Freitag, 29. März 2024

Archiv

Die Dubliner Band Fontaines D.C.
Heimatverbundene Liebe zu Poesie und Punk

Ihr Debüt-Album „Dogrel“ hat Fontaines D. C. 2019 in die Herzen der Fans katapultiert. Mit „A Hero’s Death“ haben die fünf Dubliner nun nachgelegt - und sind den hohen Erwartungen mehr als gerecht geworden. Dabei ist ihr Sound sogar vielschichtiger geraten.

Von Anja Buchmann | 30.08.2020
    Fünf junge Männer mit den Händen in den Taschen posieren vor einem beleuchteten Eingang zu einem Gebäude.
    Die Bürde des zweiten Albums: Die Erwartungen an die Band Fontaines D.C. waren hoch. (Daniel Topete)
    "Ich bin Grian, der Sänger und Textschreiber von Fontaines DC. In der Band gibt es zwei Conors, der eine ist Conor Curley und spielt Gitarre, und der andere, Conor Deegan, spielt Bass, manchmal einen sechsaitigen Bass, ab und zu ein bisschen Klavier und Tom Coll ist am Schlagzeug. Carlos O‘Connel, der zur Zeit diese Bude mit mir in Dublin teilt, er ist gerade einen Kaffee trinken und zum Schumacher, der spielt Gitarre. Und zusammen sind wir Fontaines D.C.. Wir haben uns gefunden, weil wir alle Poesie mögen. Das war nicht so normal im College. Mein Vater hat sich auch sehr für Gedichte interessiert, aber das war alles nichts, worüber ich mit meinen Freunden hätte reden können, als wir herangewachsen sind und Fußball oder Hurling gespielt haben. Ein Gespräch über Poesie als Ausdruck deiner selbst wäre sehr ungewöhnlich bei Jugendlichen, insbesondere bei Jungs. Es war wie eine Verschwörung für uns, als hätten wir ein gemeinsames Geheimnis, das andere nicht verstehen. Ein guter Antrieb, um eine Band zu gründen. Es war ein vages Gefühl einer Philosophie, das dich als Freunde verbindet und zusammen hält, wenn du jung und voller Leben bist, ein vages Wissen, das wir nicht genau benennen konnten, aber wir haben geglaubt, dass wir irgendetwas bewirken können. Und das hat unsere Freundschaft sehr intensiviert."
    Musik: "Big"
    Grian Chatten, Sänger und Frontmann der Band Fontaines D.C. ist in der Nähe von Dublin aufgewachsen, die Familie zog mehrfach um und landete schließlich in Skerries, einem kleinen Ort nördlich der irischen Hauptstadt. Seine musikalischen Schritte machte er im Alter von acht Jahren mit der Gitarre.
    "Mein Vater hat mir gezeigt, wie man spielt. Zum Beispiel "Love me tender" von Elvis, das war sein Lieblingssong. Also Gitarre und Singen – ich nehme mich aber bis heute nicht allzu ernst als Sänger. Ich mach einfach meinen Job und singe die Songs, aber meine Stimme hat kein besonderes Charisma. Meine wirkliche Leidenschaft war schon immer das Songschreiben, besonders die Texte. Das ist meine Stärke. Außerdem spiele ich noch Schlagzeug, war früher drummer in ein paar Bands, als ich noch jünger war."
    Was man den Songs von Fontaines D.C. anhört, wenn man es weiß. Grian Chattens Texte sind sehr rhythmisch, er liebt es, Textzeilen zu wiederholen, so dass sie, neben ihrer inhaltlichen Bedeutung, zum Groove-Element beitragen.
    "Das ist eine ganz eigene Sprache, was Schlagzeug und Rhythmus angeht. Songwriter, die keine Drummer sind, können das oft nicht verstehen oder anerkennen, was das Schlagzeug alles bieten kann. Bei mir hat es tatsächlich auch meinen Gesangsstil beeinflusst. Genauso wie meine Poesie, mein Reimschema. Ich denke sehr rhythmisch. Das hört man gut bei einem Song, wie ‚Sha Sha Sha‘ vom ersten Album, Wenn ich nicht Schlagzeuger wäre, hätte ich diese Art von Riff wohl nicht geschrieben, wo die Akkorde sich quasi auf einem vorweg genommenen Rhythmus weiter bewegen."
    Musik: "Sha Sha Sha"
    Halb gesprochene, halb gerufene Sätze, ein stoischer, oft in Achtelketten laufender Bass, ein nach vorne drängendes Schlagzeug zwischen trockener Hi-Hat und Snare und scheppernden Beckenschlägen, dazu eine rohe, gern verzerrte und dennoch melodische Klangwolke von zwei Gitarren: Fontaines D.C. aus Dublin erinnern auf ihrem Debut mal an die Sleaford Mods, mal an die Smiths, mal an die Pogues und sogar ein bisschen an die treibende Energie und Dringlichkeit von Kate Tempest, immerhin wurde schon ihr erstes Album "Dogrel" von Dan Carey produziert, der auch mit Kate Tempest gearbeitet hat. Überhaupt, "Dogrel", das erste Album. Ein knackiges Statement der jungen Band, das auch im Titel mit ihrer Liebe zur Poesie spielt.
    Persönlicher Sound von Dublin
    "Dogrel ist ein alter, traditioneller Begriff aus der Dichtung der irischen Arbeiterklasse; die elitären Poeten in der Irischen Literatur haben darauf herabgeschaut. Ein Dogrel war etwas, was die Menschen schnell mal in einer Kneipe kreiert haben, um sich zum Beispiel über jemanden lustig zu machen. Der Titel unseres Albums war also ein bisschen augenzwinkernd. Mit dem Begriff Dogrel haben wir uns etwas über uns selbst lustig gemacht, indem wir vorgaben: Die richtigen Poeten lachen sicher über unsere Texte."
    "This is the music that sounds, like Dublin feels", so hieß es in der britischen Zeitung "The Gurdian" über das Debut der Fontaines D.C., der Bandname bezieht sich übrigens auf einen Charakter in Francis Ford Coppalas Film "Der Pate" und auf ihre Heimat Dublin. Auf diese Einordnung angesprochen, stimmt Grian Chatten bedingt zu.
    "Ja, das Album klingt so, wie sich Dublin für mich anfühlt. Aber ich bin sehr vorsichtig damit, ein grundsätzliches Gefühl einer ganzen Nation auszurücken. Ich möchte niemanden falsch darstellen, nicht die Rolle eines Sprachrohrs für alle Iren einnehmen, denn man kann die Dinge in Dublin immer verschieden betrachten. Sicherlich, in dieser Zeit war ich sehr drin in der Geschichte und Tradition von Dublin, in seinem künstlerischen Reichtum, habe mich mit Künstler wie James Joyce, Barnaby oder Patrick Kavanagh beschäftigt. Das waren Menschen, die faszinierende und brillante Dinge gesagt und geschrieben haben. Und in diese Dubliner Zeit habe ich mich verliebt. In das Dublin, das einmal war. Heute ist da natürlich auch die Gentrifizierung eingezogen, die Stadt hat zum Teil ihren wahren Charakter verloren und das haben wir ganz gut ausgedrückt auf unserem ersten Album."
    Musik: "Dublin City Sky"
    So sehr sich das letzte, sehr erfolgreiche Album auf ihre eigentliche Heimat Dublin bezieht, in "Dublin City Sky" sogar mit einem gemächlich schaukelnden 6/8-Takt, ein Song, der auch von den Pogues stammen könnte, so wenig heimatlich war die Ausgangslage für den Nachfolger, "A hero‘s death". Die fünf Freunde haben Skizzen dazu während ihrer langen Tour um die Welt geschrieben. Was aufregend klingt, war für die jungen Männer eine harte Zeit, in der sie erschöpft von Land zu Land geflogen sind und sich immer mehr voneinander und von sich selbst entfernt haben.
    Stressiges Tourleben
    "Wir haben nirgendwo wirklich gelebt in den letzten zwei Jahren. Wir haben keinen Ort wirklich kennengelernt. Es ging nur so: Früh aufstehen, losfahren, den Terminplan abarbeiten. Ich dachte immer: Irgendwann wirst du merken, wie glücklich du bist. Aber die meiste Zeit versuchst einfach irgendwie wach zu bleiben."
    Und in dieser Zeit sind Songs wie "I don‘t belong" entstanden.
    "Das Album handelt von einer Stadt, die in uns ist, die wir fühlen, eine Stadt die entspannt und sicher ist. Ich habe mich bewusst entschieden, nicht über Dublin zu schreiben, da ich dort seit fast zwei Jahren nicht mehr war. Und deshalb habe ich kein Recht, darüber zu schreiben. Der Text ist schwer zu erklären, ich versuche es: Ich gehöre zu niemandem, aber es geht auch um eine Gleichzeitigkeit. Es ist ein Ausdruck von Individualismus, ich bin eine eigenständige Person. Aber es ist zugleich ein Ausdruck von Traurigkeit. Ich habe das richtig nachempfunden, als ich meinen Gesang aufgenommen habe: Manchmal sage ich es mit Trotz und manchmal voller Einsamkeit. Dieses Gefühl, zu niemandem zu gehören, es ist etwas Gutes und Trauriges zugleich."
    Musik: "I don‘t belong"
    Rock et cetera im Deutschlandfunk mit einem Portrait der irischen Band Fontaines D.C., "I don‘t belong" aus ihrem aktuellen Album "A hero‘s death". Es gibt einige Songs, bei denen man schwer einschätzen kann, wie viel Ernst und wie viel Sarkasmus in ihnen steckt. So etwa beim Titeltrack "A hero‘s death", der sich auf ein Theaterstück des Iren Brendan Behan bezieht. Eigentlich ein Stück über die Unterdrückung Irlands durch die Engländer. Chatten greift hier in erster Linie einen Satz auf, den "Tod eines Helden" und bezieht ihn augenzwinkernd auf die Fans, die sie bei ihrem zweiten Album eventuell fallen lassen würden.
    "Ich dachte, es wäre ein witziger Titel, der sich darüber lustig macht, dass das zweite Album so schwer ist und eine Enttäuschung sein kann, sozusagen der Tod eines Helden. Der Held ist in diesem Fall die Band, die die Menschen für ihr erstes Album Dogrel geliebt haben."
    In dem Song jedenfalls macht er Aussagen wie "bleib nicht in der Vergangenheit stecken" oder "sprich aufrichtig und jeder wird dir zuhören" und das zu einem wieder mal repetitiven Refrain mit den Worten "Life ain‘t always empty".
    "Das ist genau die Frage für mich: Ob diese Aussagen ehrlich sind, ob sie gemacht werden, damit sich jemand besser fühlt. Es hat etwas bösartiges an sich, denn es kann dir dein Selbstwertgefühl nehmen. Diese positiven Aussagen in dem Song haben etwas sarkastisches an sich, manchmal fühle ich sie auch so. Ich habe keine Antwort. Auch wenn es wie ein Klischee klingt: Ich schätze meine eigene Interpretation des Textes nicht höher als die eines anderen Menschen."
    Musik: "A Hero‘s Death" / "Televised Mind"
    "Wir waren wie betäubt"
    "Wir waren wirklich drüber damals. Wir waren schreckliche Menschen, abgekapselt vom Leben, von uns selbst, von Freunden, der Familie und der Welt."
    Grian Chatten zu der Zeit ihrer Dauertour, die ihnen jeweils einzeln und auch zusammen fast das Genick gebrochen hätte; die Band stand kurz vor einem kräftigen Burn-out, oder war sogar mitten drin.
    "Wir waren wie betäubt. Aber ich hasse es, wenn Bands sich darüber beschweren, dass sie ständig auf Tour sind, denn sie können es selbst kontrollieren. Wir hätten es auch selbst kontrollieren können, wir hätten es stoppen können. Weniger machen, dafür sorgen, dass wir das genießen, was wir tun, anerkennen, wie glücklich wir eigentlich waren. Aber es war so: Wir waren am Flughafen, sind zum Gate gegangen, wieder zurück zum Flughafen, über Nacht geflogen, dort wieder einen Auftritt gehabt, danach wieder zum Flughafen, über Nacht zum nächsten Ort. Es war in unserem Zeitplan so notiert: Geschlafen wird im Flugzeug. Und das tagelang. Wir hatten keine Betriebskosten. Wir haben immer im Flugzeug geschlafen, immer und immer wieder. Und ich kann im Flugzeug einfach nicht schlafen. Es war eine harte Zeit und natürlich unser Fehler. Wir hätten da strenger sein müssen, als diese Zeitpläne gemacht wurden. Aber wir waren jung und naiv und hatten die Angst, dass es unsere einzige Chance ist. Es war wie ein Überschuss an Dankbarkeit, dass wir zu allem 'ja' gesagt haben."
    Und ihre Freundschaft? Sie hat es überstanden.
    "Unsere Freundschaft war vorher schon stark genug und ausreichend entwickelt, sodass wir etwas hatten, was wir auch vermisst haben. Und der Gitarrist Carlos, der der gerade zum Schuster gegangen ist, um seine Schuhe zu besohlen, oh, ich glaube, das wird sein neuer Spitzname sein, also wir beide waren wirklich gute Freunde, schon vor der Band. Er ist auch erst 10 Monate nach der Gründung dazu gekommen. Und nach einer besonders stressigen Zeit, da waren wir gerade in Hamburg, glaube ich, sind wir zusammen in einen Van gestiegen, auf dem Weg zum nächsten Gig, und haben die ganze Zeit geredet, auf der Fahrt von Hamburg, ich glaube in die Schweiz. Und dann haben wir eine halbe Stunde lang unsere Hände gehalten, geschwiegen, und unsere Freundschaft wieder in unser Leben zurückgeholt. Und das war der Beginn unseres zweiten Albums für mich."
    Musik: "Sunny" / "No"
    "A hero‘s death", das zweite Album von Fontaines D. C., ist vielschichtiger als ihr Debüt. So gibt es die eine oder andere Ballade, die Songs klingen nachdenklicher, zerrissener, es gibt mehr musikalischen Raum, die eine oder andere Surf-Gitarre und sogar harmonischen Satz-Gesang a la Beach Boys, immerhin hatte die Band anfangs auch in Los Angeles aufgenommen, das Album aber in London weiter produziert. Aber mindestens ein Element haben sich Grian Chatten und seine Bandfreunde im Vergleich zum ersten Album erhalten: die Wiederholung.
    "Eine Wiederholung im Text kann Platz für unterschiedliche Bedeutungen schaffen. Und ich mag es auch einfach. Wenn ich einen Text, eine Zeile oder den Rhythmus des Textes mag, dann möchte ich ihn immer wieder hören. Wie in Samuel Becketts Stück "Warten auf Godot". Da ist etwas Absurdes an der Wiederholung, der Wiederholung des Lebens und der Frage, ob sich Dinge überhaupt irgendwohin bewegen. Manchmal gibt es einfach keine Bedeutung und wir versuchen dennoch alle eine Bedeutung zu finden. Ich mag sehr gern die Trennung von dem Ding an sich und der vermeintlichen Bedeutung. Und das geschieht für mich, wenn man eine Zeile immer wieder wiederholt. So empfinde ich das."
    Musik: "Love is the main thing"
    "Punk, das war für uns früher einfach geniale Musik. Und ich glaube, das haben sonst nicht viele Menschen in meinem Leben auch so gesehen. Da gabs eine große Welle mit wirklich schlechtem, egozentrischen, dummen Neo Soul. Das gabs an jeder Ecke zu hören, das war hip. Mit seinen komplexen Gitarren und Schlagzeug-Parts und schrägen Taktarten, die nichts ausgedrückt haben. Naja, das ist einfach meine Meinung. Wir haben das alle so gefühlt. Also wir haben Punk gemocht und Poesie. Und das tun wir immer noch. Aber wir hatten ansonsten keinen konkreten Sound im Kopf, als wir die Band gegründet haben."
    Musik: "Too Real"