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Die EU und der Syrien-Konflikt
"Wir haben keine politische Kraft"

Für den CDU-Europaabgeordneten Elmar Brok gibt Europa im Syrien-Konflikt ein "furchtbares Bild" ab. Im Deutschlandfunk forderte er eine stärkere Rolle Europas bei der Lösung der Krise. Das würde auch die syrische Opposition erwarten, sagte Brok.

Elmar Brok im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 13.09.2016
    Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok
    Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok (imago / ZUMA Press)
    Europa helfe ungeheuer in der Flüchtlingsfrage und finanziere humanitär so viel wie kein anderer, die EU habe aber keine politische Kraft, sagte Brok. Er hoffe, dass es nun vorangehe und sich die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfel in Bratislava mit dem Thema beschäftigen. Europa habe mit diesem Krieg sehr viel zu tun. Nun gehe es darum, eine europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik aufzubauen, um in dem Konflikt eine Rolle spielen zu können.
    Mit Blick auf die seit gestern Abend geltende Waffenruhe für Syrien sagte Brok, er hoffe auf "gute Nerven" aller Beteiligten, damit aus der Waffenruhe ein Friedensprozess entstehen könne. Es gelte, sich mit aller Kraft auf die Bekämpfung des Islamischen Staates zu konzentrieren. Leider sei es aber noch immer so, dass Russland und Assad Terrorismus so definierten, dass jeder, der gegen Assad sei, ein Terrorist sei.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Die Waffenruhe in Syrien, die ist seit gut zwölf Stunden in Kraft, und nach allem, was wir hören, hält sie bislang. Durchgesetzt haben diese Feuerpause die USA und Russland gemeinsam, und vor allem da beginnt für viele jetzt das große Problem, denn beide Mächte verfolgen bislang in diesem Konflikt höchst unterschiedliche Ziele.
    Am Telefon ist jetzt der CDU-Außenpolitiker Elmar Brok, der Vorsitzende im Auswärtigen Ausschuss des Europäischen Parlaments. Schönen guten Morgen, Herr Brok.
    Elmar Brok: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Brok, wir haben es gehört: Moskau und Washington verfolgen hier höchst unterschiedliche Ziele. Wie zuversichtlich sind Sie, dass es trotzdem klappt?
    Brok: Nun, die Situation ist so dramatisch, und ich hoffe, dass dieses Mal die Vereinbarungen, die Russland und die USA getroffen haben, halten und dass man sich durchsetzen kann bei diesen komplexen Situationen der Kämpfer dort, nämlich gemeinsam gegen den Islamischen Staat. Auf der einen Seite steht Assad, der ja mehr Mörder seines Landes ist, als dass er Präsident dieses Landes ist, und Russland ist dort Kriegspartei.
    Auf der anderen Seite sind bei seinen Oppositionsgruppen auch einige, die man nicht gerade unterstützen könnte, und hier ist es wichtig, dass man dort eine Unterscheidung hinbekommt, so schwierig es auch ist, weil das territorial alles zusammenhängt zwischen der Al-Nusra-Front und den anderen. Aber wenn dieses hält und wenn dieses eine Woche hält, dann haben die Amerikaner und Russen gesagt, dass sie dann eine gemeinsame Planung des Eingreifens dort haben, und das gibt vielleicht die Chance, dass Russland die einseitige Bombardierung von Aleppo und Ähnliches aufgibt und man dort dann zu einer Situation kommt, dass die Genfer Friedensverhandlungen wieder aufgenommen werden können.
    "Russland und Assad definieren leider Terrorismus so, dass jeder, der gegen Assad ist, ein Terrorist ist"
    Armbrüster: Aber sehen Sie denn irgendwelche Anzeichen dafür, dass sich hier Moskau und Washington tatsächlich auf eine Linie geeinigt haben?
    Brok: Da bin ich nicht sicher. Aber ich glaube, dass es auch keine Alternative ist, dass es dort so weitergeht wie bisher und dass aus diesem Grunde wir gezwungen sind, die Dinge doch in einer vernünftigen Weise zu regeln, bei allen Ansprüchen von globalen Mächten und was sie dort durchsetzen wollen.
    Wir müssen natürlich akzeptieren, dass Russland in dem Land, in dem es traditionell eine Rolle spielt, dies weiter spielen kann, aber dieses muss in einem friedlichen Prozess geleitet werden, und wenn die Verhandlungen stattfinden, dann in einem 18monatigen Prozess zur Neuaufstellung dieses Landes. Und dann wäre es auch die Möglichkeit, dass man sich dann wirklich jetzt schnell einigen könnte, alle Kraft in der Bekämpfung des Islamistischen Staates zu konzentrieren.
    Aber Russland und Assad definieren leider Terrorismus so, dass jeder, der gegen Assad ist, ein Terrorist ist, und ich weiß nicht, wie weit man ist, dass man bei dieser Definition von Terrorismus weiterkommt, dass es sinnvoll ist, wenn man zu einem positiven Ergebnis kommt und nicht alle Regime-Gegner als Terroristen bezeichnet werden.
    Armbrüster: Herr Brok, aber das ist ja schon eine interessante Verschiebung, die wir da in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder gehört haben. Auf einmal reden alle immer von der Bekämpfung des Islamischen Staates, von der Bekämpfung der Terroristen. Von einem Regime-Wechsel in Damaskus ist da auf einmal gar keine Rede mehr. Das war ja bis vor einigen Jahren noch sehr anders. Können wir dann sagen, hat sich der Westen, haben sich vor allen Dingen die USA den Interessen Russlands untergeordnet?
    Brok: Nein, die Positionen sind zusammengezogen worden. Es ist in der Tat so, dass gegen den Islamischen Staat eigentlich immer alle waren, aber man hat sich nicht darauf konzentriert, weil diese andere Auseinandersetzung da ist innerhalb Syriens. Es sind ja zwei oder drei Kriege, die dort gleichzeitig stattfinden und die miteinander vermischt werden. Aber wir müssen Wert darauf legen, dass man zwar gesagt hat, dass Verhandlungen stattfinden in Syrien, um einen Friedensplan hinzubekommen, der auch einschließt, dass das Assad-Regime eine Rolle spielen kann, aber nicht unbedingt mit Assad an der Spitze. So waren die Formulierungen zu Beginn der Wiener und dann Genfer Verhandlungen vor etwa einem Jahr, und darauf müssen wir zurückkehren. Es kann nicht sein, dass das Ergebnis ist, dass Assad, wie er das gestern bei seinem Gebet zum Ausdruck gebracht hat, dass er dieses nun als Chance nutzt, den gesamten Staat wieder zu übernehmen und die Unterdrückung weiterzumachen.
    "Assad ist heute sicherlich stärker als vor ein oder zwei Jahren"
    Armbrüster: Herr Brok! Entschuldigen Sie, wenn ich Sie da unterbreche. - Muss sich denn Assad nicht gestärkt fühlen durch die Regelungen dieser Feuerpause, die ja wirklich explizit auf die Rebellen, auf die Opposition zu Damaskus, zu Assad blicken und nicht so sehr auf das Assad-Regime selbst?
    Brok: Er ist sicherlich heute stärker als vor ein oder zwei Jahren. Aber gestärkt würde ich nicht sagen. Er schießt in diesen Stunden nicht auf Aleppo, er bombardiert nicht mehr, er schießt auch nicht mehr, er hält sich auch an die Waffenruhe, und das ist eine Bedingung dafür, dass es funktioniert, und ich hoffe, dass Russland den Willen und die Kraft hat, Assad auch in den nächsten acht Tagen dazu zu zwingen und dann darüber hinaus.
    Armbrüster: Wir reden jetzt viel auch an diesem Dienstagmorgen über Washington und über Moskau. Wieso müssen wir uns in Europa eigentlich immer noch darauf verlassen, was da in diesen beiden Städten, in diesen beiden Supermächten entschieden wird?
    Brok: Weil wir zu schwach sind. Wir machen soft power, wir helfen ungeheuer in der Flüchtlingsfrage, wir finanzieren humanitär sehr, sehr viel wie kein anderer, aber wir haben keine politische Kraft. Und ich hoffe, dass diese Ereignisse und die Auswirkungen auf uns vor unserer Haustür dazu führt, dass das endlich vorangeht. Und ich hoffe, dass Jean-Claude Juncker morgen in seiner Rede im Europäischen Parlament, insbesondere aber die Staats- und Regierungschefs Ende der Woche in Bratislava endlich vorankommen, auch europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik aufzubauen, gemeinsame Strukturen aufzubauen, damit wir eine Rolle spielen, auch wenn es um unsere Interessen geht, wenn es auch um unsere Werte geht, wenn man hier auch Menschen unterstützen kann. Und ich glaube, dass wir hier ein sehr viel höheres Maß an politischen Fähigkeiten entwickeln müssen. Dafür gibt es eine Reihe von Vorschlägen. Und ich weiß auch, dass die syrische Opposition darauf wartet, dass die Europäer endlich dort erscheinen und nicht dieses furchtbare Bild abgeben.
    Armbrüster: Kommt diese Einsicht denn nicht ein bisschen spät, nach mehr als einer Million Flüchtlingen später?
    Brok: Das ist ja ein Problem, das wir nicht nur in dieser Frage haben. Wir haben es in Nordafrika und in vielen anderen Bereichen. Diese Einsicht kommt viel zu spät.
    "Es zeigt sich vor allem das Versagen vieler Mitgliedsstaaten"
    Armbrüster: Aber es zeigt sich ja in Syrien ganz extrem. Europa hat mit diesem Krieg sehr viel zu tun, auch wenn es sicher andere Länder gibt, die nicht zu Europa gehören, die mehr Flüchtlinge aufnehmen. Aber dieser Krieg hat viele europäische Länder in heftige politische Krisen gestürzt. Also zeigt sich hier ja eigentlich das Versagen Europas in dieser außenpolitischen Frage quasi im Extremen.
    Brok: Ja! Es zeigt sich vor allem das Versagen vieler Mitgliedsstaaten, die nicht bereit sind, bisher die Dinge zusammenzufügen und gemeinsam zu betreiben, eine permanente strukturelle Zusammenarbeit zu machen, ein gemeinsames Hauptquartier zu machen, wo man Planungen machen kann, und den politischen Willen dazu.
    Aber ich habe das Gefühl, dass sich dieses verändert in den letzten Wochen, und ich hoffe auch - manchmal hat ja etwas Schlechtes auch was Gutes -, dass jetzt die Briten nicht mehr stoppen. Ich war bei dem Außenministertreffen dabei und die Widerstände der Briten zur Fortentwicklung der Außen- und Sicherheitspolitik sind eingestellt worden in weiten Bereichen, und ich hoffe, dass diese Chance genutzt wird.
    Und wenn wir die Bürger zurückgewinnen wollen, dann müssen aus Bratislava auch klare Signale kommen, dass wir gemeinsam größere Fähigkeiten in Fragen der inneren und äußeren Sicherheit entwickeln, und dazu gehört auch der Syrien-Komplex.
    Armbrüster: Was sehen Sie voraus für Syrien in den kommenden zwölf Monaten? Wie stellt sich die Lage dort dar aus Ihrer Sicht?
    Brok: Das ist ein klarer Wille jetzt der Russen und Amerikaner, und wir müssen stärker selbst mit hineingehen, um diesen Prozess bei allen Schwierigkeiten doch nun vernünftig zu gestalten.
    Es wird dort immer wieder Auseinandersetzungen geben. Da sind so viele Gruppen und radikale Gruppen involviert.
    Ich hoffe, dass man jetzt aber das mit guten Nerven betreibt und das nicht nur jetzt ein halber Tag ist, sondern dass daraus eine Woche wird und dass daraus dann in Genf ein Friedensprozess entsteht, in dem die Situation so fortentwickelt wird. Ansonsten wird niemand daran gewinnen und ich hoffe, dass auch Moskau einsieht, dass ihre strategischen Gründe nicht allein gültig sein können, sondern dass unter aller Berücksichtigung dieser Gründe man auch dafür Sorge tragen muss, dass das beendet wird und dass wir insbesondere auch Teheran, Riad und Ankara deutlich machen, ihre Rolle dort zu spielen.
    "Ob das bis übermorgen hält, kann niemand sagen"
    Armbrüster: Herr Brok, ich höre bei Ihnen jetzt immer wieder das Wort Hoffnung. Ist das das Leitmotiv an diesem Dienstag?
    Brok: Ich kann es noch nicht sagen. Ich kann noch nicht sagen, was die Oppositionsgruppen machen werden, was Assad machen wird, was Moskau machen wird. Ich kann nur sagen, dass dies jetzt ein guter hoffnungsvoller Schritt ist, dass das gegenwärtig hält. Ob das bis übermorgen hält, kann niemand von uns sagen.
    Wir sollten alle Kraft darauf setzen, dies zu tun, und wenn die Europäer jetzt endlich mal signalisieren, dass sie auch politisch da sind, können sie ihren positiven Beitrag dazu leisten.
    Armbrüster: Live hier bei uns in den "Informationen am Morgen" war das Elmar Brok, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament. Vielen Dank, Herr Brok, für Ihre Zeit heute Morgen.
    Brok: Danke, Herr Armbrüster.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.