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"Die Erfahrung zeigt, man kann es begrenzen"

Im Deutschen Ethikrat steht eine Anhörung zur Genanalyse ungeborener Embryonen bevor. Wolf-Michael Catenhusen, Leiter der Arbeitsgruppe des Deutschen Ethikrats, schildert, wie in anderen Ländern mit dem Thema umgegangen wird.

Wolf-Michael Catenhusen im Gespräch mit Gerwald Herter | 16.12.2010
    Herter: Schon in den Begriffen schlägt sich der Streit um die Präimplantationsdiagnostik nieder. Handelt es sich nun um befruchtete Eizellen oder Embryonen, die da untersucht werden?

    Jetzt bin ich mit dem früheren Staatssekretär und früheren SPD-Bundestagsabgeordneten Wolf-Michael Catenhusen verbunden. Er leitet die Arbeitsgruppe des Deutschen Ethikrats zur Präimplantationsdiagnostik, ein wichtiges und schwieriges Thema. Guten Morgen, Herr Catenhusen.

    Wolf-Michael Catenhusen: Guten Morgen!

    Herter: Herr Catenhusen, brauchen unsere Bundestagsabgeordneten Beratung zum Beispiel bei der Frage der Präimplantationsdiagnostik?

    Catenhusen: Ich denke schon, dass es gut ist, wenn ein Expertengremium wie der Deutsche Ethikrat die aktuellen Entwicklungen der letzten Jahre und auch die ethischen Abwägungsdebatten, die in anderen Ländern geführt werden, aufbereitet und Handlungsalternativen aufzeigt, ja.

    Herter: Aber wir haben es gerade gehört: Jetzt gibt es da schon einen ersten Gesetzentwurf. Die SPD-Abgeordnete Carola Reimann hat das den Kollegen von der TAZ, der Tageszeitung, gesagt. Und das, obwohl die Anhörung im Ethikrat noch gar nicht stattgefunden hat. Ist das nicht ärgerlich?

    Catenhusen: Man arbeitet an Gesetzentwürfen. Die Frage ist natürlich, werden die Ergebnisse des Deutschen Ethikrates noch in die Arbeit einbezogen. Ich bin da eigentlich optimistisch, aber man muss klar sagen, auf allen Seiten ist Handlungsdruck, der durch dieses Gesetz erzeugt wird. Und natürlich warten die Abgeordneten nicht bei dem Prozess, sich Gedanken zu machen, bis der Ethikrat nun in Anführungszeichen sagt, wo es langgeht, sondern das ist ein paralleler Prozess, der halt auch der aktuellen Dringlichkeit geschuldet ist.

    Herter: Und die warten auch nicht, wenn es sich um Parteifreundinnen von Ihnen handelt.

    Catenhusen: Das hat damit nichts zu tun. Ich arbeite auch nicht als Parteifreund, sondern als Erfahrener auf dem Thema Bioethik. Also diese Parteifragen spielen im Ethikrat keine Rolle.

    Herter: Sie haben die Diskussionen im Ausland verfolgt. In verschiedenen anderen Ländern ist die PID ja erlaubt. Was können wir vom Ausland lernen für unsere deutsche Diskussion?

    Catenhusen: Wir können lernen, dass in starkem Maße die nationale Regulierung darüber entscheidet, ob aus der PID in der Tendenz eine Art Standardverfahren werden könnte. Oder ob es wirklich auf schwere, nicht behebbare und auch nicht therapierbare monogene Erbkrankheiten beschränkt bleibt, wie es etwa in Frankreich ist. Das heißt, der Gesetzgeber kann sehr darüber entscheiden. Und ich denke auch, die Erfahrung zeigt, man kann es begrenzen. Der Vorwurf, dass, wenn man hier die Tür aufmacht, alles möglich wird, ist meiner Ansicht nach aufgrund der internationalen Erfahrung nicht berechtigt.

    Herter: Wo fahren deutsche Paare derzeit hin, wenn sie eine Präimplantationsdiagnostik durchführen lassen wollen?

    Catenhusen: Wir müssen davon ausgehen, dass das weniger als hundert Paare pro Jahr sind. Und sie fahren vorzugsweise nach Tschechien, danach nach Belgien und in einige andere Nachbarländer.

    Herter: Und das kostet viel Geld?

    Catenhusen: Ja. Die Frage ist nur, die Reise ist nicht das teure, sondern die Untersuchung. Da kann es vielleicht um bis zu 10.000 Euro gehen. Aber die Frage wird sich auch stellen, wenn in Deutschland PID zugelassen werden sollte. Denn die Frage, ob das von einer Krankenkasse übernommen wird, ist in den meisten - auch europäischen Nachbarländern - mit einem Nein beantwortet.

    Herter: Also nicht. – Kommen wir zurück zu einem Punkt, den Sie bereits angesprochen haben. Wie lässt sich denn verhindern, dass man eben auf die sogenannte ethische Rutschbahn gerät und eine stärkere Selektion stattfindet bis hin zu Körperbau, Intelligenz oder Augenfarbe?

    Catenhusen: Es ist die Frage, ob man im Gesetz selbst eine Definition des Krankheitsfeldes verankert, nach der dann Präimplantationsdiagnostik zulässig wird. Es gibt etwa in Frankreich so sinngemäß eine Bestimmung im Gesetz, dass es um eine schwere, zum Zeitpunkt der Diagnose auch nicht therapierbare schwere monogene Erbkrankheit geht, die sozusagen schon bei der Familie vorhanden ist. Das heißt, man kann eine solche PID dann nur durchführen, wenn eine Indikation schon vorliegt. Man kann also nicht einfach nur auf Verdacht in einer Art Standardverfahren nachgucken. Und die Zahl der durchgeführten Diagnosen schwankt in Frankreich etwa um die 200 pro Jahr.

    Herter: Wenn man also ganz genau festschreiben will, was da geht und was nicht geht, unterliegt man doch der Gefahr, dass ein Gesetzentwurf ständig nachgebessert werden muss aufgrund des medizinischen Fortschritts.

    Catenhusen: Die Fragen stellen sich möglicherweise in zehn Jahren auch noch etwas anders als heute. Das kann man nicht ausschließen. Das bedeutet aber, dass der Gesetzgeber - wie in anderen bioethischen Fragen auch - dazu aufgerufen ist, von Zeit zu Zeit zu prüfen, ob die Gesetzgebung auch mit dem aktuellen Stand der Wissenschaft und mit der Einstellung der Bevölkerung angemessen ist.

    In Frankreich wird jede Bioethik-Gesetzgebung in fünfjährigem Turnus überprüft und ich sage noch mal, der Gesetzgeber, wenn er entscheidet, meißelt nichts in den Stein des Unvergänglichen, sondern er richtet nur die höchstmögliche Hürde auf, nämlich dass nur der Gesetzgeber selbst entscheiden kann, wenn sich der Anwendungsbereich verändert. In Großbritannien zum Beispiel entscheidet eine von einem Ministerium eingesetzte Kommission, wie weit das gehen darf. Und ich denke, ein solches Modell ist für Deutschland nicht akzeptabel.

    Herter: Der Fraktionszwang wird bei dieser Abstimmung über die Präimplantationsdiagnostik im nächsten Jahr sicher aufgehoben werden. Herr Catenhusen, kurze Frage zum Abschluss. Sind das die wahren Sternstunden des Deutschen Bundestages?

    Catenhusen: Wir haben im internationalen Vergleich wirklich eine sehr hohe Kultur der Biopolitik entwickelt, dass seit den 90er-Jahren, seit dem Transplantationsgesetz, die Anträge durch interfraktionelle Arbeitsgruppen erstellt werden, in der Regel immer parteiübergreifend. Und ich denke schon, dass damit der Deutsche Bundestag in beispielloser Weise Verantwortung übernimmt und in einem offenen Klärungsprozess auch die Argumente sehr sorgfältig und nicht durch Parteibeschlüsse oder Ähnliches vorgegeben abwägt. Ja, ich denke, das ist eine politische Kultur auf diesem Gebiet, auf die wir in Deutschland stolz sein können.

    Herter: Das war Wolf-Michael Catenhusen über die Präimplantationsdiagnostik. Dazu findet heute eine Anhörung des Deutschen Ethikrats statt. Herr Catenhusen, vielen Dank!

    Catenhusen: Ja, danke auch. Auf Wiederhören!