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"Die Energiewende wird gelingen"

In den Ländern sei intensiv an der Energiewende gearbeitet worden, entgegnet die thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) Kritikern des langsamen Netzausbaus. Die Konzepte aller Länder müssten nun zusammengelegt und "nachjustiert" werden.

Das gespräch führte Christiane Kaess | 30.05.2012
    Christiane Kaess: Will Deutschland bei der Energiewende im Zeitplan bleiben, müssen bis 2022 fast 4000 Kilometer neue Stromtrassen gebaut werden. Außerdem sollen rund 4000 Kilometer bereits vorhandener Trassen aufgerüstet werden. Das geht aus dem Entwurf des ersten sogenannten Netzentwicklungsplans hervor. Gestern wurde er von den Stromnetzbetreibern der Bundesregierung überreicht, heute soll die Öffentlichkeit mehr darüber erfahren. Die Gesamtkosten für den Netzausbau belaufen sich auf etwa 20 Milliarden Euro. Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich gestern optimistisch und betonte ausdrücklich, es bleibe beim Ausstieg aus der Kernenergie bis 2022. In den letzten Wochen waren Zweifel am Fahrplan der Energiewende immer lauter geworden. Viele sehen den Schlüssel für Blockaden beim Netzausbau in den Ländern, wo oft lange Genehmigungsverfahren diesen verzögern. – Am Telefon ist jetzt Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht von der CDU. Guten Morgen, Frau Lieberknecht!

    Christine Lieberknecht: Guten Morgen.

    Kaess: Frau Lieberknecht, sind Sie auch so zuversichtlich wie die Bundeskanzlerin, dass der Netzausbau schnell vorankommen wird?

    Lieberknecht: Ich bin der festen Überzeugung, die Energiewende wird gelingen. Es gibt ein Riesenpotenzial in Deutschland, viele Unternehmen, viele Menschen, die sich darauf eingestellt haben und alle mittun wollen. Wahr ist, es gibt eine Engstelle, die besteht im Netzausbau, aber da ist mit dem gestrigen Tag ja auch ein Programm vorgelegt worden, an dem wir uns orientieren können und das jetzt auch zügig umgesetzt werden muss, das in den Ländern und zum Teil aber auch in Verantwortung des Bundes.

    Kaess: Die Opposition sagt, man habe ein Jahr verloren.

    Lieberknecht: Das kann ich so nicht sagen. Wir haben im vergangenen Jahr mit einem Riesenkraftakt ein Gesetzespaket innerhalb weniger Wochen in großer Übereinstimmung von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat beschlossen, das hätte so auch kaum jemand gedacht, dass man innerhalb weniger Wochen gesetzgeberisch zumindest absolut ernst gemacht hat mit der Energiewende, und jetzt kommen die Mühen des Alltages, aber wir sind darauf eingestellt und in Thüringen haben wir auch eine ganze Menge von Hausaufgaben schon gemacht.

    Kaess: Aber, Frau Lieberknecht, fehlt es nicht nach wie vor an einem Gesamtkonzept, denn bisher verfolgt jedes Bundesland ein eigenes Energiekonzept?

    Lieberknecht: Deswegen haben wir ja in der vergangenen Woche zusammengesessen beim Energiegipfel mit der Bundeskanzlerin. Wir haben klar verabredet, uns jetzt halbjährlich mit der Bundeskanzlerin und 16 Ministerpräsidenten zu treffen. Das heißt, es ist, wie man sagt, absolut Chefsache im Bund und in den Ländern, und natürlich muss koordiniert werden, und deswegen werden wir bei der regulären Ministerpräsidentenkonferenz am 14. Juni nochmals zu diesem Thema sitzen und Thüringen wird im Herbst ja den Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz übernehmen und die erste Sitzung wiederum wird dem Energiegipfel mit der Bundeskanzlerin gewidmet sein.

    Kaess: Woran liegt es denn dann, dass man im Zeitplan hinterherläuft, was den Netzausbau betrifft? Bundeswirtschaftsminister Rösler sprach gestern davon, mehr Kompetenzen auf den Bund zu übertragen, damit der Netzausbau schneller vorankommt. Sind also die Länder diejenigen, die blockiert haben?

    Lieberknecht: Nein! Wir haben klare Verfahren in Deutschland, die sind hart errungen worden, die müssen eingehalten werden, was die Raumordnungsverfahren betrifft, was das Planfeststellungsverfahren betrifft. Ich kann sagen, für Thüringen haben wir diese Verfahren in den letzten Wochen abschließen können. In der vergangenen Woche ist auch eine Klage beim Bundesverwaltungsgericht zurückgewiesen worden, sodass dem Teilstück, was umstritten war, im Blick auf den Thüringer Wald im Moment nichts entgegensteht. Aber auch da sage ich, die Argumente müssen stimmig bleiben. Zum Beispiel müssen wir abklären, was ist mit den Offshore-Anlagen im Norden, was ist mit der angestrebten Energieautarkie im Süden, Baden-Württemberg, Bayern. Die sagen, sie wollen auf eine 100-Prozent-Selbstversorgung hinaus. Das heißt, wir haben hier noch Gesprächsbedarf. Aber unseren gesetzgeberischen Auftrag, den haben wir in Thüringen erfüllt, und es gibt die Planungsverfahren, es gibt die Verfahren der Bürgerbeteiligung und das alles muss gemacht werden, und zwar so, wie es in Deutschland Ordnung ist und aus gutem Grund. Es gibt Beschleunigungsmöglichkeiten, auch das ist wahr, auch darüber haben wir gesprochen, und nach diesem neuen Verfahren, was wir im vergangenen Jahr beschlossen haben, wird dann auch neu gebaut werden. Bei uns handelt es sich um Strecken, die ja vor langer Zeit schon festgelegt wurden.

    Kaess: Frau Lieberknecht, wenn Sie Bundesländer wie Bayern ansprechen – Bayern hat ja Sorge vor einem Blackout und will deshalb seine Versorgung selbst regeln. Sind es denn tatsächlich einzelne Bundesländer wie Bayern, die starrsinnig sind, oder ist es die Bundesregierung, die es nicht schafft, einheitlich zu koordinieren? Wer ist der Schuldige?

    Lieberknecht: Nein, weder noch, sondern wichtig ist, dass wir genau das tun, was wir in der vergangenen Woche verabredet haben: dass wir uns alle 16 Länder gemeinsam mit dem Bund an den Tisch setzen und die einzelnen Konzepte der Bundesländer miteinander abgleichen und dass es am Ende eine Gesamtschau für Deutschland gibt, wo der Bund natürlich auch eine nationale Aufgabe hat.

    Kaess: Und warum ist das bisher nicht passiert?

    Lieberknecht: Wir haben die Gesetze im vergangenen Jahr beschlossen. Es musste sich ein jedes ...

    Kaess: Vor einem Jahr! Das ist ein Jahr her!

    Lieberknecht: Ja, und in diesem einen Jahr ist in den Ländern intensiv gearbeitet worden, in Thüringen, wir haben einen Masterplan vorgelegt, wir haben ein ganzes Konzept einer Potenzialanalyse für erneuerbare Energien im Land aufgestellt, es sind die Energiegipfel in den Ländern gewesen. Das heißt, es ist intensiv in den Ländern gearbeitet worden, und jetzt ist der Zeitpunkt, dass wir die Ergebnisse, die wir in den Ländern erzielt haben, tatsächlich einmal nebeneinanderlegen und jetzt nachjustieren, dass am Ende ein Konzept für ganz Deutschland tatsächlich steht.

    Kaess: Ein umstrittenes Projekt haben Sie schon angesprochen, das ist zum Beispiel bei Ihnen in Thüringen die Starkstromtrasse durch den Thüringer Wald. Sie selbst haben sich immer wieder mal widersprüchlich dazu geäußert. Das hilft natürlich bei einem gemeinsamen Konzept wenig und trägt auch zu weiterer Verunsicherung bei.

    Lieberknecht: Auch da muss ich widersprechen, denn es ist ja ein sehr komplexes Thema und ich habe von Anfang an gesagt, die Argumente müssen stimmen bei einem so gewaltigen Eingriff in eine wunderbare Naturlandschaft des Thüringer Waldes, Naturpark, den wir haben. Für mich war die Trasse so lange fragwürdig, solange nicht klar war, ob wirklich die Offshore-Anlagen im Norden kommen. Da habe ich ein Fragezeichen gemacht. Dann haben wir den 11. März des vergangenen Jahres mit all den dramatischen Bildern erlebt, die Energiewende ist beschlossen, es ist klar, die Offshore-Anlagen kommen. Und bei diesem Diskussionsstand habe ich gesagt, natürlich, es gilt europäisches Recht, es gilt Bundesrecht und die Argumente stimmen offensichtlich. Mit der Tatsache einer Energieautarkie von Bayern und Baden-Württemberg muss es ja gestattet sein, noch einmal zu fragen, was heißt das jetzt für die Netze. Das tue im Übrigen nicht nur ich, sondern auch der Energiekommissar auf europäischer Ebene, Herr Oettinger, hat sich in der vergangenen Woche gleichlautend geäußert. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass wir hier tatsächlich komplex die verschiedenen Argumente sehen müssen, und da ist das eine ein erhebliches, ein anderes ist tatsächlich die Funktion innerhalb des transeuropäischen Netzes, und ein Teilproblem ist auch, wie wir im Freistaat Thüringen unsere Energie zum Beispiel beim sehr energieintensiven Erfurter Kreuz mit all den Industrieanlagen dort bewerkstelligen.

    Kaess: Frau Lieberknecht, der Netzausbau scheitert ja oft an langen Genehmigungsverfahren in den Ländern. Es gibt etliche Bürgerinitiativen, die sich wehren. Warum konnten denn viele Bürger bisher noch nicht überzeugt werden vom Sinn des Netzausbaus?

    Lieberknecht: Es gibt auch da ein sehr differenziertes Bild. Ich habe im vergangenen Jahr eine Energietour durch Thüringen für erneuerbare Energien gestartet, 50 Unternehmen oder Technologiezentren besucht, den Start habe ich auf den Höhen des Thüringer Waldes, genau dort, wo die Kritiker der 380-KV-Leitung zuhause sind, begonnen und wir waren da durchaus auch in konstruktiven Gesprächen.

    Kaess: Was sagen Sie den Bürgern?

    Lieberknecht: Die Argumente müssen stimmen! Lasst uns die Argumente abgleichen. Und wenn die Notwendigkeit ist, dass diese Trasse gebaut werden muss, dann müssen wir sehen, wie wir in der Region unter diesen Umständen tatsächlich das Beste für die Region dennoch erreichen, durch Kompensationszahlungen beispielsweise, durch ein Engagement von 50-Herz-Transmission, die der Betreiber sein werden, und dort gibt es eine große Übereinstimmung, die saßen auch mit am Tisch. Das heißt, Runde Tische in den Regionen zu bilden, was wir im Blick auf ein anderes Projekt, was wir in Thüringen auch haben, Stichwort Speicherkapazität, Pumpspeicherwerk, auch im Thüringer Wald jetzt, denke ich, mit etwas mehr Erfolg noch als bei der 380-KV-Leitung hinkriegen werden.

    Kaess: Frau Lieberknecht, die Gesamtkosten für den Netzausbau belaufen sich auf etwa 20 Milliarden Euro. Wer zahlt die?

    Lieberknecht: Das ist ein großer Brocken Geld, aber er wird gemeinschaftlich, zum einen durch natürlich Netzentgelte, am Ende aber möglicherweise auch durch Unterstützung aus dem Steuerzahlergroschen möglich sein. Das heißt, wir müssen hier tatsächlich diese Gesamtleistung der Investition auch stemmen.

    Kaess: Das heißt, der Verbraucher zahlt es letztendlich?

    Lieberknecht: Ja, sicher! Alles, was in Deutschland passiert, bezahlt der Steuerzahler, bezahlt der Verbraucher. Aber ich bitte nicht zu übersehen den Innovationsschub, den wir auch bekommen werden. Das war im Blick auf die traditionellen Energiearten ja nicht anders. Bedenken Sie mal, welche Kernforschungsprogramme wir hatten, und auf europäischer Ebene, wo wir mitzahlen, immer noch haben, wenn ich an Euratom-Forschung denke, wenn ich daran denke, wer zahlt die ganzen Endlagerkosten, die ungeklärten Fragen bei der Atomenergie. Also das heißt, wir sind hier in einem Boot, aber ich bin fest davon überzeugt, wir werden einen Innovationsschub in Deutschland bekommen in die neuen Technologien, das wird sich rechnen am Ende.

    Kaess: Frau Lieberknecht, kurz noch zum Schluss. Thüringen gehörte mit zu den Ländern, die die Kürzung bei der Solarförderung im Bundesrat blockiert haben. Wie hohe Stromkosten wollen Sie denn den Verbrauchern noch zumuten?

    Lieberknecht: Auch da empfehle ich, den Strompreis wirklich mal in seinen Bestandteilen zu analysieren, und der Hauptbestandteil sind nicht die erneuerbaren Energien. Die EEG-Umlage, die wirklich nur einen Teil ausmacht neben den anderen Belastungen, die staatlicherseits darauf sind – ich nenne nur die Verbrauchssteuern, ich nenne die Konzessionssteuern, ich nenne die Stromsteuer an sich. Und das was die erneuerbaren Energien ausmachen, da wird eine Hysterie veranstaltet. Das ist nicht gerechtfertigt im Blick auf den tatsächlichen Strompreis. Ich will nur sagen: die erneuerbaren Energien haben auch dazu beigetragen, dass der Preis an der Börse beispielsweise nicht gestiegen ist. Also auch hier empfehle ich differenzierte Betrachtungsweise.

    Kaess: Christine Lieberknecht (CDU), Ministerpräsidentin in Thüringen. Vielen Dank für das Gespräch.

    Lieberknecht: Ja, bitte sehr.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.



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