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"Die Entscheidung ist zu bedauern, aber sie kam nicht überraschend"

Niedersachsens neuer Ministerpräsident, David James McAllister (CDU), hält den Rückzug seines Parteikollegen Ole von Beust in Hamburg für bedauerlich. Mit dem Führungsstil Angela Merkels habe von Beusts Entscheidung allerdings nichts zu tun.

David McAllister im Gespräch mit Gerwald Herter | 19.07.2010
    Gerwald Herter: Der Rückzug des Ole von Beust ist also eine bedauerliche Nachricht für die Bundesvorsitzende der CDU und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Das halbe Dutzend ist voll, sechs CDU-Ministerpräsidenten gehen. Ist das nun Zufall oder zeugt das nicht doch von Merkels Führungsstil? Bevor er sich heute Morgen zur CDU-Präsidiumssitzung nach Berlin aufgemacht hat, habe ich darüber mit dem Ministerpräsidenten von Niedersachsen, mit David James McAllister gesprochen. Guten Morgen, Herr McAllister!

    David McAllister: Guten Morgen, Herr Herter!

    Herter: Um eines gleich klarzustellen: Der Rückzug des Hamburger Bürgermeisters von Beust hat aus Ihrer Sicht natürlich überhaupt nichts mit der Bundespolitik zu tun – oder doch?

    McAllister: Nein, das ist eine Hamburger Personalentscheidung. Die Entscheidung ist zu bedauern, aber sie kam nicht überraschend.

    Herter: Sechs CDU-Ministerpräsidenten, die innerhalb eines Jahres abtreten – kann das denn Zufall sein?

    McAllister: Natürlich ist jeder Wechsel im Amt des Ministerpräsidenten etwas Besonderes, und wenn sechs Ministerpräsidenten innerhalb eines Jahres ausgetauscht werden, könnte man meinen, dass das eine Serie ist und dass das auch bundespolitische Motive hat; dem ist aber nicht so. Wenn man sich das näher anschaut, ist jeder Fall doch sehr unterschiedlich zu beurteilen.

    Herter: Das hat mit dem Führungsstil der CDU-Vorsitzenden und Bundeskanzlerin Merkel überhaupt nichts zu tun?

    McAllister: Nein.

    Herter: Immerhin haben auch Sie vorsichtig, aber deutlich eine stärkere Einbeziehung der Länder in die Bundespolitik gefordert. Wer müsste die Länder denn da stärker einbeziehen?

    McAllister: Ich bin ein großer Unterstützer von Angela Merkel und sie ist eine hervorragende Parteivorsitzende und Bundeskanzlerin. Meine Aussage zur stärkeren Einbeziehung der Länder bezog sich darauf, dass durch die veränderten politischen Rahmenbedingungen in Nordrhein-Westfalen, die ich nicht gut finde, aber die wir zu akzeptieren haben, natürlich die Rolle des Bundesrats jetzt anders wird. Es gibt keine originäre Mehrheit von Union und FDP mehr im Bundesrat, deshalb müssen die Länder frühzeitig in bundespolitische Überlegungen mit einbezogen werden.

    Herter: Würde man die Laufzeiten für Atomkraftwerke zum Beispiel verlängern und den Bundesrat dabei umgehen, wäre das dann die von Ihnen geforderte stärkere Einbeziehung der Länder?

    McAllister: Wir haben da in Niedersachsen eine ganz pragmatische Lösung. Wir wollen erst einen konkreten Gesetzentwurf der Bundesregierung sehen und wenn wir diesen konkreten Gesetzentwurf sehen, dann werden unsere Verfassungsjuristen sich ein Urteil bilden können, ob eine Zustimmungspflicht im Bundesrat gegeben ist oder nicht.

    Herter: Und verspüren Sie jetzt durch die Rücktritte verschiedener Ministerpräsidenten mehr Rückenwind für Ihre Position?

    McAllister: Das eine Thema hat mit dem anderen nichts zu tun. Wir sind dafür, die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke moderat vorzunehmen. Wir brauchen wahrscheinlich noch mal für einige Jahre länger als geplant die Kernkrafttechnologie, aber die Frage der Zustimmungspflicht des Bundesrates oder nicht, da wiederhole ich mich, die können wir doch erst beurteilen, wenn der Gesetzesentwurf konkret vorliegt.

    Herter: Eine ganze Reihe von CDU-Länderchefs hatte sich in der Vergangenheit beschwert, weil der Bund den Ländern finanzpolitisch mehr zumutet als sich selbst. Sind die Beschwerden inzwischen erhört worden?

    McAllister: Bund und Länder sitzen in einem Boot. Wir müssen zusammen unsere Konsolidierungsziele erreichen. Der Bund will die EU-Stabilitätskriterien schnellstmöglich wieder einhalten, das ist richtig. Die Schuldenbremse des Bundes gilt ab 2016 und ab 2020 gilt das absolute Neuverschuldungsverbot für die Länder. Die Länder sind fest entschlossen – zumindest Niedersachsen –, dieses Neuverschuldungsverbot auch einzuhalten; klar ist aber auch, dass wir jetzt keine weiteren Verschlechterungen auf der Einnahmeseite mehr ertragen können, und auf der Ausgabenseite muss auch ganz besonnen vorgegangen werden. Haushaltskonsolidierung ist ein ganz wichtiges Ziel, dem müssen sich andere Ziele jetzt unterordnen.

    Herter: Können Sie denn überhaupt noch Politik machen in den Ländern bei so engen Spielräumen?

    McAllister: Natürlich wäre es schön, als jüngerer Politiker größere finanzielle Handlungsspielräume zu haben, aber die Situation ist nun mal so, wie sie ist. Und ich finde, Haushaltskonsolidierung kann auch immer eine Chance sein, besondere Prioritäten zu setzen.

    Herter: Auch von Beust ist eigentlich noch ein jüngerer Politiker, auch Koch ist eigentlich noch ein jüngerer Politiker. Von Beust hat in einem Interview Merkels Führungsstil ausdrücklich kritisiert, sie müsse auch einmal auf den Tisch hauen, hat er gesagt. Stimmen Sie dem zu?

    McAllister: Ich bin ein Unterstützer von Angela Merkel und ich finde die Art und Weise, wie sie die Union und Deutschland seit vielen Jahren führt für richtig, und mit der Faust auf den Tisch hauen, das ist immer so eine Sache, da kriegt man auch sehr schnell einen Holzsplitter in die Hand.

    Herter: Wollen Sie Stellvertreter von Merkel im CDU-Präsidium werden?

    McAllister: Der CDU-Bundesparteitag findet Mitte November statt in Karlsruhe. Wir haben also noch ein paar Monate Zeit, unsere personalpolitischen Überlegungen abzuschließen. Christian Wulff war bisher stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU, wir in Niedersachsen würden gerne wieder einen Bundesvize von Angela Merkel stellen und wir werden unsere Personalentscheidungen im nächsten Monat, also im August treffen.

    Herter: Kommt Ursula von der Leyen dafür infrage?

    McAllister: Ursula von der Leyen war unsere Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl, sie ist eine der beliebtesten Politikerinnen Deutschlands und sie verwaltet einen sehr verantwortungsvollen Posten in Berlin mit dem höchsten Einzeletat des Bundes. Ich halte Ursula von der Leyen aus vielerlei Hinsicht für politische Führungsaufgaben für mehr als qualifiziert.

    Herter: Schavan, Ursula von der Leyen – da besteht natürlich die Gefahr, dass Merkel im Vorstand nur noch von Frauen umgeben ist.

    McAllister: Wir werden einen Bundesvorstand und ein Bundespräsidium wählen, wo alle Positionen innerhalb der Union berücksichtigt werden, Männer und Frauen, Nord und Süd, West und Ost, alle Altersgruppen und Berufsgruppen und auch die unterschiedlichen Strömungen in der Partei. Wir haben ja noch ein paar Wochen Zeit, uns ein vernünftiges Personaltableau zu überlegen.

    Herter: Bei einer dünner werdenden Personaldecke allerdings.

    McAllister: Nein, die Personaldecke wird nicht dünner. Natürlich ist der Verlust dieser Ministerpräsidenten in den letzten Wochen bedauerlich, aber letztlich muss man jede einzelne Entscheidung respektieren. Aber die CDU ist so breit personell aufgestellt, dass auch immer wieder neue Leute nachrücken. Und diese neuen Leute brauchen dann auch eine Chance, um ihren Beitrag zu leisten und das Profil der Union zu schärfen.

    Herter: Der frühere Bundeskanzler Schröder, SPD, hatte selbst abgewählte Ministerpräsidenten ins Bundeskabinett geholt. Merkel tut das nicht. Hätte sie von Beust nicht ein Angebot machen müssen?

    McAllister: Also erstens ist die Entscheidung von Ole von Beust eine persönliche Entscheidung, die wir zu respektieren haben, obwohl sie bedauerlich ist. Ich will ausdrücklich aus niedersächsischer Sicht sagen, dass Ole von Beust ein Bürgermeister war, der weit über die Grenzen Hamburgs hinaus beliebt und anerkennt war, und dass kaum ein Bürgermeister in Hamburg so sehr auch auf das gute Miteinander mit dem Umland Wert gelegt hat, wie das Ole von Beust gemacht hat. Also die Erfolgsgeschichte Metropolregion Hamburg ist auch eine Erfolgsgeschichte von Ole von Beust. Und nun haben wir seine Entscheidung zu akzeptieren, er ist jetzt Mitte 50, das ist auch noch mal ein Alter, wo man noch mal etwas anderes im Leben machen kann, und das sollten wir jetzt wirklich auch entsprechend respektieren und abwarten.

    Herter: Was heißt das für weitere schwarz-grüne Bündnisse?

    McAllister: Koalitionen sind nicht an Personen gekoppelt, sondern an Inhalte und Themen. Insofern gehe ich davon aus, dass das schwarz-grüne Bündnis in Hamburg hält, und ich wünsche dem neuen regierenden Bürgermeister Christoph Ahlhaus von Herzen viel Erfolg, wenn er ab Ende August mit den Grünen diese schöne Stadt weiter regiert. Was das für weitere schwarz-grüne Bündnisse angeht, das werden wir in Ruhe schauen. Also die CDU ist sehr föderal organisiert und Koalitionsbildungen in den Ländern, die müssen immer menschlich, aber vor allen Dingen auch inhaltlich passen.

    Herter: Der Ministerpräsident von Niedersachsen David James McAllister, CDU, über die Auswirkung der Ereignisse in Hamburg. Das Gespräch mit ihm haben wir kurz vor der Sendung aufgezeichnet.