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Die Europäische Union und der Hunger in der Welt

Heute beginnt in Rom die UN-Welternährungskonferenz, auf der mal wieder nach einem breiten Konsens im Kampf gegen Armut und Hunger gesucht wird. Menschenrechtsorganisationen fordern in dem Zusammenhang besonders die von der EU vorangetriebene Freihandelspolitik mit den Entwicklungsländern zu überdenken.

Von Alois Berger | 16.11.2009
    Es sieht doch ganz einfach aus. Wir in Europa haben ein Problem mit den Überschüssen aus der Landwirtschaft, und in Afrika und anderswo haben Menschen nichts zu essen. Warum nicht die Lebensmittel, die in Europa zu viel sind, dorthin bringen? Dann wäre doch allen geholfen.

    Genauso argumentieren viele Agrarpolitiker, die uns weismachen wollen, dass die europäische Landwirtschaft zur Linderung des Welthungers beitragen könnte. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Die europäischen Überschüsse verschlimmern seit vielen Jahren das Problem, sie schaffen Hunger in der Welt, sie lindern ihn nicht.

    Denn eigentlich gibt es ausreichend Lebensmittel, und auch der Transport ist nicht wirklich ein Problem. Überall auf der Welt kann man so gut wie alles bekommen. Wer das Geld hat, lässt sich am Nordpol Austern servieren und in der Wüste Champagner. Aber so weit muss man gar nicht gehen. Für normale Menschen reicht es, wenn es Reis, Hirse oder Bohnen, Fisch oder Fleisch gibt. Und das gibt es in jedem noch so abgelegenen Dorf in Afrika oder Südostasien. Was den Menschen fehlt, ist das Einkommen, um diese Nahrungsmittel zu kaufen.

    Dürrekatastrophen, Kriegswirren oder Wirbelstürme sind nicht der Alltag: In solchen Ausnahmesituationen kann es durchaus sinnvoll sein, Nahrungsmittel zu liefern, um das Überleben von Menschen zu sichern. Aber das sind Ausnahmen. In der Regel sieht Hunger anders aus, als ihn die Fernsehberichterstattung bei solchen Katastrophen zeigt. Der ganz alltägliche Hunger macht sich nicht durch aufgeblähte Kinderbäuche bemerkbar, sondern durch Mangelerscheinungen. Die erkennt man nicht sofort. Sie führen aber dazu, dass Menschen schneller krank werden und schon an harmlosen Krankheiten sterben. Kinder, die immer nur eine Handvoll Reis essen, weil sich die Eltern das Gemüse oder den Fisch nicht leisten können, haben wenig Widerstandskräfte.

    Der größte Teil des Welthungers geht nicht auf Katastrophen zurück, sondern auf die tagtägliche Armut. Das muss man sich klarmachen: Drei Viertel aller Hungernden sind Kleinbauern, Landarbeiter, Viehzüchter und Fischer, also Menschen, die selber Nahrungsmittel produzieren. Trotzdem reicht es nicht für sie und ihre Familien, und das liegt vor allem daran, dass sie auf den lokalen Märkten für ihre Produkte nicht genügend Geld bekommen, um sich eine auch nur annähernd ausgewogene Ernährung leisten zu können.

    Die reichen Industrieländer sind nicht verantwortlich für alles Elend in der Welt. Doch an den niedrigen Einkommen vieler Bauern in Afrika und Asien sind sie zumindest mit schuld. Sowohl die Europäische Union als auch die USA helfen ihrer Landwirtschaft, den Weltmarkt mit hochsubventionierten Agrarprodukten zu Billigpreisen zu überschwemmen. Die EU hat in diesem Jahr fast eine halbe Milliarde Euro an Exportzuschüssen ausgegeben: Damit wurden Butter und Milchpulver auch in Afrika zu Preisen verkauft, mit denen die Bauern vor Ort nicht mithalten können.

    Schuld sind aber nicht nur die Politiker. In den letzten Jahren hat die Europäische Union die Exportsubventionen schrittweise abgebaut, eben weil sie soviel Unheil anrichten. Doch als die Bauern massenhaft auf die Straße gingen, weil ihr Milchpreis abstürzte, wurde die EU rückfällig. Der vereinte Druck von Bauernlobby und Öffentlichkeit war zu groß. Die EU müsse endlich etwas tun, hieß es überall. Die EU handelte – und führte die Exportzuschüsse kurzerhand wieder ein.

    Wer wirklich etwas gegen den Hunger in der Welt tun will, der muss genau mit solchem Unsinn aufhören. Und zwar auch dann, wenn es wehtut. Faire Handelsbeziehungen kosten nicht nur Geld, sondern auch Kraft und Überzeugung. Aber sie richten mehr aus gegen den Hunger in der Welt als die scheinbar einfachen Lösungen: Verbilligte Lebensmittel nach Afrika zu schicken, das löst allenfalls ein Problem in Europa, in Afrika schafft es Hunger.
    Politiker, die anderes behaupten, haben keine Ahnung – oder sind einfach nur zynisch.