderfinanzausgleich wert, die wir an Berlin zahlen.

    Jürgen Liminski: Der ehemalige Regierungschef in Hessen, Roland Koch, ironisch zum Länderfinanzausgleich. Im Dauerstreit um diesen Länderfinanzausgleich wird heute eine neue Runde eingeläutet. Kochs Nachfolgeregierung Bouffier und Regierungen der Geberländer Bayern und Baden-Württemberg halten eine gemeinsame Kabinettssitzung ab und auf ihr soll beschlossen werden, vor das Verfassungsgericht zu ziehen, um eine Reform des Länderfinanzausgleichs zu erzwingen. Die Sitzung der schwarz-gelben Kabinette findet in Stuttgart statt, was natürlich den Verdacht nährt, hier handele es sich auch um eine Solidaritätsaktion für den Parteifreund Mappus, zwei Monate vor den Wahlen in Baden-Württemberg.
    Mitgehört hat der Ministerpräsident von Sachsen, Stanislaw Tillich. Zunächst mal guten Morgen, Herr Tillich.

    Stanislaw Tillich: Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Herr Tillich, fürchten Sie um Sachsens Wohlstand, wenn Sie die Absicht von der Klage und dem möglichen Versiegen einer Finanzquelle hören?

    Tillich: Also wir haben eine Vereinbarung zum Länderfinanzausgleich, der läuft ja bis zum Jahre 2019. Dann wird Sachsen im Ergebnis im Jahr 2019 drei Milliarden, reichlich drei Milliarden weniger an Einnahmen haben. Wir haben unseren Haushalt in den letzten Jahren immer so aufgestellt, dass wir die Ausgaben den winkenden Einnahmen angepasst haben. Sachsen hat seit 2006 keine neuen Schulden gemacht. Also wir sind in einer soliden Haushaltssituation. Trotzdem meine ich, dass die Vereinbarung gilt und auch bis zum Jahre 2019 eingehalten werden soll.

    Liminski: Ist das nur Wahlkampf, was da in Stuttgart gemeinsam mit den Bayern und Hessen betrieben wird?

    Tillich: Die drei Geberländer haben in großen Punkten recht. Es ist mit Sicherheit 2019 zu erwarten, dass es nicht allein drei Geberländer sein können, die diese große Last schultern. Aber der Länderfinanzausgleich fokussiert sich ja auf die Einnahmeseite. Was gerade im Beitrag auch kritisiert worden ist, sind die Ausgaben. Das heißt also, wer leistet sich etwas und wer verschuldet sich, obwohl er Länderfinanzausgleich erhält. Darüber müssen wir reden. Dazu gibt es die Schuldenbremse, die gilt seit reichlich zwei Jahren. Aber hier, glaube ich, wird miteinander eine höhere Haushaltsdisziplin zu erreichen sein, und da bin ich auch an der Seite der Baden-Württemberger, der Bayern und auch der Hessen.

    Liminski: Also Sie sehen auch Reformbedarf für den Länderfinanzausgleich?

    Tillich: Ich sehe durchaus eine Notwendigkeit, dass diejenigen, die Mittel aus dem Länderfinanzausgleich erfahren oder erhalten, dass sie sich auch der Haushaltsdisziplin unterwerfen und nicht, wie gerade in Nordrhein-Westfalen geschehen, wo ein Haushalt verabschiedet worden ist mit einer gigantischen Neuverschuldung, obwohl dieses Land eben auch mittlerweile am Tropf hängt, eines der größten Bundesländer Deutschlands, und auch Rheinland-Pfalz oder Berlin eben nichts dafür tun, um ihre Haushalte zu konsolidieren, sondern eher die Ausgaben zu steigern. Das kann nicht so weiterlaufen. Haushaltsdisziplin sollte für alle im Prinzip gelten, genauso wie in Mecklenburg-Vorpommern, für das SPD-Regierte Mecklenburg-Vorpommern das eine Tugend ist.

    Liminski: Aber wer wacht dann über die Haushaltsdisziplin? Das kann ja nicht das Verfassungsgericht sein. Es gibt ja auch den Stabilitätsrat. Soll der nicht über die Haushaltsführung von Bund und Ländern wachen?

    Tillich: Das ist ganz neu. Im Zusammenhang mit der Schuldenbremse ist auch über den Stabilitätspakt gesprochen worden und hier muss man darüber nachdenken, wie man die Kompetenzen des Stabilitätsrates einerseits erweitert, aber gleichzeitig, glaube ich, gehört es zur politischen Kultur und auch in der Öffentlichkeit sollte letztendlich ja auch ganz getrost eine Bewertung stattfinden über solide Haushaltspolitik. Wir hören immer von verschuldeten Kommunen, wir hören immer von verschuldeten Bundesländern, wir staunen alle über Griechenland, dabei müssen wir sicherlich auch erst mal vor der eigenen Haustür kehren, wo wir uns einiges leisten, was eben sich nicht jeder leisten kann, sondern der nur, der höhere Einnahmen hat. Deswegen, glaube ich, ist es ein Mix zwischen administrativer Kontrolle und natürlich auch öffentlicher Kontrolle.

    Liminski: Ihr Amts- und Parteikollege Mappus zeigt Kompromissbereitschaft, wenn er heute im "Focus"-Interview sagt, es könne die nächsten Jahre bei der Zahlung bleiben, also vielleicht sogar bis 2019, man müsse aber einen Übergang vereinbaren und die Nehmerländer sollten Anreize zum Sparen akzeptieren. Ist das eine Orientierungslinie für einen Kompromiss?

    Tillich: Ja, gut. Ich kenne jetzt den Kompromiss nicht in ausformulierter Form. Aber mit Sicherheit ist zu erwarten, dass wir in den Jahren 2016 beginnend, vielleicht schon sogar eher, versuchen werden, eine Nachfolgeregelung für die Jahre nach 2019 zu erreichen, und in dem Zusammenhang wird natürlich über die verschiedensten Maßnahmen zu sprechen sein. Deswegen halte ich das zumindest für eine Tür und gleichzeitig auch für eine Überlegung, sollte doch die Klage nicht von Erfolg gekrönt sein, dass man zumindest die Tür nicht zustößt, weil es gibt genügend Gründe, dass auch Baden-Württemberg und Hessen nicht erfolgreich sein können. Zum Beispiel in der letzten Vereinbarung sind die Kommunen der Geberländer bessergestellt worden durch Mehrwertsteuerpunkte. Das heißt, hier wird es durchaus zu einer Verschiebung auch kommen können, die sogar negativ für die Geberländer sein könnte im Ergebnis des Verfassungsgerichtsurteils. Das Risiko kennen die Betroffenen.

    Liminski: Herr Tillich, Sie waren vor Ihrer Zeit in Sachsen finanzpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europaparlament. Erinnert Sie die jetzt wieder anhebende Debatte um den Länderfinanzausgleich nicht auch an die Diskussion um die Finanzsolidarität in Europa, Stichwort Transferunion?

    Tillich: Es steht ja im Grundgesetz, dass der Solidarpakt und der Länderfinanzausgleich (nicht der Solidarpakt, sondern der Länderfinanzausgleich) ein Teil des Nachtragsausgleiches zwischen den Bundesländern ist. In Europa haben wir die verschiedenen Fonds, aber Gott sei Dank noch keine Transferunion im eigentlichen Sinne, oder eine Transferunion ist letztendlich ja der Länderfinanzausgleich innerhalb Deutschlands hier grundgesetzlich verankert. In Brüssel ist die Diskussion natürlich gerade bei jedem Land, welches hinzukommt und welches wirtschaftlich schwach ist, wird diese Diskussion immer lauter, und die Wirtschafts- und Finanzkrise und die Krise an den Finanzmärkten hat ja in den letzten Monaten deutlich gemacht, dass es hier auch einen Druck auf Deutschland gibt, eben einer Finanztransferunion zuzustimmen. Ich glaube, Deutschlands Interesse muss sein, dass das nicht stattfindet. Solidarität ja, aber nicht im Automatismus.

    Liminski: Der europäische Rettungsschirm ist ja auch so etwas wie ein Länderfinanztransfer. Ist seine Stabilitätskomponente zu schwach, muss sie ausgebaut werden? Das wäre die logische Folge.

    Tillich: Sachsen hat ja bei der Einführung des Euro als einziges Bundesland sich im Bundesrat der Stimme enthalten, weil seinerzeit die Sachsen unter Kurt Biedenkopf und Georg Milbradt der Auffassung waren, dass die Kriterien und die Mechanismen nicht stark genug sind, um Länder zur Haushaltsdisziplin zu zwingen. Jetzt haben wir das Ergebnis und das, was wir jetzt versuchen zu reparieren, ist in der Tat ein Versuch, die Versäumnisse von damals nachzuholen. Ob es gelingen wird, das muss letztendlich deutlich werden dadurch, dass die Partner sich an den Vorschlägen auch der Bundesrepublik Deutschland beteiligen, aber gleichwohl sehe ich Interessen anderer Länder, eben lieber nach dem Motto, die Deutschen werden es zahlen, sich in ihrer eigenen Haushaltspolitik entweder nur mäßig, oder gar nicht anzustrengen. Hier wird es notwendig sein, dass Deutschland konsequent bleibt und die Kanzlerin hier auch ihre Politik fortführt.

    Liminski: Sachsen, der Länderfinanzausgleich und die europäische Transferunion. Das war hier im Deutschlandfunk der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich. Besten Dank für das Gespräch, Herr Tillich.

    Tillich: Bitte schön, Herr Liminski.

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