Freitag, 19. April 2024

Archiv


"Die FDP ist ein notwendiges Korrektiv"

Dank der guten Ergebnisse der schwarz-gelben Politik hätten sich Spielräume in den Sozialkassen ergeben, meint FDP-Generalsekretär Patrick Döring. Dennoch bestehe seine Partei auf einer Effizienzprüfung von neuen Leistungen - auch beim Betreuungsgeld.

Fragen von Dirk Müller an Partick Döring | 23.10.2012
    Dirk Müller: Gar nicht so einfach zu entscheiden, wo man anfangen soll: Betreuungsgeld oder Erziehungsgeld, die Rente oder die Praxisgebühr. An diesem Wochenende ist noch einmal deutlich geworden, wie weit Union und FDP auseinanderliegen in wichtigen zentralen politischen Fragen, die die Koalition schnell lösen muss, denn im kommenden Jahr wird Dauerwahlkampf sein und dann wirbt man in erster Linie für sich, löst aber ungern noch so nebenbei Probleme. Diese Woche ist entscheidend für die schwarz-gelbe Regierungskoalition, sagt Patrick Döring, Generalsekretär der Liberalen. Er ist jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen!

    Patrick Döring: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Döring, warum ist die FDP immer wieder Störenfried?

    Döring: Nein, die FDP ist notwendiges Korrektiv, um Fehlentwicklungen in der Politik, auch der gemeinsamen Koalition zu vermeiden. Wir wollen die sprudelnden Steuereinnahmen nutzen, um auf Schulden verzichten zu können. Wir mahnen in Europa Konsolidierung an. Da sollten wir in guten Zeiten mit gutem Beispiel vorangehen.

    Müller: Und Korrektive, die Sie fordern, wie Sie sagen, laufen Sonntags über die "Bild"-Zeitung?

    Döring: Nein. Wir sind ja in einigen Themen seit Längerem im Gespräch, aber eben auch mit unterschiedlicher Akzentuierung. Die goldenen Regeln unseres gemeinsamen Koalitionsvertrages mit der Union von 2009 weisen eben auch den Finanzierungsvorbehalt aus, und auf nichts anderes hat Philipp Rösler hingewiesen. Beim Betreuungsgeld wünschen wir uns eine Bildungskomponente und eine solide Gegenfinanzierung. Eine neue Leistung zulasten der steigenden Neuverschuldung können wir uns nicht vorstellen in diesen Zeiten.

    Müller: Es kann sich ja auch niemand, der nicht ganz so tief drinsteckt in der Thematik, vorstellen, dass man, wenn man neu verschuldet ist mit vielen, vielen Milliarden, auch wenn es weniger ist als in den vergangenen Jahren, dann irgendwo noch eine Finanzierbarkeit herbekommt. Wo soll die herkommen?

    Döring: Nun, zunächst haben wir ja die Situation, dass wir zunehmend steigende Steuereinnahmen haben. Das ist das Verdienst aller Partner in der Koalition, weil wir mit guter Wirtschaftspolitik uns auch neue Spielräume erarbeitet haben. Deshalb sind wir ja überhaupt in der glücklichen Lage, zum Beispiel auch in der Krankenversicherung darüber zu diskutieren, wie wir die erarbeiteten Überschüsse an die Versicherten zurückgeben können. Das ist das gemeinsame Ergebnis guter gemeinsamer schwarz-gelber Politik. Auch das darf man gelegentlich betonen. Und dass wir überhaupt in diese Lage kommen, ist ja nicht so verkehrt. Als wir 2009 die Gesundheitskassen übernommen haben beispielsweise, waren die mit neun Milliarden im Defizit. Also es hat sich objektiv etwas verbessert und deshalb gibt es Spielräume in den Sozialkassen, auch in der öffentlichen Hand noch weiter auf neue Schulden verzichten zu können, und da, bin ich ganz sicher, kommen wir zu guten Ergebnissen.

    Müller: Wer FDP wählt, der weiß, weil er der FDP vertraut, dass, wenn Geld übrig ist, das immer zur Schuldentilgung benutzt wird. Ist das diesmal anders?

    Döring: Nein, wir wollen ja genau das erreichen. Wir wollen unsere Neuverschuldung so niedrig wie möglich 2013, 2014 darstellen. Jedermann weiß, dass wir wegen der Stabilisierung unserer Währung auch besondere Effekte zu schultern hatten und haben. Darüber hinaus müssen wir aber eben schauen, dass wir strukturell unseren Bundeshaushalt in Ordnung bringen. Darum haben wir die sprudelnden Steuereinnahmen eben nicht für neue Leistungen verwendet, auch in den vergangenen Jahren, sondern moderat die Belastung der arbeitenden Mitte der Bevölkerung abgesenkt und unsere Neuverschuldung reduziert. Das ist der richtige Weg, der übrigens auch Wachstum schafft, und das ist ja der Auslöser für die gute Situation, in der wir uns befinden.

    Müller: Wie glaubwürdig, Herr Döring, ist das? Man hat so viel eingenommen und man wird so viel einnehmen wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik, also Steuereinnahmenüberschüsse, und dennoch haben wir Neuverschuldung.

    Döring: Nun ja, wir haben eben besondere externe Effekte zu schultern. Wir haben infolge der tragischen Ereignisse von Fukushima uns energiepolitisch komplett neu orientiert, das verlangt auch gewaltige Anstrengungen, auch der öffentlichen Hand, und wir haben mit der Stabilisierung unserer Währung und der Stabilisierung unserer Finanzwelt zusätzliche Belastungen zu schultern gehabt.

    Müller: Bezahlt das denn nicht der Verbraucher, der Steuerzahler, Energiepolitik?

    Döring: Ja, natürlich auch. Aber wir sehen ja, dass wir gerade auch bei den Rahmenbedingungen als öffentliche Hand zusätzliche Aufgaben schultern müssen, zum Beispiel die Frage, wie wir den Energiebedarf im Bereich der Wärme über zusätzliche Programme zur energetischen Sanierung unseres Gebäudebestandes – da tut die KfW viel, auch das ist Steuergeld – schultern müssen, damit wir auch hier effizienter werden. Also insgesamt, sage ich, wenn man diese externen Effekte mal nicht zu sehr ausblendet, aber wenigstens mit berücksichtigt, sind wir auf einem guten Weg Richtung schwarzer Null. Das hätte uns niemand zugetraut. Der Superökonom Peer Steinbrück hat als Bundesfinanzminister 2009 für die Wahlperiode, in der wir uns jetzt befinden, mehr als 90 Milliarden mehr Schulden vorhergesagt, auf die konnten wir schon mal verzichten, das ist doch schon mal was.

    Müller: Dann reden wir über den nächsten megaexternen Effekt: das Betreuungsgeld. Einige Milliarden kommen da auf die Kasse zu. Woher, jetzt noch mal konkret die Frage, wollen Sie dieses Geld denn nehmen?

    Döring: Zunächst ist die Ausgestaltung des Betreuungsgeldes zu diskutieren. Wir wünschen uns dort eine Betonung, Mehrbetonung von Bildung, anstatt nur von Betreuung. Und diese zusätzliche Milliarde an Ausgaben, die da erwartet wird – wir wissen ja gar nicht, wie viele Eltern das in Anspruch nehmen würden -, die kann man gegenfinanzieren auch aus dem Bundeshaushalt. Es ist möglich und ich bin ganz sicher, dass diejenigen, die dieses Betreuungsgeld einführen wollen, dort auch aus ihren Ressorts kluge Vorschläge machen werden.

    Müller: Das heißt, Sie sehen da irgendwo noch eine Milliarde? Dann wäre das ja alles völlig unproblematisch.

    Döring: Deutschland ist das Land, das am meisten familienpolitische Leistungen an die Bürgerinnen und Bürger auszahlt.

    Müller: ... und dafür am wenigsten Kinder bekommt.

    Döring: Genau. Wir haben im Koalitionsvertrag erkannt, dass wir dringend auch evaluieren müssen, warum ist es eigentlich so, dass wir die meisten kinderpolitischen Leistungen haben, aber am wenigsten unser Ziel erreichen, nämlich dass die Geburtenrate sich stabilisiert, oder gar steigt. Diese Effizienzprüfung ist zugesagt, ist Teil des Koalitionsvertrages, auch die steht noch aus. Wenn man logisch vorgeht, dann muss man eigentlich die Effizienzprüfung der Leistung abwarten, bevor man eine neue Leistung erfindet.

    Müller: Das heißt, das will die FDP tun? Das heißt, bevor das Ergebnis nicht da ist, gibt es auch keinen Beschluss zugunsten des Betreuungsgeldes?

    Döring: Zumindest sollten wir keine neue Leistung einführen, wo es am Ende zu einer Erhöhung der Neuverschuldung kommt. Aber das ist eine goldene Regel des Koalitionsvertrages, an die wir uns alle gemeinsam halten wollen.

    Müller: Also dann brauchen wir uns, sprich der Steuerzahler, da keine Sorgen zu machen, dass das passiert?

    Döring: Das ist unser Ziel, genau.

    Müller: Reden wir über das weitere Ziel: Sie wollen den Bürgern, den Patienten, den Versicherten Geld zurückgeben. Praxisgebühr – werden Sie das durchsetzen können?

    Döring: Zunächst noch mal: Es ist erfreulich, dass wir überhaupt in dieser glücklichen Lage sind, dass die Gesundheitskassen wieder Überschüsse haben, und wir wollen einen Teil dieser Mittel den Versicherten zurückgeben. Wir bleiben dabei: Im Koalitionsvertrag ist gemeinsam verabredet, wir wollen die Praxisgebühr auch von Bürokratiekosten befreien, denn in der Praxis löst das ja auch eine gewaltige Belastung aus, und die bürokratieärmste Erhebung der Praxisgebühr ist die nicht mehr Erhebung. Deshalb bleiben wir bei unserem Vorschlag. Ich bin auch ganz sicher, dass wir damit überzeugen können.

    Müller: Jetzt ist gestern diskutiert worden, inwieweit eine Paketlösung ansteht. Da war von Deal die Rede, das hört man nicht gerne in der Politik. "Wir dealen nicht", sagte der CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe, und meint damit dann doch ein Paket. Das heißt, welche Zugeständnisse können Sie machen?

    Döring: Hermann Gröhe hat recht: Jedes Thema jedes Koalitionspartners muss für sich stehen und für sich überzeugen. Und deshalb wirbt jeder Partner für seine Projekte, die aus sich heraus überzeugen können, und daraus gemeinsam schaffen wir viele Problemlösungen und dafür sind wir gewählt. Die Themen überzeugen für sich und stehen für sich und wir werden zu jedem einzelnen Thema uns gegenseitig überzeugen können. Deshalb ist der Begriff eines "wer gibt wem" ein falscher Begriff, auch eine falsche Vorstellung von Politik. Wir haben Probleme identifiziert, die Union, CDU/CSU, und auch die FDP, und die wollen wir gemeinsam lösen, und deshalb wird jeder Partner seinen Partner überzeugen müssen zu jedem einzelnen Thema.

    Müller: Wissen Sie, Herr Döring, insgeheim jetzt schon, dass bei der Rente alles beim Alten bleibt, weil Sie sich nicht einigen können?

    Döring: Zunächst muss man die rentenpolitischen Vorstellungen sortieren.

    Müller: Die kennen wir ja beide, die kennen wir ja alle!

    Döring: Wir haben bei der Union ganz unterschiedliche Akzentuierungen gesehen. Ich glaube, dass wir beim Thema flexibler Renteneintritt, Verbesserung der Hinzuverdienstmöglichkeiten, verbesserte Anrechnung der privaten Vorsorge einen Fortschritt machen können. Das ist auch ein wichtiger erster Schritt, um Altersarmut in der Zukunft zu vermeiden. Veränderungen an der Rentenformel muss man sehr wohl austarieren, auch sehr wohl berechnen. Wenn da Vorschläge verschriftlicht auf dem Tisch liegen, kann man sich das einmal anschauen. Aber dann muss man die Belastungen auch für die nächsten 25 Jahre anschauen. Unser Rentenversicherungssystem ist hoch sensibel, es genießt aber eben auch hohes Vertrauen. Deshalb ist jede Veränderung dort nicht mal eben so zu machen, sondern muss schon sehr sorgfältig gewogen werden.

    Müller: Zum Schluss noch mal die Frage: Wird es eine Veränderung geben?

    Döring: Ich höre, das ist ein Wunsch aus der Union, und deshalb werden wir uns hier genauso der Diskussion stellen und gemeinsam das Problem identifizieren und die Lösungsvorschläge debattieren. Wir sind gewählt, um Lösungen zu finden, und das wird uns auch bei diesem wichtigen Thema gelingen.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk FDP-Generalsekretär Patrick Döring. Danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Döring: Ich danke Ihnen, Herr Müller. Auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.