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"Die Frage ist, ob es auch ordentlich koordiniert ist"

Erstmals hungern über eine Milliarde Menschen: Zuviel, findet auch Bundesernährungsministerin Ilse Aigner von der CSU. Sie will weiterhin Millionen investieren - und macht sich für das Ziel, eine globale Partnerschaft für Landwirtschaft und Ernährungssicherung zu schaffen, stark.

Ilse Aigner im Gespräch mit Jochen Spengler | 16.11.2009
    Jochen Spengler: Jeder siebte Mensch auf unserer Erde hungert, mehr als eine Milliarde Menschen hat nicht genug zu Essen, alle sechs Sekunden stirbt ein Kind an Hunger. Das alles soll sich endlich ändern. Die wirksamere Bekämpfung des Hungers ist das Ziel des Welternährungsgipfels, zu dem die FAO, die UNO-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft, heute in Rom den Papst und die Staats- und Regierungschefs aus etwa 60 Ländern erwartet. Von den reichsten Industrieländern, den G8, kommt kein Regierungschef. Es ist der dritte Gipfel dieser Art nach 1996 und 2002.
    In Rom erreichen wir heute Morgen die Leiterin der deutschen Delegation beim Welternährungsgipfel, die Bundesernährungsministerin Ilse Aigner (CSU). Guten Morgen, Frau Aigner.

    Ilse Aigner: Schönen guten Morgen, Herr Spengler.

    Spengler: Zur Jahrtausendwende hatten die Staaten versprochen, die Zahl der Hungernden bis 2015 zu halbieren, nämlich von 840 auf 420 Millionen Menschen. Jetzt hungern erstmals über eine Milliarde Menschen. Was sind solche Versprechungen eigentlich wert?

    Aigner: Als Ziel müssen wir nach wie vor an der Verringerung der Zahlen arbeiten. Es wurden auch in vielen Regionen der Welt enorme Fortschritte gemacht, insbesondere in China, Mittel- und Südamerika, aber es ist richtig, dass wohl das Ziel, das Millenniums-Ziel, dies zu halbieren, nicht erreicht wird. Deshalb ist umso wichtiger, dass wir heute hier weitere Beschlüsse fassen.

    Spengler: Woran liegt der Hunger eigentlich? Liegt es nur am Klimawandel, oder sind wir reichen Industrieländer mitschuldig?

    Aigner: Es gibt viele Ursachen letztendlich, aber unser Ziel ist, dass wir eine Struktur der internationalen Zusammenarbeit im Bereich der Welternährung aufbauen. Wir wollen eine globale Partnerschaft für Landwirtschaft und Ernährungssicherung. Außerdem wird das Recht auf Nahrung erstmals auch ausdrücklich vor allem von allen Staaten auch bestätigt. Das ist für uns ein ganz wichtiger Punkt.

    Spengler: Das war aber nicht die Antwort auf meine Frage. Ich wollte wissen, ob wir mitschuldig sind?

    Aigner: Nein. Wir tun ja schon sehr viel. Die Frage ist, ob es auch ordentlich koordiniert ist, und wir wollen auch mehr wieder in die ländliche Entwicklung und die Landwirtschaft stecken.

    Spengler: Dahinter steckt, dass es besser ist, nicht immer nur den Hungernden Nahrungsmittelhilfe zu geben, sondern die Landwirtschaft in den Entwicklungsländern selbst zu entwickeln, oder?

    Aigner: Genau, das ist das Entscheidende. Es geht hier um die Frage, ob die Menschen auch einen Zugang letztendlich zu Land, zu Wasser, auch zu Saatgut haben, ob sie überhaupt die Techniken kennen, um das Land zu bestellen, um sich in erster Linie auch mal selbst versorgen zu können, und das soll mehr entwickelt werden. Das ist leider auch zurückgegangen in den letzten Jahren. Wir haben allerdings in Deutschland von unserer Entwicklungshilfe her eine Trendumkehr seit 2006 wieder erreicht, wieder mehr in die ländliche Entwicklung zu stecken.

    Spengler: Nun gibt es ja zwei Konzepte, die Landwirtschaft in den Entwicklungsländern zu stärken. Das eine Konzept setzt auf Produktionssteigerung, auf Kunstdünger, auf Pestizide; das nennt man "grüne Revolution". Das ist auch ein Konjunkturprogramm für unsere Agrarkonzerne. Das andere Konzept setzt auf die Stärkung der Kleinbauern, auf Selbstversorgung, auf ökologische Produkte und lokale Märkte. Wofür sind Sie denn?

    Aigner: Das eine schließt erstens das andere nicht aus, aber entscheidend ist wirklich, dass die Kleinbauern in die Lage versetzt werden, sich selbst zu helfen und hier der Schwerpunkt gelegt wird. Wie gesagt, oft hängt es schon mal an der guten Regierungsführung vor Ort, dass sie überhaupt verlässlich Zugang zu Land haben, dieses auch bestellen können, auch die Ressourcen von Wasser zur Verfügung haben, und dass man auch die Techniken standardangepasst anwendet. Das ist eigentlich das Hauptziel.

    Spengler: Und Sie haben die Interessen der deutschen Agrarkonzerne in Rom nicht im Auge?

    Aigner: Ich habe das Interesse, dass die Welternährung verbessert wird und dass die Menschen sich vor allem auch selbst ernähren können. Produktionssteigerung kann ein Punkt sein, aber ist mit Sicherheit nicht der einzige.

    Spengler: Nun sind ja Lebensmittel wie Mais und Weizen auch deswegen teuer, weil nicht nur in Afrika Kleinbauern vertrieben werden und der Boden von großen Investoren aufgekauft wird, die dann dort Ackerpflanzen für Biosprit anbauen. Sind unsere Biosprit-Ziele der EU ein Irrweg?

    Aigner: Wir brauchen auch erneuerbare Energien, um die Klimafrage zu lösen, aber es darf nicht dazu führen, dass gerade in den Gebieten, wo die Menschen hungern, die guten Böden letztendlich weggekauft werden. Das "land grabbing", das ist auch ein Ziel, das wir weiter diskutieren müssen. Ich halte das für schwierig. Auf der anderen Seite brauchen sie vielleicht auch Investitionen in diesen Ländern, die aber eben nicht zu Lasten der Bevölkerung vor Ort gehen darf.

    Spengler: Um dieses "land grabbing" auszuschließen, brauchen wir da einen Verhaltenskodex?

    Aigner: Ja. Daran werden wir auch weiter arbeiten müssen, dass sozusagen die Länder wissen, dass es nicht zu Lasten der Länder gehen darf, in denen sie sich engagieren, sondern dass sie eigentlich mithelfen müssen.

    Spengler: Heißt denn weiter daran arbeiten, wir kriegen einen Verhaltenskodex, oder wir bekommen ihn nicht?

    Aigner: Das ist ein Punkt, den wir weiter verhandeln müssen. Das ist noch nicht in der Art und Weise ausgeführt, wie ich mir das vorstellen würde, aber wir sind bei dieser Tagung wirklich einen deutlichen Schritt vorangekommen. Es richtet sich eben um die Frage Recht auf Nahrung, dass auch jedes Land dieses anerkennt, dass es das wichtigste Ziel ist, und das müssen auch die Regierungen vor Ort im Wesentlichen mittragen.

    Spengler: Nun will der Welternährungsgipfel Schluss machen mit dem Chaos und der Bürokratie beim Kampf gegen den Hunger. Das gibt es nämlich auch. Es soll alles besser koordiniert werden: entweder durch die Weltbank, wie es vor allen Dingen die Vereinigten Staaten möchten, oder durch ein existierendes UNO-Komitee für Welternährungssicherheit. Was ist da Ihre Position?

    Aigner: Wir haben hier zum Ziel, dass eine globale Partnerschaft für Landwirtschaft und Ernährungssicherung aufgebaut wird, wo alle beteiligt sind. Da gehören auch die NGO's dazu, aber natürlich schon die von Ihnen genannten Beteiligten, und die müssen koordinieren und nicht sozusagen sich gegenseitig beschäftigen. Das ist das wesentliche Ziel auch dieser Konferenz. Wir wollen eine vernünftige Struktur, wir haben auch die FAO, wir sind der drittgrößte Beitragszahler und insgesamt kommen aus der EU die meisten Mittel, deshalb werden wir hier auch eine hervorragende Rolle spielen.

    Spengler: Letzte Frage noch. 44 Milliarden Dollar will der Direktor der FAO, dass die Industrieländer sich dazu verpflichten, für landwirtschaftliche Entwicklungsmaßnahmen, und zwar jedes Jahr. Ist die Bundesrepublik dafür?

    Aigner: Wir haben für die nächsten vier Jahre uns verpflichtet, für die nächsten drei Jahre, Entschuldigung, zwei, Milliarden einzusetzen. Das war die Zusage, was die Kanzlerin in Pittsburgh auch zugesagt hat. Das heißt, 700 Millionen Euro pro Jahr, und die werden wir auch einhalten.

    Spengler: Die Bundesernährungsministerin Ilse Aigner. Danke für das Gespräch, Frau Aigner.

    Aigner: Vielen Dank, Herr Spengler. Auf Wiederhören!