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"Die Finanzmärkte drängen die Regierungen massiv in die Ecke"

Peter Bofinger ist positiv überrascht von der guten wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands in der Euro-Krise. Er befürwortet Euro-Bonds, warnt aber vor Euphorie und benennt das Risiko für 2011: die Finanzmärkte selbst.

Peter Bofinger im Gespräch mit Jürgen Liminksi | 27.12.2010
    Jürgen Liminski: Die Zeit zwischen den Jahren beschert den krisengeschüttelten Finanzpolitikern und Finanzexperten eine Verschnaufpause. Aber das nächste Jahr kommt bestimmt, und, wenn man den Prognosen trauen kann, mit ihm die Rückkehr der Krise. Für diesen Fall hat man sich in der Runde der führenden EU-Politiker eine Krisenstrategie zurechtgelegt, und die beschreibt der Präsident des Europäischen Rates, Herman Van Rompuy so:

    Herman Van Rompuy: Wir haben den politischen Willen, alles Erforderliche zu tun, um die Stabilität der Eurozone sicherzustellen. Unsere gemeinsame ökonomische Strategie ruht auf drei Säulen: Haushaltskonsolidierung, strukturelles Wirtschaftswachstum und entschlossenes Krisenmanagement.

    Liminski: Herman Van Rompuy, Präsident des Europäischen Rates. Wird diese Drei-Säulen-Theorie funktionieren? Brauchen wir nicht doch eine gemeinsame Wirtschaftsregierung oder einen härteren Stabilitätspakt? Was ist, wenn ein großes Land wie Italien oder Spanien in die Krise taumelt? Zu diesen und anderen Fragen bekommen wir jetzt weisen Rat. Ich begrüße Professor Peter Bofinger, er lehrt Volkswirtschaft an der Uni Würzburg und ist Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, im Volksmund bekannt als die fünf Weisen. Guten Morgen, Herr Bofinger!

    Peter Bofinger: Guten Morgen, Herr Liminski!

    Liminski: Herr Bofinger, die Wirtschaft brummt, der Konsum boomt. Warum kann man sich nicht zurücklehnen und sagen, die Krise ist vorbei?

    Bofinger: Na ja, man muss sehen, die Entwicklung in diesem Jahr ist enorm erfreulich – und das hat natürlich auch damit was zu tun, dass es im Jahr davor enorm in den Keller gegangen ist, also da haben wir starke Aufholeffekte, aber wir haben sicher auch positive Entwicklungen bei der Binnennachfrage. Auf der anderen Seite sollte man, glaube ich, jetzt auch nicht in Euphorie ausbrechen, denn ich kann mir schlecht vorstellen, dass wir in Deutschland eine Insel der Seligen im nächsten Jahr sein werden, wenn in der Welt ansonsten die Wirtschaft doch nicht so toll läuft, und es gibt ja doch wichtige Märkte, wo es eher düster aussieht, ich denke an die USA, ich denke an Großbritannien, ich denke an den Euroraum, und der Lichtblick, klar, das ist Asien, das ist auch Brasilien. Aber ob das ausreicht, um insgesamt bei uns eine starke Dynamik aufrechtzuerhalten, da muss man halt immer doch ein Fragezeichen anbringen.

    Liminski: Es gibt auch wieder Gerüchte um eine Umschuldung Griechenlands – eigentlich logisch, das Sparen schränkt ja auch die Konsumfreude ein. Spart Griechenland sich tot?

    Bofinger: Also die Strategie in Griechenland ist sehr ambitioniert, um das mal positiv zu formulieren. Es ist ein ganz harter Sparkurs, und man muss schon die Frage stellen, ob man das Land damit nicht überfordert und vor allem auch sehen, dass die Erfolge dieser Strategie ja sehr, sehr langfristig sind, denn selbst wenn alles gut geht, wird in Griechenland in den beiden nächsten Jahren die Arbeitslosigkeit deutlich ansteigen, und auch die Verschuldung wird noch weiter nach oben gehen, weil ja mit dem Programm erst einmal die zusätzlichen Schulden zurückgefahren werden, aber der Schuldenstand – und das ist ja diese ökonom-relevante Größe, also die Verschuldung bezogen auf die Wirtschaftsleistung –, das wird noch deutlich ansteigen, und bei alledem werden sich die Menschen dann in Griechenland in ein oder zwei Jahren fragen: Hat sich das überhaupt gelohnt, was wir da machen? Die Verschuldung steigt, die Arbeitslosigkeit steigt. Ist es überhaupt sinnvoll, dann weiter im Euroraum drinzubleiben? Und ich glaube, da sollte man sich schon Gedanken machen, wie man Lösungen findet, damit Griechenland diese schwierige Phase besser durchsteht.

    Liminski: Es gibt mittlerweile auch Zweifel an der Bonität Frankreichs. Die Kreditausfallversicherung für Staatsanleihen ist nur noch zu Rekordprämien zu bekommen. Sind die Südländer Europas besonders anfällig? Italien gehört ja auch noch dazu.

    Bofinger: Na ja, also man muss natürlich sehen, grundsätzlich haben die Märkte manisch-depressive Tendenzen: Nachdem sie jahrelang überhaupt keine Risiken gesehen haben, sehen sie heute Risiken unter jedem Kieselstein, und das ist eben einfach auch das Problem, wenn man jetzt zu sehr von den Finanzmärkten abhängig ist. Man kann es auch so formulieren: Nachdem die Regierungen in den Jahren 2007 und 2008 die Finanzmärkte gerettet haben, dreht sich das jetzt um und die Finanzmärkte drängen die Regierungen massiv in die Ecke.

    Liminski: Sie sagen, manisch-depressive Tendenzen bei der Bewertung. Nun gelten diese Länder aber auch als besonders streikfreudig. Kann es nicht sein, dass das auch zu sozialen Unruhen führt?

    Bofinger: Zunächst mal muss man ja sagen, dass Frankreich bisher gut durch die Krise gekommen ist. Frankreich ist ja auch ein Land, das insgesamt die letzten zehn Jahre sehr gut gemeistert hat, eigentlich weder über die Verhältnisse, noch unter den Verhältnissen gelebt hat. Also von daher finde ich das schon etwas doch problematisch, wenn ein solches Land nun auch in die Schusslinie der Finanzmärkte käme. Aber das ist eben das Risiko: Man kann bei den Märkten nichts ausschließen, aber bei Frankreich würde ich es doch für sehr, sehr unwahrscheinlich halten, dass das Land Finanzierungsprobleme bekommt.

    Liminski: Wäre denn eine europäische Wirtschaftsregierung mit einer engeren deutsch-französischen Verzahnung ein Weg zu mehr Stabilität für die Märkte? Darüber herrscht ja auch Uneinigkeit in der Koalition in Berlin.

    Bofinger: Also zunächst mal ist ja die Frage: Wo braucht man die engere Verzahnung? Für mich der wichtigste Punkt, der erstaunlicherweise wenig angesprochen wird, ist eine einheitliche integrierte Bankenaufsicht für den Euroraum, denn alle Probleme, die wir haben, beruhen zu 80 Prozent, zu 90 Prozent auf einem Versagen der Finanzmärkte, auch auf einem Versagen der Finanzaufsicht, und deswegen sollten alle Anstrengungen dahin gerichtet sein, dass wir im Euroraum eine einheitliche integrierte Bankenaufsicht haben, die auch Kenntnis hat über die Zahlen, über die finanziellen Verflechtungen. All das ist nicht da, das ist alles extrem fragmentiert. Man muss ja auch kritisch nach Berlin sagen: Es ist schon ein Armutszeugnis, dass in einer Situation, wo wir eine europaweite Aufsicht bräuchten, es in Deutschland nicht mal möglich ist, dass Bundesbank und BaFin, also die Aufsichtsbehörde, zusammengeführt werden, dass wir also in Deutschland zumindest eine Finanzaufsicht aus einer Hand haben.

    Liminski: Das heißt, Sie vermissen auch eine stärkere Beteiligung der Gläubiger an den Folgen der Krise?

    Bofinger: Ja, mit der Beteiligung der Gläubiger, das ist ja immer so leicht gesagt. Man muss ja fragen, wer die Gläubiger sind. Die Gläubiger, das sind zum großen Teil deutsche Banken, deutsche Versicherungen, und gerade bei den Banken ist es ja so, die haben ein Eigenkapital vielleicht von 3 Prozent bezogen auf ihre Bilanzsumme. Wenn man also unsere Banken jetzt beteiligt an Verlusten, die in Irland, in Griechenland oder in Spanien gemacht werden, dann bedeutet das, dass diese Banken sehr schnell an ihre Grenzen kommen und dass sehr schnell dann auch unser Staat wieder einspringen muss und dann unsere Banken wieder mit Steuergeldern am Leben halten muss.

    Liminski: Das heißt, die Eigenkapitaldecke soll größer werden? Da muss man drauf beharren?

    Bofinger: Da muss man auch drauf beharren. Das ist ja auch etwas, das ganz konsequent angegangen wird, aber man muss eben sehen, dass man nicht so schnell und leichtfertig diese Gläubigerbeteiligung ins Spiel bringen kann, wenn man nicht genau weiß, wie die finanziellen Verflechtungen im Euroraum sind. Und insgesamt glaube ich ist es wichtig, dass man eben alles tut, um die Stabilität des Euroraums in finanzieller Hinsicht zu stärken und möglichst diesen Euroraum gut abzusichern gegen alle Attacken der Finanzmärkte, mit denen man ja wirklich rechnen muss, denn das ist ja doch die große Erfahrung, die man in diesem Jahr machen musste: Man macht sich immer was vor und sagt, wir haben jetzt alles Notwendige gemacht, jetzt kann nichts mehr passieren – und das Problem dieser Politik ist, dass man eigentlich immer hinter den Finanzmärkten herhinkt und es nie schafft, mal den Finanzmärkten ein oder zwei Schritte voraus zu sein, um dann wirklich gewappnet zu sein, wenn die nächste Attacke der Finanzmärkte kommt.

    Liminski: Ein Stichwort für die Lösung der Krise oder für die Stabilisierung oder Beruhigung der Märkte ist in den letzten Wochen eher verhallt: Jean Claude Juncker hat sich dafür stark gemacht, und zwar mit diesen Worten:

    Jean Claude Juncker: Also ich bin der Meinung, dass diese Idee ihren Weg machen wird, ich werde mich aber jetzt nicht dazu versteigen, jeden Tag wieder mit der großen Glocke durch Europa zu reisen, um für diese Eurobonds zu werben. Die Idee liegt jetzt auf dem Tisch, einige werden sich damit beschäftigen.

    Liminiski: Jean Claude Juncker und die Eurobonds, das ist das Stichwort. Deutschland würde die Eurobonds 17 Milliarden Euro kosten, hat eine Zeitung ausgerechnet. Können wir uns das leisten, oder müssen wir für den Erhalt des Euro bluten?

    Bofinger: Also zunächst mal glaube ich ist der Eurobond eine Lösung, die tatsächlich den Euroraum in eine Situation versetzen würde, dass er nun wirklich nicht mehr von den Finanzmärkten bedrängt werden könnte. Mit der Emission von Eurobonds würde klargemacht, dass die Staaten in Europa zahlungsfähig bleiben und dass es eben nicht mehr möglich ist, einzelne Staaten in die Ecke zu drängen und auch mit extrem hohen Zinsen dann diese Staaten zu belasten. Die Frage: Was kostet uns das? Ich halte diese Berechnung für ziemliche Milchmädchenrechnung, dass man sagt, es kostet 17 Milliarden. Das hat man einfach so ausgerechnet, dass man sagt: Die Verzinsung des Eurobonds würde sich einfach als arithmetisches Mittel der Zinsen der nationalen Mitgliedsstaaten ergeben. Aber die sind nun mal in einzelnen Ländern sehr hoch, weil man da mit dem Risiko des Zahlungsausfalls rechnet. Bei einem Eurobond wäre der Zahlungsausfall so gut wie unwahrscheinlich, und deswegen glaube ich, dass er deutlich niedrigere Zinsen hat als der Durchschnitt. Die relevante Größe wäre eigentlich der Vergleich mit den amerikanischen Staatsanleihen, denn der Eurobond wäre dann neben den amerikanischen Staatsanleihen mit der größte Anleihemarkt der Welt. Und wenn wir jetzt den Euroraum mit den Vereinigten Staaten vergleichen, dann stehen wir bei allen Schwierigkeiten, die wir haben, stehen wir von den Grunddaten besser da. Die Neuverschuldung im Euroraum ist deutlich niedriger als in den USA, die Konsolidierungsanstrengungen sehr viel ehrgeiziger, die Europäische Zentralbank sehr viel stabilitätsorientierter als die Amerikanische Zentralbank. Das heißt also, von der Bonität, von der Glaubwürdigkeit wäre der Eurobond besser als ein USA-Bond, und das würde bedeuten, dass die Zinsen des Eurobond irgendwo in der Nähe der Bundesanleihe wären, das heißt also, wir würden da gar keine Verluste machen in Deutschland.

    Liminski: Mit anderen Worten: Sie sind für den Eurobond, weil das die Märkte beruhigen und den Euro stabilisieren würde?

    Bofinger: Ich glaube, auch wenn das in Deutschland nicht sehr populär ist, dass das die einzige Möglichkeit ist, wie man wirklich dafür sorgen kann, dass dieser Euroraum finanziell stabil in den beiden nächsten Jahren sein kann, und es ist gleichzeitig ein Beitrag dazu, dass die Länder, die sich ja wirklich stark bemühen – das muss man ja mal anerkennen, was in Griechenland oder auch in Portugal oder in Irland und Spanien gemacht wird –, dass diese Länder, die sich wirklich mit sehr harten Maßnahmen um die Stabilisierung der Lage bemühen, dass sie dann belohnt werden, indem ihnen der Zugang zu einer Finanzierung mit niedrigen Zinsen ermöglicht wird. Das wäre also so das Prinzip des Förderns und Forderns, fordern, was die Anpassungsprogramme angeht, aber fördern, indem man den Ländern den Zugang zu einer Finanzierung mit niedrigen Zinsen ermöglicht.

    Liminski: Der Eurobond als Lösung, aber wir sind noch lange nicht über den Berg. 2011 wird ein Jahr der Wahrheit. Das war hier im Deutschlandfunk Professor Peter Bofinger, einer der fünf Weisen. Besten Dank für das Gespräch, Herr Bofinger!

    Bofinger: Ja, gerne!