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"Die Endlagerfrage ist ein drängendes Problem"

Mit dem Atomausstieg stellt sich erneut die Frage der Endlagerung des Atommülls. Niedersachsen fordert ein Gesetz zur Suche, Bayern will ergebnisoffen prüfen. Hessens Umweltministerin Lucia Puttrich sieht Eile geboten - und fordert mehr Hilfsbereitschaft aller Länder.

Lucia Puttrich im Gespräch mit Anne Raith | 01.06.2011
    Anne Raith: Nicht überall hat die Atomkatastrophe von Fukushima eine solche Kehrtwende in der Energiepolitik ausgelöst wie in Deutschland. Während hier die Energiewende im Eiltempo vollzogen werden soll, wird in anderen Ländern irritiert die Augenbraue hochgezogen. Deutschland reagiere in Bezug auf die Atomkraft hysterisch, soll es aus Frankreich und Großbritannien geheißen haben. Einigen konnten sich die EU-Mitgliedsstaaten nach Fukushima allerdings auf sogenannte Stresstests für Atomkraftwerke, die heute beginnen. Ändern werden diese zunächst allerdings wenig.
    In Deutschland machen inzwischen die Kraftwerksbetreiber ernst. Zunächst waren es nur Drohungen, jetzt will der größte deutsche Kraftwerksbetreiber E.ON Klage einreichen, weil die Bundesregierung an der sogenannten Brennelementesteuer festhält, trotz des früheren Atomausstiegs.
    Mitgehört hat Lucia Puttrich, die Umweltministerin von Hessen. Einen schönen guten Morgen!

    Lucia Puttrich: Guten Morgen!

    Raith: Frau Puttrich, gegen die vorübergehende Abschaltung von Biblis A bei Ihnen in Hessen hat RWE bereits vor einigen Wochen Klage eingereicht. Verstehen Sie die Reaktion der Unternehmen?

    Puttrich: Also wir leben in einem Rechtsstaat und ein Unternehmen kann eine Klage einreichen. Ich sehe es dennoch mit einer gewissen Gelassenheit. Wenn Sie jetzt die Klage von RWE ansprechen, dann war das vollkommen richtig, dass wir während des Moratoriums verfügt haben, Biblis abzuschalten, und alles andere werden jetzt Gerichte klären.

    Raith: Aber verstehen Sie die Irritation, nachdem die Unternehmen ja im Herbst noch Brückentechnologie sein sollten, mit denen nächtens verhandelt wurde und die nun ja fast übergangen worden sind?

    Puttrich: Also die Energieunternehmen müssen sich in der Tat jetzt auf eine Situation einstellen, die sie früher einholt, als sie dachten. Aber es ist jetzt eine politische Entscheidung, dass wir aus der Atomkraft aussteigen, die es übrigens vorher auch schon gegeben hat, sondern der Zeitpunkt wird jetzt ein früherer sein, und damit werden die Unternehmen sich auseinandersetzen müssen.

    Raith: Die politische Entscheidung erkennt E.ON auch an, fordert aber trotzdem einen Ausgleich. Ist das legitim?

    Puttrich: Ein Unternehmen kann von seiner Seite her so denken, aber wenn Sie jetzt die Klage gegen eine Brennelementesteuer ansprechen, dann, glaube ich, ist es genauso legitim, ein Unternehmen an den Folgen der Nutzung der Kernkraft zu beteiligen und zum Beispiel Sanierung von Asse nicht nur auf die Allgemeinheit abzuwälzen.

    Raith: Glauben Sie denn, dass es bei Ihnen in Hessen zu einer weiteren Klage kommen könnte, wenn nun auch Biblis B als sogenannte Kaltreserve wieder zum Einsatz kommt?

    Puttrich: Also von einer Klage ist da noch nicht die Rede, aber so was kann man natürlich nie vorhersagen. Aber ob denn Biblis B überhaupt eine Kaltreserve wird, ist ja noch gar nicht entschieden. Die Frage ist ja, braucht man überhaupt eine Reserve, wie muss die, wie würde die Reserve aussehen, wo sollte sie denn sein, und insofern sind wir von dieser Entscheidung ja noch ein Stückchen entfernt.

    Raith: Brauchen wir denn eine sogenannte stille Reserve?

    Puttrich: Das wird die Bundesnetzagentur letzten Endes entscheiden. Die Bundesnetzagentur ist ja beauftragt zu überprüfen, ob eine entsprechende Reserve notwendig ist, und die Frage ist ja in der Tat, ob das denn eine kalte oder eine Reserve sein muss, die in Kernkraft besteht, oder ob sie auch ein konventionelles Kraftwerk bieten könnte.

    Raith: Es könnte aber auch, wie wir angesprochen haben, Biblis B treffen und damit wäre das Ende der Atomkraft in Hessen gar nicht so besiegelt, wie es jetzt aussieht.

    Puttrich: Also für uns gilt jetzt erst mal der Beschluss, der jetzt am Wochenende gefasst wurde, nämlich der Ausstieg aus der Kernkraft und die Stilllegung für Biblis A und B. Alles andere werden wir dann sehen. Die Bundesnetzagentur ist im Moment am überprüfen, aber für uns gilt jetzt erst mal der Stilllegungsbeschluss.

    Raith: Ebenso wie die Frage der stillen Reserve, die wir nun einmal offen lassen wollen, ist ja auch die Frage der Endlagerung ungeklärt. Wo soll denn Ihrer Meinung nach, Frau Puttrich, nach einem Endlager gesucht werden?

    Puttrich: Das Verfahren, das vereinbart ist, ist ein vernünftiges. Gorleben wird weiter erforscht und es wird darüber nachgedacht, dass man auch andere Standorte mit überprüft und nicht ausschließt. Ich bin auch der Überzeugung, dass man sich nicht nur auf Gorleben allein fixieren sollte. Wenn es nämlich dort keine Lösung gibt, hätten wir gar keine, und die Endlagerfrage ist ein drängendes Problem und auch eines, das man nicht auf ein Bundesland alleine beschränken kann, wenn es dort keinen Erfolg geben sollte, sondern dann müssen auch andere bereit sein, zu einer Lösung beizutragen.

    Raith: Das heißt, Sie wollen nicht an Gorleben festhalten, sondern schon parallel suchen?

    Puttrich: Gorleben wird untersucht und Gorleben wird weiter untersucht und im Moment wird überprüft, ob das sinnvoll ist, auch andere Standorte mit in die Überprüfung einzunehmen. Letzten Endes wird das dann der Bund entscheiden. Aber ich glaube, man muss hier vielseitig suchen und man darf sich nicht auf eins alleine beschränken, und vor allen Dingen brauchen wir eine baldige Antwort.

    Raith: Der niedersächsische Ministerpräsident McAllister fordert ja ein Bundesgesetz zur Suche eines Atommülllagers mit verbindlich geschriebenen Kriterien. Dafür hätte er also Ihre Unterstützung?

    Puttrich: Da muss man erst mal sehen, was auf dem Tisch liegt und wie das genau aussieht. Aber ich bin der Meinung, dass man das Thema Endlager sehr bald lösen muss und nicht auf die lange Bank schieben kann.

    Raith: Wie leicht ist es denn, eine offene Endlagersuche zu fordern, wenn Hessen ohnehin nicht in Frage kommt?

    Puttrich: Man kann natürlich leicht sagen, dass wir uns deshalb leicht tun würden, weil wir im Moment keinen Standort haben, aber ich glaube, ein solches Thema muss man in der Tat über die Landesgrenzen hinweg ein Stückchen betrachten. Da kann kein Land für sich von vornherein einfach nur die Türen zumachen und kann sagen, wir haben damit nichts zu tun, sondern die Frage Endlager ist nicht allein auf ein Bundesland beschränkt, sondern da muss man solidarisch sehen, welcher Standort geeignet ist oder nicht geeignet ist.

    Raith: Aber welchen Rückhalt haben Sie denn unter diesen Voraussetzungen, wenn Sie zum Beispiel Ihrem Kollegen in Bayern, Markus Söder, vorschlagen, ergebnisoffen zu suchen?

    Puttrich: Nun ja, in Bayern sind sie sich auch nicht so ganz einig, sondern in Bayern gibt es ja aus unterschiedlichen Richtungen auch unterschiedliche Aussagen. Insofern möchte ich jetzt die Aussage vom Kollegen Söder auch nicht kommentieren.

    Raith: Aber in Bayern könnte gesucht werden?

    Puttrich: Das kann ich nicht entscheiden, das kann ich nicht bewerten, das werden die Fachleute bewerten.

    Raith: ... , sagt Lucia Puttrich, die Umweltministerin von Hessen, über den Atomausstieg und die Suche nach einem atomaren Endlager. Vielen Dank für das Gespräch.

    Puttrich: Gerne! Schönen Tag noch.

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