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Die Erben des Herrn Röntgen

Medizintechnik.- Seit Wilhelm Conrad Röntgen mit seiner Strahlung den Blick in den Körper geöffnet hat, haben sich bildgebende Verfahren stets weiterentwickelt. Doch die Röntgenröhre selbst hat ihr altes Funktionsprinzip weitgehend beibehalten. Das könnte sich bald ändern.

Von Arndt Reuning | 29.09.2009
    Yueh Lee öffnet eine Tupperdose und beugt sich über seine beiden Patienten, die es sich dort gemütlich gemacht haben. Zwei junge, lungenkranke Mäuse, gerade einmal acht Tage alt, so groß wie zwei Glieder eines kleinen Fingers. Ein drittes Tier liegt schon unter dem neuartigen Computertomographen, dem CT, den die Wissenschaftler an der University of North Carolina in Chapel Hill konstruiert haben.

    "Wir tasten hier gerade eine dieser Mäuse ab – mit unserem Mikro-CT. Unter der Maus befindet sich ein Atemsensor. Der sendet jedes Mal ein Signal, wenn das Tier tief einatmet. Und dann feuern wir einen kurzen Röntgen-Impuls ab, welcher uns ein Bild vom Körperinneren der Maus liefert. Wenn wir viele verschiedene Bilder aus unterschiedlichen Positionen kombinieren, erhalten wir ein dreidimensionales CT-Bild. Dem können wir dann unter anderem das Lungenvolumen der Maus entnehmen."

    Auf die Geschwindigkeit kommt es dabei an. 15 Millisekunden ist der Strahlenblitz kurz. Und er muss exakt den Atemzug treffen. Herkömmliche Röntgen-Röhren seien dafür zu träge, sagt Yueh Lee. Das liegt an der Architektur dieser Bauteile: Ein zirka 1000 Grad heißer Wolframdraht dampft sozusagen Elektronen aus. Unter Hochspannung werden sie auf eine Metallelektrode geschossen, wo sie ihre Energie in Röntgenstrahlung umwandeln. Technologie aus dem vorletzten Jahrhundert. Die will Otto Zhou, der Leiter des Projektes, nun ins Zeitalter der Mikroelektronik holen.

    "Wir entwickeln hier eine sogenannte Feldemissions-Röntgentechnologie. Die Elektronenquelle kommt ohne hohe Temperaturen aus. Statt eines Heizdrahtes benutzen wir nämlich Nanoröhrchen aus Kohlenstoff. Aus ihnen kann man auch bei Raumtemperatur Elektronen heraus ziehen, wenn man ein hohes elektrisches Feld anlegt – anstelle von Wärme."

    Das Ergebnis: Röntgenleuchten, die kleiner, flexibler und leichter anzusteuern sind. Außerdem lassen sie sich so weit miniaturisieren, dass sie außergewöhnlich feine Strahlen aussenden. So fein, dass sich damit einzelne Körperzellen ins Visier nehmen lassen. Das wollen die Forscher aus North Carolina für die Krebsforschung nutzen – um zu erkunden, wie sich eine Strahlentherapie auf das Tumorgewebe auswirkt. Dort leben kranke und gesunde Zellen nebeneinander. Die Physikprofessorin Sha Chang möchte erkunden, wie beide Zellarten Signale austauschen, wenn sie mit Röntgenlicht bestrahlt werden.

    "Wir hoffen, dass wir ein Gerät entwickeln können, das auf den Schreibtisch passt. Man kann sich die Zellen in den Gewebekulturen dann einfach mit dem ganz normalen Lichtmikroskop anschauen und dann sagen: Das da ist die Zelle, für die ich mich interessiere. Wie reagiert sie, wenn ich nur sie alleine bestrahle und wie kommuniziert sie mit anderen Zellen?"

    Das ist reine Grundlagenforschung. Etwas näher an der Praxis ist da schon eine andere Anwendung für die neuartigen Röntgenleuchten: Hochgeschwindigkeits-Computertomographen ohne bewegliche Teile. Dazu noch einmal Otto Zhou.

    "Wir können Röntgensysteme mit vielen verschiedenen Quellen bauen. Dabei greifen wir auf Technologien zurück, die für die Mikroelektronik entwickelt worden sind. Die Röntgenstrahlen kommen dabei aus unterschiedlichen Richtungen. Wir können die Pulse auch mit äußeren Signalen koppeln – sei es ein Herzschlag oder die Bewegung irgendeines Objektes."

    Noch in diesem Jahr starten die ersten klinischen Studien zu solch einem Gerät. Es soll während einer Radiotherapie in Echtzeit kontrollieren, ob die bestrahlten Organe ihre Lage verändert haben. Der Schaden für das umliegende Gewebe kann damit minimiert werden. Das Gerät arbeitet gleich mit einer ganzen Batterie von Röntgenquellen, die ringförmig um den Patienten angeordnet sind. Normale Tomographen führen eine einzelne Röhre mechanisch um den Patienten herum. Das dauert relativ lange, die Aufnahme wird dadurch verschwommen. Die Feldemissions-Technologie hingegen liefert in Sekundenbruchteilen ein gestochen scharfes Bild.