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Die drei Parzen

Ich glaube, gerade die sogenannte französische Leichtigkeit hat es von Zeit zu Zeit nötig, mit ein bisschen Ernst torpediert zu werden, selbst wenn dieser Ernst eine komische Note hat.

Christoph Vormweg | 28.05.2002
    Die französische Leichtigkeit, eines der literarischen Nationalheiligtümer, unter Beschuss: auch bei uns hat sie in diesem Frühjahr am Beispiel Anna Gavaldas eine - wenn auch schnell verpuffte - Feuilleton-Debatte ausgelöst. Wann, so die Frage, ist Literatur so leicht, dass man sie besser kommentarlos den Bahnhofsbuchhandlungen überlässt. Linda Lê ist da über jeden Verdacht erhaben. Ja, sie orientiert sich erst gar nicht an französischen Vorbildern. James Joyce, Thomas Bernhard, Robert Walser - das sind ihre Meßlatten:

    Ich bin in Vietnam auf dem französischen Gymnasium gewesen. Meine Eltern - oder genauer: meine Mutter, die aus einer sehr frankophilen Familie stammt - hatten mich schon mit vier Jahren auf eine französische Schule geschickt. Auch wenn wir zu Hause nicht Französisch sprachen, habe ich, als ich mit 14 nach Frankreich kam, also schon eine gewisse Kenntnis der Sprache gehabt. So fühlte ich mich auch nicht verloren. Später änderte sich das. Später war das weniger ein Erlernen der Sprache als ein Sich-Auflehnen gegen die Sprache, um mehr aus ihr zu machen, ja, fast eine Art, sich ihrer zu bemächtigen, um eine persönlichere Sprache aus ihr zu machen als die erlernte. Ich bin also auf Konfrontationskurs gegangen, um mich vom klassischen Französisch zu lösen. Das hing auch damit zusammen, dass ich mit dem Schreiben anfing. Ich musste mir in der französischen Sprache meine eigene Sprache schaffen. Vor allem das war mir später wichtig.

    Nicht die Romanhandlung ist für Linda Lê entscheidend, sondern die Bearbeitung der Sprache, die Suche nach ungewöhnlichen Bildern, das fast schon manische Umkreisen der Motive. Für ihre Protagonistinnen, drei in Paris lebenden gebürtigen Vietnamesinnen, ist das französische Exil längst kein Exil mehr. Nur eine der drei beherrscht noch die Muttersprache; und auch ihre allsonntäglichen Psycho-Scharmützel sind ganz und gar auf westlichem Niveau.

    Das Thema des Buches ist ziemlich klassisch, und deshalb habe ich nach einer Sprache gesucht, die innovatorisch genug ist, um sich zu behaupten. Zwei Schwestern und eine Kusine, die auf ein Ereignis warten - da passiert äußerlich nicht viel. Und deshalb wollte ich über die Sprache Vitalität in den Roman bringen, eine gewisse Dynamik.

    "Dickbauch", "Langbein" und "Einarm" - "die drei Parzen" warten auf den Besuch ihres Königs Lear, den sie zwanzig Jahre zuvor in Saigon zurückgelassen haben. Sie wollen die familiären Machtverhältnisse klären. Und jede der drei besinnt sich auf ihre Stärken: die schwangere Dickbauch auf das, was sie vorzeigen kann: ihr neues, blitzblankes Eigenheim und den dazugehörigen Gatten, einen alemannischen Schraubennagelhakenfabrikanten; ihre Schwester Langbein auf ihre Schönheit; und ihre Kusine Einarm auf ihr Gespür für nahende Katastrophen.

    Das einzige Mittel, um keine allzu schwarze Beschreibung von all dem zu geben, war für mich ein Spritzer Komik - indem ich mit der Sprache spielte, mit den Worten.

    Nur ein Beispiel für Linda Lês verspielten, sarkastisch-luziden Blick, mit dem sie die zwischenmenschlichen Garstigkeiten ausleuchtet: Schon drei Jahre lang liegt Theo, ein begnadet-selbstherrlicher Schwätzer, der schönen Langbein nicht nur zu Füßen, sondern auch auf der Tasche. Als die Liebe bröckelt, zieht ein beleidigter Gockel Bilanz:

    Erst fressen dir die Süßen aus der Hand und lecken sie dir, wenn sie dreckig ist, ab. Kleben regelrecht an deinem Schweiß. Binden Würzsträußchen aus deinen Gerüchen. [...] Doch kaum haben sie [...] um dich den Moder des Alten erschnüffelt, [...] hat sich´s auch schon ausgemüffelt. Vorbei der Jahrmarkt der Gerüche. Beim kleinsten Hauch werden die Fenster aufgerissen [...] Die Süßen scheuen sich nicht, dir zu sagen, du stinkst nach totem Hund. Und du musst dich wie ein Zirkuswauwau schamponieren lassen. Sie haben dich wie eine Klofrau ständig im Blick.

    Illusionslos dividiert Linda Lê Schein und Sein auseinander, seziert zwischenmenschliche Abgründe, Egomanien und Taktiken. Nach "Irre Reden" ist der Roman "Die drei Parzen", beide in der kongenialen Übersetzung von Brigitte Große, ein neuerlicher Beleg für ihre Sprachkraft. Hochverdichtet, bildstark, mit Zynismen gespickt - das zeichnet ihre Prosa aus. Wem sie dennoch zu bild- und wortüberladen erscheint, vielleicht auch zu manieriert, der sollte sie einfach einmal laut lesend prüfen. Denn auf die Schnelle konsumieren lässt sich Linda Lês an den Realitäten zerrende Prosa nicht.

    Ich arbeite immer ohne vorgefassten Plan. Anfangs haben sich Dinge, Bilder, Wörter in meinem Kopf angestaut. Während ich dann schreibe, warte ich auf das Unvorhergesehene. Bei diesem Buch wucherten die Bilder fast schon. Deshalb ist es vielleicht das Buch, das mir beim Schreiben von Seite zu Seite die meisten Überraschungen vorbehalten hat.