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"Die Frage der Haftung ist eine ganz zentrale"

Beim gescheiterten Drohnenprojekt Euro Hawk wirft Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt dem Verteidigungsministerium vor, Verträge zugunsten der Rüstungsindustrie auszulegen. Minister Thomas de Maizière (CDU) müsse beantworten, warum der Steuerzahler zahlen solle und das Herstellerkonsortium draußen bleibe.

Katrin Göring-Eckardt im Gespräch mit Peter Kapern | 06.06.2013
    Katrin Göring-Eckardt, Spitzenkandidatin der Grünen
    Katrin Göring-Eckardt, Spitzenkandidatin der Grünen (picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini)
    Peter Kapern: Wochenlang hat er detaillierte Auskünfte verweigert, mit Verweis darauf, dass in seinem Ministerium diese Details erst noch zusammengetragen werden müssen: Verteidigungsminister Thomas de Maizière. Gestern nun war für ihn der Tag der Tage. Vor dem Verteidigungsausschuss, dem Haushaltsausschuss im Plenum des Bundestages und schließlich noch im Fernsehen musste er Rede und Antwort stehen.
    Bei uns am Telefon ist nun Katrin Göring-Eckardt, die Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen für die kommenden Bundestagswahlen. Guten Morgen!

    Katrin Göring-Eckardt: Schönen guten Morgen, Herr Kapern. Ich grüße Sie.

    Kapern: Frau Göring-Eckardt, wir wissen nun, wie es zum Drohnen-Debakel gekommen ist. Sind Sie mit den Erklärungen des Ministers von gestern zufrieden?

    Göring-Eckardt: Zufrieden kann man damit noch nicht sein. Deswegen wird ja der Ausschuss auch am Montag noch eine weitere Befragung des Ministers haben. Die Mitglieder des Ausschusses haben die Unterlagen ja auch erst gestern Früh bekommen und insofern ist jetzt weiteres Auswerten, ist weiteres Nachfragen angesagt und es gibt eine ganze Menge Fragen, die auch gestern selbstverständlich übrig geblieben sind. Der Bundesrechnungshof hat 2009, noch mal 2011 gewarnt. Da ist nichts passiert, sondern erst im Jahr 2012 gab es überhaupt eine Information. Die Frage der Haftung muss geklärt werden. Die Frage, warum bei einem anderen Drohnen-Projekt, dem vergleichbaren NATO-Projekt, die Gelder einfach freigegeben wurden, ohne die Probleme zu thematisieren, ist mindestens genauso wichtig.

    Kapern: Sind das alles Fragen, die den Minister als Minister noch in Schwierigkeiten bringen könnten?

    Göring-Eckardt: Na ja, zunächst mal geht es nicht um die Person, sondern es geht um die Verantwortung und die Verantwortung dann natürlich auch des Ministers, und es geht auch ...

    Kapern: Ich dachte immer, der Minister wäre verantwortlich.

    Göring-Eckardt: Ja genau! Und die Frage ist ja nicht, bringt das die Person in Schwierigkeiten, sondern die Frage ist, übernimmt Thomas de Maizière die Verantwortung für das Verschleppen auf der einen Seite, übernimmt er die Verantwortung auch für die Aufklärung. Das ist jetzt gefragt und darum geht es uns auch, die Frage zum Beispiel: Warum gibt es in den ganzen Verhandlungen nicht nur der letzten Wochen, sondern auch weit davor, keine Fragen danach, ob eigentlich Regressforderungen gemacht werden müssen, also der Steuerzahler soll zahlen, soll auch immer weiter zahlen, das Herstellerkonsortium ist draußen, und man hat den Eindruck, dass die Verträge im Bundesministerium immer zugunsten der Industrie ausgelegt werden. Das ist eine Frage, die muss der Minister definitiv beantworten. Er muss auch die Frage beantworten, warum er nicht dafür gesorgt hat, dass im Ausschuss, dass der Deutsche Bundestag informiert worden ist, bevor Global-Hawk, also dieses entsprechende Projekt der NATO, mit 483 Millionen Euro ausgestattet wird, ohne zu thematisieren, dass wir die Schwierigkeiten in Deutschland haben, was die Überflugsrechte angeht. Auch das ist in der Verantwortung des Ministers, zu der Zeit war er auch schon informiert, hat die Information nicht weitergegeben. Und manchmal muss man auch den Eindruck haben, warum ist das eigentlich nicht bei ihm angekommen, hat das auch damit zu tun, dass die Frage der Drohnen ihm so wichtig gewesen ist, dass im Haus auch niemand gesagt hat, Moment, damit haben wir riesige Probleme, und ein solches großes Projekt muss durchgezogen werden und dann informieren wir mal lieber nicht weiter. Es sind sehr viele offene Fragen, die geklärt werden müssen, und darum geht es jetzt in allererster Linie.

    Kapern: Frau Göring-Eckardt, von Oppositionspolitikern erwartet man gemeinhin in einer solchen Situation, dass sie vollmundig den Rücktritt des Ministers fordern. Warum fällt Ihnen das so schwer?

    Göring-Eckardt: Es fällt uns nicht schwer, sondern wir wollen, dass er Verantwortung übernimmt, und wir wollen die Fragen beantwortet haben. Darum geht es jetzt in dieser Phase und deswegen haben wir ja auch gesagt, wenn die Fragen nicht auf dem normalen Weg beantwortet werden können, dann muss man das mit einem weiteren Instrument, nämlich dem Untersuchungsausschuss, tun. Das ist nichts, was wir anstreben im Sinne von, darauf muss es hinauslaufen, sondern wir streben an, dass die Fragen wirklich detailliert beantwortet werden. Es gibt eine ganze Menge Informationen, die wir bereits haben, aber es gibt eben aufgrund dieser Informationen immer weitere offene Fragen, und dass der Rechnungshof so lange schon gewarnt hat und dass dann immer wieder nichts geschehen ist, ist eine der zentralen Fragen, die da dazugehört.

    Kapern: Aber lassen Sie mich noch mal nachfragen. Das was Sie bislang wissen und erfahren haben, reicht nicht, um an die Adresse des Verteidigungsministers eine Rücktrittsforderung zu formulieren?

    Göring-Eckardt: Es geht uns nicht darum, eine Rücktrittsforderung zu formulieren, sondern es geht uns darum zu sagen, welche Fragen müssen noch beantwortet werden. Ich habe einige genannt, die Frage der Haftung ist eine ganz zentrale. Und es geht uns zunächst mal darum, dass diese Fragen aufgeklärt werden, und Verantwortung des Ministers heißt im Moment, dass er die Fragen klärt. Welche Konsequenzen dann daraus gezogen werden müssen, das werden wir am Ende bewerten, aber nicht nach dem Motto, mit dem Rücktritt ist er dann draußen, sondern nach dem Motto, der Verantwortung muss sich dieser Minister jetzt stellen. Er hat vor zwei Jahren davon geredet, dass die Bundeswehr neu ausgerichtet werden muss, er hat vor zwei Jahren darüber geredet, dass es mehr Transparenz, mehr Offenheit, mehr direkte Beteiligung geben muss, und man fragt sich natürlich, was ist eigentlich in den zwei Jahren passiert, wenn er an keiner Stelle auch aktiv nachgefragt hat bei einem Projekt von dieser Größenordnung. Auch das muss er deutlich machen und deswegen wollen wir von ihm wissen, was ist seine Verantwortung dabei.

    Kapern: Aber wenn ein Minister ein solches Projekt anschiebt beziehungsweise begleitet in seiner Amtszeit, das bis jetzt schon weit über 600 Millionen gekostet hat, und sich nun herausstellt, er hat sich nie darum gekümmert, was den Fortgang dieses Projekts angeht, ist das nicht Grund genug für den Rücktritt?

    Göring-Eckardt: Das ist zunächst mal Grund genug, genau darzulegen, woran das gelegen hat, und die Verantwortung hat dieser Minister und das wollen wir auch von ihm hören, und dann kann man bewerten, wie das weitergehen soll. Das wollen wir auch, wir wollen uns da gar nicht vor drücken. Aber wir wollen ihn auch nicht aus der Verantwortung lassen, diese Fragen tatsächlich zu beantworten. Dazu gehören auch die Strukturfragen, von denen er gestern ja selbst geredet hat, innerhalb des BMVG, und auch da muss man in seiner Verantwortungszeit fragen, warum sind die eigentlich nicht angegangen worden, gerade bei einem solch großen Projekt. Und wenn man der Sache auch längerfristig auf den Grund gehen will, dann muss er jetzt diese Fragen beantworten, und aus dieser Verantwortung wollen wir ihn nicht rauslassen.

    Kapern: Sie haben eben, Frau Göring-Eckardt, noch mal angedeutet, dass es durchaus noch zu einem Untersuchungsausschuss in dieser Legislaturperiode kommen kann. Was soll der bringen so kurz vor der Bundestagswahl?

    Göring-Eckardt: Wenn die Fragen nicht auf andere Weise beantwortet werden können, dann muss man zu einem solchen Instrument greifen, und dann kann man auch nicht nach dem Motto vorgehen, jetzt ist Ende der Legislaturperiode, sondern wenn die Fragen jetzt stehen, dann müssen sie auch jetzt beantwortet werden. Das ist möglich, es ist auch möglich, dass Abgeordnete im Sommer arbeiten und sich dann mit diesen Fragen beschäftigen, und deswegen sagen wir, wenn die Fragen nicht anders beantwortet werden können – am Montag ist ja die nächste Gelegenheit dazu -, dann wollen wir zu diesem Mittel greifen, weil wir glauben, dass die Frage der Beschaffung innerhalb der Bundeswehr auch eine ist, die tatsächlich auf den Prüfstand gehört. Und wenn das so ist, dann wollen wir auch nicht, dass nach dem Motto, da sind ein paar Fragen beantwortet, andere sind halt offengeblieben, dann sehr schnell wieder in den gleichen Trott zurückverfallen wird. Dafür sind die Projekte zu wichtig, dafür sind sie zu groß, dafür kosten sie den Steuerzahler zu viel. Und man hat natürlich auch den Eindruck, jedes Projekt ist in der Vergangenheit immer und immer teurer geworden, auch weil es auf die Zeitschiene geschoben worden ist. Deswegen braucht es da auch eine grundsätzliche Aufklärung in dieser Sache, die aber spiegelbildlich für viele andere Beschaffungsprojekte ist.

    Kapern: Katrin Göring-Eckardt, die Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen für die kommenden Bundestagswahlen, heute Früh im Deutschlandfunk. Frau Göring-Eckardt, danke und einen schönen Tag.

    Göring-Eckardt: Herr Kapern, ich danke Ihnen auch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.