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Die ersten Menschen in Amerika
Ein Mammut-Fund stellt bisherige Erkenntnisse infrage

Bislang geht die Forschung davon aus, dass die ersten Menschen vor gut 10.000 bis 15.000 Jahren nach Nordamerika kamen. Archäologen haben aber jetzt im britischen Fachblatt "Nature" eine Untersuchung von Mammut-Knochen vorgestellt, die zeigt, dass das Tier schon vor 130.000 Jahren von Menschen zerlegt wurde.

Von Michael Stang | 27.04.2017
    Mammut-Ausstellung in Braunschweig
    Mammut-Knochen in einer Ausstellung in Braunschweig. Ein Fund in den USA stellt bisherige Lehrmeinungen infrage. (picture alliance / dpa / Rainer Jensen)
    1992 wird ein neuer Highway in San Diego gebaut. Die Arbeiter stoßen auf riesige Knochen und rufen Wissenschaftler vom Naturhistorischen Museum hinzu. Diese erkennen, dass es sich um die Überreste eines Mastodons beziehungsweise amerikanischen Mammuts handelt. Spuren an den Knochen machen die Wissenschaftler stutzig. 25 Jahre dauert die Auswertung der Daten. Der Grund – die Erkenntnisse widersprechen der bisherigen Lehrmeinung. Daher waren zusätzliche Analysen und Datierungen notwendig. Aber jede weitere Untersuchung brachte immer dasselbe Ergebnis, auch wenn es zunächst unglaubwürdig erscheint, sagt Thomas Demere vom Naturhistorischen Museum in San Diego bei der "Nature"-Pressekonferenz.
    "Es handelt sich um Knochen, die Frakturen zeigen. Wir haben Zähne, verschiedene erhaltene Wirbel und Rippen eines Mastodons gefunden, die Werkzeugspuren aufweisen. All das zusammen ergibt ein einheitliches Bild. Demnach haben Menschen dieses Tier vor 130.000 Jahren gezielt auseinandergenommen."
    Das Rüsseltier mit Werkzeugen bearbeitet
    Diese Ergebnisse überraschen die Fachwelt in vielerlei Hinsicht. Bislang galt die Lehrmeinung, dass frühestens vor 15.000 Jahren Menschen erstmals nach Nordamerika gekommen sind. Die neue Studie deutet darauf hin, dass es Menschen aber schon vor 130.000 Jahren bis nach Kalifornien geschafft haben könnten. Dort haben sie das heute ausgestorbene Rüsseltier mit Werkzeugen bearbeitet, um an das Knochenmark zu gelangen. Experimente hätten gezeigt, dass diese Spuren definitiv von Menschen stammen. Von diesen selbst jedoch fehlt bislang jede Spur, so Richard Fullagar von der Universität von Wollongong in Australien. Wer aber hat dieses Tier zerlegt?
    "Die einfache Antwort natürlich ist: Wir wissen es nicht, da wir dort bislang keine menschlichen Knochen gefunden haben. Wenn wir uns die Zeit vor 130.000 Jahren in Nordamerika anschauen, kommen eigentlich nur Neandertaler in Frage, die irgendwie über das Wasser gekommen sein müssen, vielleicht mit Booten oder es waren anatomisch moderne Menschen."
    Kritiker vermissen weitere Belege
    Also Vertreter von Homo sapiens. Wissenschaftler, die nicht an der Studie beteiligt waren, sind skeptisch – auch ob der vielen Eventualitäten, wie es dazu kam, dass Mammutknochen vor 130.000 Jahren - von wem auch immer - malträtiert worden sind. Zu den Kritikern gehört der britische Paläoanthropologe Chris Stringer vom Naturhistorischen Museum in London. Der Begründer der Out-of-Africa-Theorie kommentiert per Email.
    "Wir hören ja oft in den Medien, dass eine Studie alles bisherige Wissen über die Frühzeit des Menschen auf den Kopf stellt. Bestätigen sich die neuen Ergebnisse, wäre das hier tatsächlich der Fall. Es sind aber noch viele Fragen offen. Fakt ist: Diese Studie in 'Nature' wurde von Spezialisten begutachtet. Aber, bevor wir alle alten Thesen zur Erstbesiedlung Amerikas vor 15.000 Jahren über Bord werfen, brauchen wir mehr Beweise dazu, wann und wie genau die Besiedelung Amerikas bis nach Kalifornien vor 130.000 Jahren vonstattenging."
    Lehrbücher werden noch nicht umgeschrieben
    Diese Fragen werden in der Studie jedoch nicht beantwortet. Es gibt bislang nur die Mammutknochen aus San Diego mit Werkzeugspuren. Es fehlen die Überreste einer menschlichen Siedlung, menschliche Knochen, eine weitere unabhängige Datierung und eine Erklärung, wie die Verursacher der Spuren – welche Menschengruppen auch immer das waren – überhaupt nach Kalifornien gekommen sind. Für Steven Holen vom Zentrum für Paläolithische Amerikanische Forschung in South Dakota und Erstautor der Studie gibt es nur eine Möglichkeit, das zu klären.
    "Wir sind offen für Zweifel und Kritik. Ich denke, wie haben sehr gute Beweise vorgelegt. Am besten wäre es, wenn Kritiker selbst Ausgrabungen in Schichten älter als 100.000 Jahren machen und schauen, ob sie auch etwas finden."
    Ohne weitere Funde werden die Lehrbücher also vorerst nicht umgeschrieben. Dazu gab es in der Vergangenheit schon zu viele Entdeckungen, bei denen voreilig ganze Szenarien aus der Frühzeit des Menschen umgeschrieben wurden.