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Die dreidimensionale Vermessung der Welt

Erdbeobachtung. - Der deutsche Radarsatellit TerraSAR-X, der die Erde seit 2007 umkreist, liefert Bilder mit einer Auflösung von einem Meter. Um künftig auch die dritte Dimension zu erschließen, soll er bald Gesellschaft bekommen: Sein Zwilling namens Tandem-X, der am 21. Juni von Baikonur abheben soll, wird als zweites Auge dienen.

Sebastian Riegger im Gespräch mit Ralf Krauter | 09.06.2010
    Ralf Krauter: Wer Daniel Kehlmanns "Vermessung der Welt" gelesen hat, weiß, dass das Kartieren der Welt früher einmal eine schweißtreibende Angelegenheit war, die Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß jeder auf seine Weise meisterten. Heute dagegen genügt ein Mausklick, um sich detaillierte Karten einer Region auf den Monitor zu holen - Satellitenbilder machen's möglich. Insbesondere Radaraugen im All sind dabei zunehmend gefragt, denn die nehmen selbst dann noch Fotos, wenn Wolken die Sicht versperren. Der deutsche Radarsatellit TerraSAR-X, der die Erde seit 2007 umkreist, liefert Bilder mit einer Auflösung von einem Meter. Um nun künftig auch die dritte Dimension zu erschließen, soll er bald Gesellschaft bekommen, und zwar von einem Zwilling namens Tandem-X, der am 21. Juni von Baikonur abheben soll. Am Rande der Internationalen Radarkonferenz diese Woche in Aachen erklärte Dr. Sebastian Riegger vom Raumfahrtkonzern Astrium die Mission von Tandem-X.

    Sebastian Riegger: Der wird im Prinzip eine Art Stereobild erzeugen können. Das heißt, wir kriegen dann mit den zwei Satelliten die Dreidimensionalität dazu. Das wird eigentlich der große Pluspunkt, den wir dabei haben, und wir werden dann in der Lage sein, erstmalig ein globales, digitales Höhenmodell der Erde in einer sehr hohen Auflösung konsequent zu erzeugen.

    Krauter: Das heißt, man will eigentlich eine 3D-Karte erstellen mit ganz genauen Höhenangaben, genauer, als das bisher möglich war.

    Riegger: Viel genauer, als es bisher war. Bisher ist es ein Stückwerk: Es gibt manche Stellen auf der Erde, die sehr, sehr präzise erfasst sind, viele, die überhaupt nicht erfasst sind oder nur mit sehr großer Ungenauigkeit von, ich sage mal, 30, manchmal auch nur 50 oder 100 Meter Genauigkeit. Oft sind die Daten auch alt, das heißt, die sind gar nicht mehr relevant.

    Krauter: Das ist also eine kombinierte Satellitenmission, die dann bevorsteht, eben TerraSAR-X und Tandem-X, der jetzt gestartet werden soll. Das Ganze klingt technisch sehr anspruchsvoll. Die sollen ja auch relativ dicht zeitweise nebeneinander her fliegen. Was ist denn die größte Herausforderung dabei, das dann ans Laufen zu kriegen, wenn der Satellit mal im Orbit ist?

    Riegger: Wir haben vor, die Satelliten in wenigen Hundert Meter Abstand voneinander fliegen zu lassen. Wir werden sie zunächst mal ein Stückchen weit auseinander halten, dann peu a peu aneinander ranfahren, sodass sie dann schlussendlich in 200, 300 Metern Abstand zueinander fliegen werden. Und man muss sich vorstellen: Die Satelliten fliegen mit 7,5 Kilometern in der Sekunde, also extrem schnell. Das heißt: Kollisionsrisiko und Kollisionsgefahr - das ist eine der großen Herausforderungen, die es zu lösen gilt. Das müssen Sie sich vorstellen: Da fliegen zwei Satelliten, jeder im Wert von knapp 100 Millionen, und wenn die beiden crashen, das wäre eine ziemliche Katastrophe.

    Krauter: Eine andere Herausforderung ist, kann ich mir vorstellen, die beiden Kameras auf diesen Satelliten, die Radaraugen dann zu synchronisieren. Die müssen ja zeitgleich an denselben Ort blicken.

    Riegger: Ja, das nicht in Stereofähigkeit, sondern das ist eine sogenannte Interferometriefähigkeit. Das heißt, die werden wirklich voll synchronisiert, also wirklich von Puls zu Puls. Das heißt, einer sendet das Signal aus und beide Satelliten horchen dann quasi. Das alles muss ganz genau synchronisiert werden. Das ist eine extreme Herausforderung, also diese Synchronisierung genau hinzukriegen. Dazu haben wir Vorbereitungen getroffen, indem wir praktisch auch Einzelsignale permanent von einem zum anderen Satelliten aussenden, die sie [...] dann miteinander abgleichen. Das Dritte ist natürlich die genaue Kenntnis des vektoriellen Abstandes. Das heißt, wir müssen jederzeit bei der Bildaufnahme genau wissen, auf ein paar Millimeter genau, wie der Abstand der einen Sendeantenne auf dem einen Satelliten zu anderen Sendeantenne auf dem anderen ist. Also es ist eine große Herausforderung, das genau hinzukriegen.
    Krauter: Mal angenommen, das klappt alles: Dann gäbe es also detaillierte Höhenkarten von der Erdoberfläche mit bislang ungeahnter Genauigkeit. Welchen Nutzen verspricht man sich davon? Wer interessiert sich für solche Daten?

    Riegger: Die ganzen Kartografen natürlich interessieren sich extrem dafür. Es sind Versicherungen, die sich sehr stark dafür interessieren. Da geht es nämlich um Themen wie Überschwemmungen, Änderungen von Küstenlinien, Gletscher- und Eisveränderungen werden ein großes Thema werden, was man sehr genau vermessen kann. Natürlich wird es auch sicherheitsrelevante Thematiken geben, wo das auch von Interesse ist.


    Krauter: Also Stichwort Aufklärung. Inwieweit hat man denn durch den verzögerten Start jetzt - der Satellit kommt ja fast ein Jahr später als ursprünglich geplant jetzt nach oben - wertvolle Zeit verloren, weil der erste Satellit ja irgendwann den Geist aufgibt? Bleibt genug Zeit, die Erde komplett zu vermessen?

    Riegger: Das hat uns natürlich viel Bauchweh gemacht. Wir haben allerdings im Moment die Analysen soweit gemacht, dass wir sagen können, wir sind im grünen Bereich. Es ist im Wesentlichen eine Treibstofffrage, das heißt, die wir brauchen, um den Orbit immer wieder genau zu justieren. Da hängt's im Moment, alle anderen Systeme arbeiten langfristig noch weiter, denke ich. Aber wir haben im Moment ein bisschen Glück auch, weil die Solaraktivität - die im Prinzip auch dann Turbulenzen verursacht beim Fliegen, die man dann wieder korrigieren muss, das geht wieder auf den Treibstoffverbrauch - im Moment relativ gering ist. Wir brauchen ungefähr drei Jahre für dieses Höhenmodell, bis alles komplett in der Qualität vermessen ist, wie wir das wollen. Und wir prognostizieren, dass die nominale Treibstofflebensdauer mindestens dreieinhalb Jahre bis vier Jahre noch sein wird, vielleicht sogar noch länger, wenn wir Glück haben.