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"Die existenziellen Fragen des Lebens"

Das "Philosophie Magazin" will künftig die existenziellen Fragen des Lebens beantworten, auch solche, bei denen es "wehtut", sagt Chefredakteur Wolfram Eilenberger. Kostprobe: "Warum es vernünftig ist, keine Kinder zu haben".

Wolfram Eilenberger im Gespräch mit Michael Köhler | 16.11.2011
    Michael Köhler: Sie sieht ein bisschen aus wie "Psychologie heute" vielleicht, ist nach französischem Vorbild gestrickt: die erste Ausgabe des "Philosophie Magazins". Was ist das nun, das Konzept für eine populäre Philosophie-Zeitschrift, ein Magazin fürs Denken mit Kolumnen und Meldungen und Textsorten wie Booklet und so weiter? Wir fragen den Chefredakteur des "Philosophie Magazins" Wolfram Eilenberger. In Zeiten, in denen auflagenstarke Cocooning Magazine wie "Landlust" über Blüten, Fruchtstände und Winterdesserts ganze Doppelseiten machen, da kommen sie zum UNESCO Tag der Philosophie am 17. November mit einem neuen Magazin für Philosophie. Was ist das, ein "Stern", "Spiegel", "Lettre", "Gala" oder eine "Bunte" für Weisheitsliebhaber?

    Wolfram Eilenberger: Es ist ein Philosophie-Magazin, so wie ja auch der Titel der Zeitschrift, und dieser Titel ist Programm in dem Sinne, dass wir aus der philosophischen Tradition heraus für ein sehr breites Publikum ganz nah an den Alltag, an die politischen Fragen und an die existenziellen Fragen des Lebens herangehen wollen.

    Köhler: Sie sagen, im Mittelpunkt steht die Frage, wie will ich leben, und Sie sagen von sich, ein Journasoph zu sein. Was ist denn das, was tut der?

    Eilenberger: Ein Journasoph ist jemand, der mit der Tradition der Philosophie vertraut ist, der die Philosophie in seinem Leben jeden Tag nutzt, um die Welt auf neue Weise zu sehen, und dem es wichtig ist, die Kraft der Philosophie, die er selber spürt, auch andere Menschen spürbar werden zu lassen.

    Köhler: Sie publizieren im Stil eines französischen Vorbildes, des "Magazine Philosophie", und da fragt beispielsweise die Novemberausgabe danach, wozu ist das Leiden gut. Ihre erste Ausgabe heißt, "Warum haben wir Kinder?" Ist das so eine Art "Psychologie heute" im Bereich der Philosophie, oder wie haben Sie es sich gedacht?

    Eilenberger: Die Psychologie ist ja eine empirische Wissenschaft, und das ist die Philosophie nicht. Das heißt, wir haben eine ganz schmale Datengrundlage, auf der wir so eine Frage beantworten können. Wir nehmen aber auch natürlich die psychologischen Ängste und Nöte und das Orientierungsbedürfnis, das hinter solch einer Frage "Warum haben wir Kinder?", "Gibt es dafür überhaupt gute Gründe?" steht, sehr ernst. Es ist aber sicher auch so, dass unser Magazin wie die Philosophie selbst auch mal dahin geht, wo es wehtut. Zum Beispiel ein Artikel schreibt, warum es vernünftig ist, keine Kinder zu haben, und wir glauben auch nicht, dass die Philosophie für jedes Problem eine Antwort parat hat und dass wir den Leser auch mit diesem Zweifel konfrontieren wollen.

    Köhler: Herr Eilenberger, erlauben Sie mir, dass ich Sie ein bisschen ärgere. Sie sagen, an den Alltag wollen wir heran, Philosophie und Magazin muss kein Widerspruch sein. Was erwidern Sie jemand, der sagt, ja das genau ist ja das Problem, Magazin-Philosophie zu betreiben? So eine Art Möwe Jonathan mit Empathie-Kitsch, das ist ja sehr in im Moment, da gibt es einen Philosophen, der heißt Precht, der verkauft eineinhalb Millionen Bücher, der ist ein Star, der "Spiegel" hat dazu Themen gemacht, Philosoph to go. Kurz: Ich ärgere Sie und sage, was erwidern Sie jemand, der sagt, Sie arbeiten nur mit an der Fassade des Täuschungsgeschäfts?

    Eilenberger: Ich glaube, dass das Bedürfnis nach Philosophie ein sehr ernstes und ein sehr wichtiges und ein steigendes Bedürfnis in unserer Gesellschaft ist, und das hängt insbesondere, denke ich, auch mit dem Wegfall von klassischen Autoritäten zusammen – sei es die Religion, sei es die Politik und vielleicht jetzt am aktuellsten der Wirtschaft. Es gibt ein großes Bedürfnis nach Wahrhaftigkeit, es gibt ein Bedürfnis nach Orientierung und es gibt auch ein Bedürfnis nach der Nähe eines freundschaftlichen Gespräches, und ich glaube, Philosophie, die gelingt, kann das bieten und hat es immer geboten.

    Köhler: Also ist das eher eine Antwort auf so was wie Traditionslosigkeit, Bindungslosigkeit in der Gesellschaft, Fragen von Verbindlichkeit zu klären?

    Eilenberger: Es geht sicher auch um Verankerung in einer Tradition. Wenn Sie beispielsweise Zeitschriften wie "Landlust" erwähnen, da geht es um die Hände, die in der Erde greifen, eine gewisse Rückkehr zu Orten, die Sicherheit stiften, und ich glaube, auch der Drang zur Philosophie ist ein Wunsch nach Tiefe und Verankerung und danach, die eigenen Fragen ernst zu nehmen. Und das ist etwas, was ich in der Medienlandschaft spüre, dass sich die Leser gezielt unterfordert finden und ihre eigenen Fragen nicht ernst genommen werden, und unser Magazin erhebt den Anspruch, genau das zu tun.

    Köhler: Wenn Hegel mal sagte, Philosophie ist ihre Zeit in Gedanken gefasst, dann haben Sie was vor, die Philosophie mal wieder von einem Gedanken erfassen zu lassen?

    Eilenberger: Nein. Das Hegel-Zitat, die Philosophie sei die Zeit in Gedanken gefasst, das passt uns sehr gut, denn es ist tatsächlich so, dass ich glaube, dass die Philosophie in jeder Beziehung in einem sehr breiten Spektrum ihre Zeit erfassen kann und vor allem neue Perspektiven auf den Alltag gewinnen kann. Ich vergleiche es immer mit dem Kinderspiel, "Ich sehe was, was du nicht siehst", und ein Philosoph ist jemand, der dieses Spiel mit sich selber spielt.

    Köhler: Stimmt es, dass Sie mit 100.000 Exemplaren rauskommen?

    Eilenberger: Das ist richtig, denn ich glaube ganz tatsächlich, dass die Anzahl der Menschen, die an einer informierten und erwachsenen Ansprache interessiert sind, in diesem Land mindestens 100.000 Menschen beträgt.

    Köhler: Würden Sie sich richtig wiedergegeben fühlen, wenn Sie sich bemühen, in einem journalistischen Sinne einen magazinartigen Beitrag zur Lebenskunst zu führen?

    Eilenberger: Ja, und ich denke, man kann auch ganz klassisch mit der Aufklärung sagen, dass wir das Ziel verfolgen, die Menschen aus einer vermeidbaren Unmündigkeit zu befreien.

    Köhler: ... , sagt Wolfram Eilenberger vom "Philosophie Magazin", der Chefredakteur. Und zeitgleich erscheint in Hamburg ebenfalls ein Philosophie-Journal, es heißt "Hohe Luft" und wird morgen in unserer Sendung "Corso" um 15 Uhr vorgestellt und besprochen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.