Samstag, 20. April 2024

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Die fernen Inseln

Die fernen Inseln , so hat sich ein früher Reisender den Namen der Färöer - Inseln übersetzt. Das ist unzutreffend, denn in Wirklichkeit bedeutet er Schafinseln, doch zugleich hatte er auch recht. Denn es ist eine Landschaft, die sich der durchschnittliche, also vielgereiste Mitteleuropäer kaum vorstellen kann. Klaus Böldl ist unterwegs in der Inselwelt am nördlichen Rand unseres Kontinents, auf Grönland, den Färöem, vor allem auf Island. Auch seine bisherigen Bücher sind in Skandinavien angesiedelt, und der äußerste Norden bildet in ihnen so etwas wie den Fluchtpunkt. Dieses Mal gibt es keine fiktiven Figuren in seinem Bericht, der kein Reisebericht ist, sondern eine Erzählung über den Sog, den diese Landschaften auf den Skandinavisten und Schriftsteller Klaus Böldl ausüben. Es ist eine Faszination der Ränder, als ließe sich von dort aus, vom Rand Europas oder gar der Welt, diese neu in den Blick nehmen, aus dem Kontinuum des Alltags herausnehmen und in ein anderes, weit umfassenderes Kontinuum hineinstellen ohne dieses definieren zu wollen.

Joachim Büthe | 23.07.2003
    In Südlich von Abisko wohnt der Held am Rande von Stockholm, Klaus Böldl selbst macht den Stadtrand von Reykjavik zum Ausgangspunkt seiner Erkundungsfahrten, ein Gebiet, das sich aus dem Stadtzusammenhang schon zu lösen beginnt. Es ist eine unspektakuläre Gegend zwischen Stadt und Fjord, in der jedoch die Lichtverhältnisse ständig wechseln und die Farben des Wassers in ihrer Vielfalt kaum auszurechnen sind.

    Klaus Böldl kontrastiert und ergänzt seine Landschaftsbeschreibungen mit Geschichten aus der Geschichte der Inseln, mit alten mythischen Erzählungen und, wenn der Funke überspringt, dann schrumpfen die Zeiträume, dann ist seitdem nicht viel geschehen, auch wenn die heutigen Bewohner der historischen Orte von der Überlieferung nichts mehr wissen. Es ist auch ein Buch über den Prozess der Erinnerung, über ihr traumhaftes Hervorkommen und über das Glück des Findens, z.B. einer Landschaft, von der man schon als Kind geahnt hat, dass es sie geben muss. Eine plötzliche Übereinstimmung, die einhergeht mit dem gedankenverlorenen Verschwinden in der Gleichförmigkeit der Landschaft.

    Doch zugleich kann in dieser Landschaft sehr viel geschehen. Böldl besucht eine Insel vor Island, auf der sich im Jahr 1973, nach Jahrhunderte währender Ruhe, ein gewaltiger Riss in der Erde auftat, aus dem die unvorstellbare Menge von 250 Millionen Kubikmetern Lava herausquoll und die Umgegend in eine Unwelt verwandelte. Das Gefühl, sich am Ende der Welt zu befinden, erfasst Klaus Böldl gleich an mehreren Orten und trägt zu seiner Faszination bei. Es ist eine Weltgegend, die seit Jahrhunderten besiedelt ist, wenn auch spärlich. Sie hat eine lange Geschichte und vermittelt doch den Eindruck, als werde dies von der Natur nur widerwillig geduldet. Das gilt für das feurige Island und noch mehr für die felsigen Färöer, die Inseln der abgebrochenen Bauvorhaben.

    Die fernen Inseln ist kein schwer lesbarer Text, sein Programm ist dennoch sehr anspruchsvoll. An seinem Anfang steht ein Zitat von Cezanne: "Aber ein grüner Flecken, passen Sie auf, das genügt, um uns den Eindruck einer Landschaft zu geben." Klaus Böldls Farbrepertoire reicht von porzellanweiß über die reichhaltigen Grün- und Blautöne bis zu jettschwarz, und diese Wortzusammensetzungen zeigen bereits sein bevorzugtes Stilmittel. Es ist der Vergleich. Etwas ist wie. Nun ist das Metapherngebiet eine mitunter recht sumpfige Gegend, in der sich Klaus Böldl trittsicher bewegt, auch wenn er manche Wege mehrfach geht und die Vergleiche sich zu wiederholen beginnen. Vielleicht stößt er in solchen Momenten an die Grenzen seines Repertoires. Vielleicht ist dieses Mittel aber einfach nicht geeignet, die so inkommensurablen Inseln zum Sprechen zu bringen. Jedenfalls ist es eher der Widerhall der Landschaft in den Träumen des Erzählers, der den Funken der Faszination überspringen lässt.