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Die drei Probleme der FDP: Wulff zählt nicht dazu

Das Umfragetief der FDP ist nach Einschätzung des Politikwissenschaftler Werner Patzelt Personalquerelen und fehlendem Profil der Partei geschuldet. Mit einer "Boygroup" mache man keine vertrauenswürdige Politik für eine alternde Gesellschaft. Zudem genieße der Liberalismus derzeit ohnehin keine hohe Wertschätzung. In der Diskussion um Bundespräsident Wulff sieht Patzelt aber keine Gefahr für die FDP, diese Affäre beschädige insbesondere den CDU-Teil der Koalition und die Kanzlerin.

Werner Patzelt im Gespräch mit Christiane Kaess | 06.01.2012
    Christiane Kaess: Bundespräsident Christian Wulff geht zur Normalität über. Er hat heute als erste offizielle Amtshandlung nach seiner Kreditaffäre die Sternsinger empfangen. Dass die Kinder für den Empfang ein Theaterstück ausgerechnet zum Thema Meinungs- und Redefreiheit vorbereitet haben, ist wohl Ironie der Geschichte.

    Gelingt der FDP auf ihrem Dreikönigstreffen in Stuttgart die Wende zum besseren? In der Sonntagsfrage des aktuellen ARD-Deutschlandtrends verliert die FDP noch einmal einen Punkt im Vergleich zum Vormonat und kommt nur noch auf zwei Prozent. Das ist der schlechteste Wert, den die FDP jemals in einem ARD-Deutschlandtrend erreicht hat. In Stuttgart wird die Rede von Philipp Rösler, die alles ändern soll, mit großer Spannung erwartet.
    Am Telefon begrüße ich jetzt den Politikwissenschaftler Werner Patzelt von der TU Dresden. Guten Tag, Herr Patzelt.

    Werner Patzelt: Guten Tag!

    Kaess: Herr Patzelt, wir haben es gerade gehört: hohe Erwartungen vor allem an Parteichef Philipp Rösler. Wie realistisch ist es denn, dass es ihm tatsächlich gelingt, das Ruder herumzureißen?

    Patzelt: Das ist nicht allzu realistisch. Die FDP leidet ja an drei Grundproblemen, von denen lediglich eines von ihr selbst zu lösen ist. Das von ihr lösbare Problem ist die programmatische Verengung der Partei, die in ihrer Oppositionszeit stattgefunden hat. Das zweite Problem, von ihr nicht im Alleingang zu lösen, ist ihre Verjugendlichung. Gestandene Persönlichkeiten, zu denen das Volk Vertrauen hätte, fehlen an der Spitze. Mit einer Boygroup macht man keine vertrauenswürdige Politik für eine Gesellschaft, die altert. Und das letzte und ganz außerhalb der Reichweite der FDP liegende Problem ist das Schwinden oder die Verächtlichmachung liberalen Denkens. Sowohl die Floskel vom Neoliberalismus wie die Sozialdemokratisierung der Union haben liberale Ordnungspolitik, liberales Ordnungsdenken aus dem öffentlichen Diskurs vertrieben. Folglich hat die FDP kein Rahmenwerk, an das sie ihre Botschaften anheften könnte.

    Kaess: Sie haben das Führungspersonal angesprochen. Es wird ja jetzt ganz viel von Geschlossenheit und Attacke gesprochen, das steht jetzt im Mittelpunkt. Ist Parteichef Philipp Rösler dafür der richtige Mann?

    Patzelt: Für die Abteilung Attacke wohl nicht. Er ist tatsächlich ein freundlicher, zuvorkommender, kluger, sanfter, die Probleme moderierender, vielleicht auch wegmoderierender Mann. Er ist kein Anführer, der sich in das Schlachtgetümmel so stürzt, dass seine Gefolgsleute sich für ihn schlügen. Das ist in der Arbeitsteilung mit dem Generalsekretär in der Regel zu machen. Aber wenn zwei Leute an einer Parteispitze von so jugendlichem Alter sind, hat man in der Bevölkerung sehr leicht den wahrscheinlich nicht ungerechtfertigten Eindruck, dass hier Personal, das im Grunde außer Politik nichts gelernt hat, mit Binnenfloskeln binnenbezügliche Politik macht.

    Kaess: Wer wäre denn besser an der Spitze?

    Patzelt: Das ist eben genau das Problem der FDP. Sie ist mit ihren Älteren sehr unsacht umgegangen. Gerhardt musste vor der Zeit gehen, Solms wurde bei der Regierungsbildung nicht berücksichtigt, jetzt fällt man zurück auf Brüderle, der ja schon seit gestern angefangen hat, der Parteiführung die Show zu stehlen.

    Kaess: Wie erklären Sie das Umfragetief von zwei Prozent? Die sind ja dann noch mal nach unten gesunken.

    Patzelt: Das eine ist die Problematik an der Parteispitze selbst. Da hat sich die Partei vom Versagen des Parteivorsitzenden und Außenministers Westerwelle nicht erholt. Westerwelle hat im Grunde auch das falsche Amt aufgegeben, nämlich das des Parteivorsitzenden, das er gut hätte ausfüllen können. Als Außenminister bringt er für seine Partei überhaupt nichts. Ein Generalsekretär, der als Hoffnung auftaucht, entpuppt sich als jemand, der aus gleich welchen Gründen sein Amt recht unversehens wieder aufgibt. Kurzum: Es gibt kein Vertrauen in die Parteiführung und, was ich vorhin schon sagte, das Grundvertrauen darauf, dass Liberalismus eine gute politische Sache sei, dass liberales Denken einem freiheitlichen Gemeinwesen gut tun würde und dass wir nicht immer nur mehr an sozialer Gerechtigkeit, sondern insbesondere klare Ordnungspolitik brauchen, um überhaupt jene Ressourcen zu besitzen, mit denen wir einen Sozialstaat aufbauen können, dieses Denken ist in der Bevölkerung weitgehend verdunstet. Infolgedessen findet die FDP mit den Botschaften kein Echo.

    Kaess: Aber, Herr Patzelt, geht es denn jetzt vor allem darum, das Profil zu schärfen, oder ist das Problem eher die Personalquerelen?

    Patzelt: Beides ist das Problem, die Personalquerelen und die Schärfung des Profils. Hier kann man nur an die gute alte Sozialistenspirale erinnern, die da lautete: je reiner die Lehre, umso kleiner der Kreis derer, der ihr anhängt. In einem Gemeinwesen, wo Liberalismus ohnehin keine hohe Wertschätzung genießt, ist ein Betonen von Liberalismus etwas, was einem nicht hilft. Es wäre richtig, aber es nutzt einfach praktisch nichts.

    Kaess: Kann denn die anhaltende Diskussion um Bundespräsident Christian Wulff auch der FDP und auch der schwarz-gelben Koalition schaden, die ihn ja als Kandidaten unterstützt haben?

    Patzelt: Die Diskussion schadet insbesondere dem CDU-Teil der Koalition. Die FDP ist in der Bundesversammlung schon als Beiboot der Union wahrgenommen worden. Die Diskussion beschädigt allmählich auch die Kanzlerin, die ja sich zum zweiten Mal vorhalten muss, mit ihrem Personalvorschlag für das höchste Staatsamt daneben gelegen zu haben.

    Kaess: Bleiben wir bei der Affäre um Christian Wulff. Wie erklären Sie sich, dass Wulff nach seinem Interview bei der breiten Bevölkerung jetzt offensichtlich wieder an Boden gewonnen hat? Im ARD-Deutschlandtrend sprechen sich 60 Prozent dafür aus, Wulff jetzt eine zweite Chance zu geben.

    Patzelt: 60 Prozent Zustimmung für einen Bundespräsidenten ist nun wahrhaftig nicht sonderlich viel.

    Kaess: Aber es geht um die zweite Chance.

    Patzelt: Ja, und die Rede von der zweiten Chance appelliert sozusagen an mitmenschliche Gefühle, und entsprechend hat sich Wulff ja auch in dem Fernsehinterview dargestellt, als ein kleiner Mann, der in ein hohes Amt gekommen sei, ohne sich ausreichend darauf vorbereiten zu können, und den plötzlich die Medien hinterrücks überfallen. Das kommt bei den Leuten gut an, die hier mitfühlen, und in der Tat verdient Christian Wulff auch Mitgefühl in Bezug auf das Schlamassel, in das er sich selbst gebracht hat. Aber die Rede von der zweiten Chance geht ja am Punkt vorbei. Es ist das Amt des Bundespräsidenten ja kein Ausbildungsberuf, wo jemand einmal versagen kann. In ein solches Amt sind eigentlich nur Menschen zu berufen, die sich solche Fehler nicht leisten, denen man das Staatsruder anvertrauen kann, und sei es nur oder gerade das symbolische Staatsruder.

    Kaess: Sollte sich Angela Merkel noch mal dazu äußern, wie viele Oppositionspolitiker das jetzt verlangen?

    Patzelt: Dass Oppositionspolitiker das verlangen, ist gut zu verstehen, denn Angela Merkel kann durch eine öffentliche Äußerung lediglich verlieren: entweder sie redet über den Bundespräsidenten so, als sei das einer ihrer Minister oder Ministerialbeamten oder ihr Chauffeur, und dann beschädigt sie die Institution und redet in einer Position, die ihr nicht zukommt, oder sie muss erklären, warum sie personalpolitisch schon wieder daneben gelegen hat, und das trübt dann das Vertrauen in ihre Personalbeurteilungsfähigkeit.

    Kaess: Ihre Prognose? Bleibt Christian Wulff im Amt?

    Patzelt: Das ist noch nicht abzusehen. Wenn in dem Streit mit der "Bild"-Zeitung, was er nun wirklich von ihr wollte, Aufschub oder nicht bringen dieses Artikels, er unterliegen sollte, ...

    Kaess: Das heißt, er muss erst mal da Klarheit schaffen?

    Patzelt: Ja, wenn die Klarheit darauf hinausläuft, dass er in der Fernsehsendung präzise befragt nicht die Wahrheit gesagt hat und wenn in noch mehr Punkten sich zeigen sollte, dass er, wenn schon nicht die Wahrheit, zumindest er nicht die ganze Wahrheit gesagt hat, dann wird es immer schwieriger für ihn, und die öffentliche Meinung, auf die er im Moment ein wenig Hoffnung setzt, weil eine knappe Mehrheit der Deutschen ihn weiterhin im Amt haben will, diese ist wankelmütig und kann bei weiteren Enthüllungen ob der nicht ausreichenden Wahrheitsliebe unseres Bundespräsidenten weiter erschüttert werden.

    Kaess: Einschätzungen von Werner Patzelt, Politikwissenschaftler an der TU Dresden. Vielen Dank für das Gespräch.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.