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Die falschen Argumente der Banklobbyisten

Folgt der einen Bankenkrise bald die nächste? Durchaus denkbar, sagen die beiden Ökonomen Abnar Admiti und Martin Hellwig. Viele Behauptungen führender Bankmanager und Experten hätten ebenso viel Substanz wie die neuen Kleider des Kaisers in Andersens Märchen.

Von Caspar Dohmen | 11.11.2013
    "Trotz der großen Kosten, die die Finanzkrise von 2007 bis 2009 verursacht hat, sind die Anstrengungen zur Reformierung des Finanzsystems erstickt worden. Hier hat die Politik versagt. Diejenigen, die am Status Quo nichts ändern wollen, haben die Debatte beherrscht; diejenigen, die für wirksame Reformen plädiert haben, fanden zu wenig Gehör."

    Schreiben die beiden Autoren Anat Admati und Martin Hellwig. Sie fällen ein niederschmetterndes Fazit über die politischen Konsequenzen, welche die Regierungen in den USA und Europa bislang aus der Finanzkrise gezogen haben. Für sie offenbart sich eine erschreckende Diskrepanz zwischen populärer Schelte an gierigen Bankern und einer tatsächlichen Bereitschaft der Politik, die Risiken für die Steuerzahler in Zukunft zu begrenzen. Die beiden Spitzenökonomen lassen keinen Zweifel daran, dass es bei einer erneuten Bankenkrise noch schlimmer kommen könnte. Denn einige große Banken sind noch größer geworden.

    "Ihre Rettung könnte ein Land völlig ruinieren."

    Die Autoren beschreiben, mit welchen Mitteln die Bankenlobby Reformen immer wieder blockiert. Ihre Vertreter schafften es regelmäßig, das Bankwesen als etwas Besonderes darzustellen, das ganz anderen Regeln folge als die normale Wirtschaft. Solange Banken aufgrund dieses Mythos anders behandelt werden als gewöhnliche Unternehmen, kann sich nach Ansicht der Autoren nichts verändern. Zornig sind die Wissenschaftler darüber, dass die Banken mit ihren Argumenten auf beiden Seiten des Atlantiks die Auseinandersetzungen bestimmen.

    "Wer diesen Mythos und die Behauptungen, die sich darauf gründen, infrage stellt, setzt sich dem Risiko aus, als inkompetent abgestempelt und aus der politischen Diskussion ausgeschlossen zu werden. Jedoch haben viele Behauptungen führender Bankmanager und Bankexperten ebenso viel Substanz wie die neuen Kleider des Kaisers in Andersens Märchen."

    Nach der Lektüre dieses fulminanten Sachbuchs sieht jeder Leser, wie argumentativ nackt die Banker tatsächlich dastehen. Die beiden Wissenschaftler zertrümmern den Mythos mit ihren klaren und flüssig geschriebenen Analysen. Normalerweise verfassen die beiden Fachartikel. Diesmal wollten sie ein gut verständliches Buch für den normalen Leser schreiben. Diese Aufgabe meistern sie bravourös.

    Banken nahezu ohne Eigenkapital
    Sie schärfen den Blick ihrer Leser für die falschen Argumente der Banklobbyisten. Populär ist beispielsweise die Behauptung von Interessenvertretern: Wenn die Regierungen den Banken vorschreiben, ihr Geschäft mit mehr Eigenkapital zu unterlegen, müssten die Institute die Kreditvergabe drosseln. Das ist unwahr. Schließlich ist das Eigenkapital einer Bank keine fixe Größe. Ein Institut kann es am Kapitalmarkt aufstocken, indem es Aktien oder Anleihen herausgibt.

    "Wenn sie ein Haus kaufen wollen und wollen einen Baukredit, guckt die Bank sich doch an, wie viel Eigenbeitrag können sie leisten und was ist die Schuldenbelastung, die auf sie zukommt, bei der Bank gibt es niemanden, der diese Funktion ausübt,"

    schildert Martin Hellwig die Regeln, die Banken anwenden, damit kein Kunde das tun kann, was sie selbst tun: unkontrolliert Schulden machen. Bei jedem Industriebetrieb gilt eine hohe Eigenkapitalquote als ein Ausweis besonderer Solvenz. Große Banken hatten dagegen vor der Finanzkrise Eigenkapitalquoten von weniger als drei Prozent, 30 Prozent gelten bei Industrieunternehmen als gesund. Die Autoren halten eine deutliche Aufstockung des Eigenkapitals bei Banken für notwendig. Nur so könnten sie im Krisenfall mehr Risiken selbst tragen.

    Die beiden Wissenschaftler verweisen immer wieder auf die Verantwortung der Politik für die Bankenkrise in Europa.

    "Bankaufsicht und Bankaufsichtsregeln sind eine merkwürdige Mischung aus Dingen, die die Sicherheit der Bank verbessern und Dingen, die den Interessen der Politik entsprechen."

    Deutlich wird dies am Zentralbank-Instrument der Mindestreserven.

    "Mindestreserven. Wir stellen uns vor, Mindestreserven sind dafür da, dass die Bank auch sicherstellt, dass sie genügend Bargeld hat, wenn die Einleger etwas abheben wollen. Aber die Mindestreserven stehen dafür ja gar nicht zur Verfügung, sondern Mindestreserven sind das, was ich haben muss, um die Aufsicht zu befriedigen. Mindestreserven sind im Prinzip unverzinsliche Kredite, der Bank an die Zentralbank."

    In Deutschland hat die Politik vor allem eine unrühmliche Rolle bei den Landesbanken gespielt. Als Brüssel Reformen bei den privilegierten öffentlichen Instituten verlangte, handelte Berlin lange Übergangsfristen für Staatsgarantien aus. Diese Zeit nutzten die Landesbanken, um sich massenhaft günstig Geld am Markt zu pumpen und dieses beispielsweise in US-Immobilienmarktpapiere zu investieren. Zunächst brachten diese Arbitrage Erträge, über die sich auch die öffentlichen Eigentümer freuten. Dann kam die Finanzkrise. Jetzt rächte sich das Vorgehen. Allein die WestLB kostete den Steuerzahler seit 2001 mehr als 20 Milliarden Euro. Zur jetzigen Lage der deutschen Banken sagt Martin Hellwig:

    "Das zentrale Risiko ist, wir haben zu viele Banken, die kein Geld verdienen."

    In der Tradition der Aufklärung
    Hellwig leitet das Max-Planck-Institut für Gemeinschaftsgüter in Bonn. Gemeinschaftsgüter, dazu kann man saubere Luft zählen, einen Markt ohne Kartelle oder eben auch stabile Finanzmärkte. Zuvor forschte er an den US-Universitäten Harvard, Princeton und am MIT. Seine Kollegin Admati lehrt in Stanford. Sie war es auch, die die Idee für das Buch hatte, aus Ärger über die Krisenbekämpfung in den USA. Die beiden stehen in der besten Tradition der Aufklärung. Sie entzaubern auf bestechende Art und Weise die Mythen über das Bankwesen. Ihr großes Verdienst ist, dem Leser eine Grundlage dafür zu verschaffen, sich in die Gestaltung des Bankwesens einzumischen. Das einzige Manko ist vielleicht, dass das Buch erst jetzt erschienen ist. Fünf Jahre nach dem Ausbruch der Krise ist das Interesse vieler Bürger an dem Thema abgeflaut, was auch die weitgehende Auflösung der Occupy-Bewegung zeigt. Geändert hat sich allerdings wenig. Nach der Lektüre teilt auch der kritische Leser das Fazit von Hellwig und Admati, dass es anders geht:

    "Wir können ein Finanzsystem haben, das der Wirtschaft wesentlich besser dient als das System, das wir haben – und das, ohne dass wir ein Opfer dafür erbringen müssen. (...) Das entscheidende Element, das nach wie vor fehlt, ist der politische Wille."


    "Des Bankers neue Kleider. Was bei Banken wirklich schief läuft und was sich ändern muss"
    FinanzBuch Verlag, 528 Seiten, 24,99 Euro, ISBN: 978-3-898-79825-9


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