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"Die Ersten auf dem Platz"

Unter der Herrschaft der Taliban durften Mädchen in Afghanistan nicht einmal zur Schule gehen - geschweige denn Sport treiben. Doch die Dinge haben sich geändert und seit sechs Jahren hat Afghanistan sogar eine eigene Frauen-Fußball-Nationalmannschaft. Eine junge Deutsch-Afghanin hat den Spielerinnen einen Kurzfilm gewidmet. Er handelt von Freiheit, der Liebe zum Fußball und Mut.

Von Aglaia Dane | 12.06.2011
    Ein Hubschrauber landet auf einer Wiese. Staub wird aufgewirbelt. Drei Mädchen, die am Rand auf einer Tribüne sitzen, springen auf und halten sich die Augen zu. Das ist die Einstiegsszene aus "Die Ersten auf dem Platz" - einem Kurzfilm über die 18 Spielerinnen der afghanischen Frauen-Fußball-Nationalmannschaft.

    "Die Frauen sind zwischen 17 und 23 Jahre alt und spielen leidenschaftlich gerne Fußball."

    Sagt Lela Ahmadzai: Sie ist Fotojournalistin, gebürtige Afghanin und hat den Film gemeinsam mit der Berliner Produktionsfirma 2470 gemacht.

    "Diese sind natürlich die mutigsten Frauen in dieser Gesellschaft. Sie dienen auch als Inspirationsquelle für die unter 25-Jährigen in Afghanistan."

    Deshalb wollte Lela Ahmadzai ihre Geschichten erzählen. Zum Beispiel die von Sabera Azizi. Die Anfang 20-Jährige hat kinnlanges gewelltes Haar, tiefbraune Augen und eine kleine Zahnlücke. Die junge Frau will studieren und bereitet sich – wenn sie nicht gerade trainiert - auf die Aufnahmeprüfung vor. Ahmadzai hat Sabera in ihrem Elternhaus gefilmt – sie steht in der Küche in einem edlen rosafarbenen Gewand und rührt in einem Topf mit Brei.

    "Draußen bin ich wie ein Mann, aber zuhause bin ich gerne eine Frau. Im Haushalt helfe ich gerne. Ich möchte nicht, dass meine Mutter mit allem alleine zu recht kommen muss. Umgekehrt unterstützt meine Familie meinen Traum vom Fußball."

    Der Traum vom Fußball – noch vor zehn Jahren wäre er undenkbar gewesen. Doch nach dem Sturz der Taliban begann die Fifa Fußball in Afghanistan intensiv zu fördern – erst für Jungen, dann auch für Mädchen. Auch der DFB engagierte sich: Die 2005 aus Schülerinnen und Studentinnen gegründete Frauen-Nationalmannschaft wurde eine Zeit lang von dem deutschen Auslands-Coach Klaus Stärk trainiert. Und vor drei Jahren waren die 18 Spielerinnen sogar zu einem Trainingscamp in Deutschland. Zwei Wochen unbeschwert Fußball spielen – das war für Sabera und ihre Mitspielerinnen eine einzigartige Erfahrung. In Afghanistan nehmen die Frauen für ihren Sport einiges auf sich – das beginnt schon mit der Fahrt zum Training - drei Mal die Woche quer durch Kabul.

    "Um 13 Uhr beginnt das Training. Die Straßen sind so voll, manchmal brauche ich vier Stunden bis ich da bin. Dabei wäre ich am liebsten die erste auf dem Platz."

    Der Platz ist eigentlich ein Hubschrauber-Landeplatz auf einem Militärgelände der Internationalen Afghanistan-Schutztruppe.

    Manchmal spielt die afghanische Fußballnationalmannschaft gegen die ISAF-Soldatinnen. In der Dokumentation sieht man die Afghaninnen jubeln – sie haben 1:0 gewonnen.
    Doch warum trainieren die jungen Frauen auf einem Militärgelände? – Ihr Trainer, Wahidulla Wahedi, ein schlanker Mann mit Schnauzbart und sanften Augen blickt besorgt in die Kamera.

    "Es gibt viele Gegner des Frauenfußballs. Der ISAF-Übungsplatz liegt direkt neben der der US-Botschaft - das Gelände ist der meistüberwachte Ort in Kabul."

    Die Taliban sind zwar seit zehn Jahren nicht mehr an der Macht, doch die extremen Islamisten kämpfen weiter für ihre Ideen. Fußball ist in ihren Augen nichts für Frauen. Ihre Bewegungen könnten Männer erregen, Mädchen könnten beim Sport ihre Jungfräulichkeit verlieren. Die Spielerinnen, ihre Eltern und auch der Trainer leben mit der Angst, Ziel eines Angriffs zu werden. Und obwohl die jungen Frauen sehr nach Anerkennung streben, müssen sie deshalb versuchen, nicht allzu sehr in der Öffentlichkeit zu stehen.

    "In den Sportnachrichten tauchen sie ganz kurz auf. Aber es wird bewusst die Kommunikation niedrig gehalten, weil befürchtet wird, dass Anschläge stattfinden könnten. Dass sie davon einen Schaden tragen."

    Doch all den Hindernissen und Gefahren zum Trotz lassen sich die jungen Frauen nicht davon abbringen, Fußball zu spielen.

    "Natürlich: Die lieben Fußball. Sport kommt an erster Stelle. Die lieben es. Aber andererseits können sie sich anders entfalten als die traditionelle Rolle der Frau in Afghanistan - zum Beispiel Frau sein, Mutter sein, Haushalt. Sie können sich auf dem Sportplatz wie Jugendliche verhalten und Spaß dabei haben."

    Den Fußballerinnen in Afghanistan geht es aber nicht nur ums Vergnügen, sie haben auch ehrgeizige Ziele.

    "Denen ist das durchaus bewusst, dass diese Generation es nicht mehr schafft, an einer Weltmeisterschaft teilzunehmen - aber sie äußern gerne diesen Wunsch für die Zukunft."

    Wenn Fußball-Spielerin Sabera abends nach Hause kommt, ist sie oft sehr müde. Die lange Fahrt durch Kabul, Lernen, Training, Haushalt. Und dann fragen ihre Eltern sie in letzter Zeit auch immer häufiger, wann sie endlich heiraten will. Im Film lächelt Sabera schelmisch und sagt, sie sei froh, dass es zurzeit keinen Kandidaten gebe - sie habe eh nur Fußball im Kopf.

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    Ihre Bilder von der afghanischen Nationalmannschaft zeigt Lale Ahmadzais ab Ende des Monat in Berlin, Augsburg und Friedberg.

    Lela Ahmadzais Film ist in Kürze zu sehen auf der Internetseite: www.2470media.com