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Freies Interrail-Ticket für 18-Jährige

Einen Monat lang quer durch Europa - mit nur einem Zugticket und zwar als Geschenk von der EU an alle 18-Jährigen. Allerdings müssen sich die Jugendlichen für ihr Interrail-Ticket bewerben. Und das ist nicht so einfach.

Von Sandro Schroeder | 09.05.2018
    Vincent-Immanuel Herr, EU-Aktivist
    "Ich glaube, es war seit langem mal wieder eine Idee zu und aus und von Europa, die Spaß macht, die Leute zum Träumen bringt, die Leute begeistert", sagt der EU-Aktivist Vincent-Immanuel Herr (Deutschlandradio / Johannes Nichelmann)
    Die beiden Berliner Europa-Aktivisten Martin Speer und Vincent-Immanuel Herr sitzen im Schatten des Berlaymont-Gebäudes, dem Sitz der Europäischen Kommission in Brüssel. Vor vier Jahren hatten sie die Idee: Die EU könnte doch allen jungen Menschen ein Geschenk machen: ein kostenloses Interrail-Ticket zum 18. Geburtstag.
    "Genau, die Idee zu #FreeInterrail entstand auf einer eigenen Interrail-Reise, die wir beide 2014 gemacht haben. Wir waren in 14 Ländern unterwegs, haben mit vielen jungen Leuten gesprochen und auf dieser Reise hat sich uns die Frage gestellt: Sollten nicht alle junge Menschen diese Erfahrung machen können, per Interrail durch Europa reisen, Europa kennenlernen und zwar ganz erster Hand."
    Lobbyarbeit für Europas Jugend
    Vincent-Immanuel Herr und sein Mitstreiter Martin Speer werben seit Ende 2015 für ihre #FreeInterrail-Idee - in Medien, sozialen Netzwerken, bei Konferenzen und in Gesprächen mit Politikerinnen und Politikern. Herr und Speer - so nennt sich das Duo online - mögen den Ausdruck zwar nicht, aber sie leisten seit drei Jahren klassische Lobbyarbeit. Für Europas Jugend. Und mit ersten Erfolgen. 2015 schlägt der erste Europa-Abgeordnete vor, ein Pilotprojekt zu #FreeInterrail im EU-Haushalt einzuplanen - die Kommission lehnt aber erstmal ab. Trotzdem wird 2016 im Europäischen Parlament über #FreeInterrail diskutiert, direkt nach der Rede zur Lage der Europäischen Union 2016.
    "Wie wäre es denn, wenn wir zukünftig jedem europäischen Jugendlichen, der 18 Jahre wird, ein Interrail-Ticket schenken, von der Europäischen Union aus, damit er dieses Europa im Alltag für drei Wochen erleben darf?"
    Fragt damals Manfred Weber, der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei. Er und seine Partei werben seitdem massiv für #FreeInterrail. Auch die EU-Kommission bewundere die mutige, ambitionierte Idee - betont die Verkehrskommissarin Violeta Bulc.
    Nur die Umsetzung ist der Kommission dann doch zu teuer: Allein die Zugtickets hätten schätzungsweise zwei Milliarden Euro gekostet. Stattdessen bezahlte die Kommission ein erstes Mini-Pilotprojekt, im vergangenen Sommer: Zweieinhalb Millionen Euro für die Fahrtkosten von bis zu 5.000 Jugendlichen auf Europa-Bildungsreise. Allerdings nur im Austausch gegen jede Menge Brüsseler Beantragungs-Bürokratie.
    Erste Bewerbungsrunde läuft
    In diesem Sommer finanziert die Kommission nun die Fahrtkosten von bis zu 15.000 18-Jährigen. "DiscoverEU", heißt das kurzfristig ins Leben gerufene Projekt, also zum "EU-Entdecken" - die bürokratische Hürden sind auch dieses Mal inklusive.
    Nur der größte von vielen Haken an DiscoverEU: Die Jugendlichen müssen im Sommer exakt 18 Jahre alt sein, sich Mitte Juni vorab mit einem tagesgenauen Reiseplan bewerben und ein Quiz zu Europa beantworten. Auch wegen solcher komplizierten Umsetzungen wird die FreeInterrail-Idee immer wieder als elitär kritisiert. So wie von Gerrit Krause von den Jungen Sozialdemokraten in Brüssel.
    "Ich glaube, damit erweckt man erstmal große Hoffnungen, die am Ende vielleicht gar nicht eingehalten werden können, mit diesem Pilotprojekt. Das ist ja sehr selektiv, wer da am Ende mit teilnehmen kann, es ist sehr bürokratisch. Und ich glaube einfacher wäre es, wenn man sich um Programme kümmert, damit Jugendliche in Lohn und Brot stehen und sich Zugtickets im besten Fall irgendwann dann selbst leisten können."
    Auch wenn ‘DiscoverEU’ nicht das flexible Interrail-Ticket für alle jungen Menschen ist, das sich die Europa-Aktivisten Herr und Speer wünschen: Die beiden sehen das Projekt als einen Schritt in die richtige Richtung. Deswegen sind sie an diesem Tag auch nach Brüssel gekommen sind, um die Kommission zu beraten. Martin Speer:
    "Ich glaube, es war seit langem mal wieder eine Idee zu und aus und von Europa, die Spaß macht, die Leute zum Träumen bringt, die Leute begeistert und die sich jeder für sich selbst und seine Kinder wünscht. Dafür kann auch Europa stehen, und nicht nur für sehr abstrakte Verordnungen."
    Die Kommission hat im EU-Haushalt bis 2027 700 Millionen Euro für kostenlose Interrail-Tickets vorgesehen. So ein Vorzeigethema wird die Haushaltsverhandlungen wahrscheinlich überleben - die Umsetzung muss verhandelt werden. Egal, wie das ausgeht: Die #FreeInterrail-Idee bleibt. Und sie steckt längst nicht mehr nur in den Köpfen von Vincent-Immanuel Herr und Martin Speer.